10 Prozent der Menschen leiden nach einer Coronainfektion an Long Covid. Das könnte genetische Ursachen haben.
Bildrechte: picture alliance / BSIP | B. BOISSONNET

10 Prozent der Menschen leiden nach einer Coronainfektion an Long Covid. Die Beschwerden können anscheinend auch genetische Ursachen haben.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Coronavirus: Liegt Long Covid in den Genen?

Die meisten Menschen überstehen eine Corona-Infektion ohne Folgen. Bei zehn Prozent aber bleibt etwas zurück. Sie sind kurzatmig oder dauererschöpft. Forschende haben jetzt ein Gen aufgespürt, das gehäuft bei Long-Covid-Erkrankten auftritt.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Warum sind manche Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bald wieder gesund, während andere über Monate an Folgeerscheinungen leiden? Ein internationales Forscherteam hat sich auf Ursachensuche begeben und sich die Gene der Betroffenen genauer angeschaut. Auf Chromosom sechs zeigen sich bei Langzeiterkrankten Veränderungen, so ein Ergebnis der Studie, die am 1. Juli 2023 als Preprint erschien.

Mögliche Ursachen für Long Covid

Von Long Covid spricht man, wenn vier Wochen nach der Infektion noch Symptome da sind. Post Covid heißt es, wenn die Krankheit nach drei Monaten immer noch nicht ausgeheilt ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung Long Covid für beide Coronafolgen eingebürgert.

Zu den Ursachen für Long Covid gibt es viele Hypothesen: Etwa, dass sich im Laufe der Infektion nicht nur hilfreiche Antikörper bilden, sondern auch solche, die später Probleme machen: in Lunge, Herz, Gehirn oder Muskulatur. Es ist auch denkbar, dass Viren im Körper zurückbleiben, die andauernde Entzündungen in Gefäßen hervorrufen. Jetzt liefert die internationale Studie neue Hinweise: Es könnte auch genetische Ursachen haben, warum manche an Long Covid erkranken und andere nicht.

Verändertes Gen in der Lunge gefunden

Chromosom sechs zeigt bei Long Covid Erkrankten genetische Veränderungen. Es sieht anders aus als bei Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, aber kein Long Covid entwickelt haben. Die Veränderung scheint zwei Effekte zu haben: Zum einen führt sie zu einer heftigen Corona-Infektion, zum anderen löst sie Langzeitfolgen aus.

Kerstin Ludwig vom Institut für Humangenetik an der Universität Bonn erklärt: "Diese genetische Veränderung liegt in der Nähe eines Gens, das FOXP4 heißt. Das ist ein Gen, das in den verschiedenen Zelltypen der Lunge eine Rolle spielt. Diese Region wurde auch schon als genetischer Risikofaktor für akutes, schweres Covid gefunden. Das ist also ein Faktor, der offensichtlich sowohl zu schwerem Covid als auch zu einem erhöhten Risiko für Long Covid beiträgt. Wobei wir in der Studie zeigen konnten, dass der Effekt für Long Covid noch viel stärker ist als für die Infektion an sich."

Gen FOXP4 erhöht das Risiko für Long Covid

Das veränderte Gen ist also offenbar ein Grund, warum Menschen auch lange nach ihrer Corona-Infektion noch kurzatmig, erschöpft und geschwächt sind. Aber natürlich trifft es nicht jeden, der diese genetische Besonderheit in sich trägt. Sie erhöht lediglich das Risiko, dass es zu Spätfolgen kommen kann. "Basierend auf den Daten unserer Studie schätzen wir, dass es etwa ein 1,6-fach erhöhtes Risiko für Träger dieser genetischen Veränderung gibt, Long Covid zu entwickeln", sagt Kerstin Ludwig. Etwa jede und jeder Zehnte ist nach der Infektion von Long Covid betroffen.

Erste groß angelegte Studie zur Genetik von Long Covid

Die Datenlage der aktuellen Studie ist umfangreich. Forschungsteams aus 16 Ländern der Welt haben mitgemacht und knapp drei Jahre lang Daten erhoben und ausgewertet. Fast 6.500 Menschen mit Long Covid wurden genetisch untersucht. Zur Kontrolle dienten über eine Million Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 Viren infiziert hatten, aber keine Spätfolgen zeigten.

Der Humangenetiker Axel Schmidt von der Universität Bonn erläutert: "Das ist eine sogenannte Meta-Analyse, ein Zusammenschluss aus vielen Studien aus vielen verschiedenen Ländern. Sie werden alle zusammengeführt und zusammen ausgewertet. Das, was jetzt publiziert wurde, ist das Ergebnis dieser gemeinsamen Auswertung von 24 verschiedenen Studien." Die Zusammenschau ist somit die größte Analyse zur Genetik von Long Covid, die es bisher gab.

Gen FOXP4 gilt als Risiko-Gen der Lunge

Die Veränderung auf Chromosom sechs ist Genetikern schon länger bekannt. Frühere Untersuchungen lieferten Hinweise, dass sie generell die Lungenfunktion beeinträchtigt und auch das Risiko für Lungenkrebs erhöht. In Europa tragen etwa ein bis zwei von 100 Personen diese Gen-Veränderung in sich. 20 von 100 Menschen sind es in Asien. Ob Asiaten deshalb auch stärker von Long Covid betroffen sind, ist noch unklar: "Es ist nicht auszuschließen, aber die Methoden, die wir verwenden, können das nicht sagen", so Kerstin Ludwig.

Forschende suchen weitere Risiko-Gene für Long Covid

Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch noch andere Gene bei der Entstehung von Long Covid mitwirken. Um das gesamte Puzzle zusammenzusetzen, müssen Forschende noch viele weitere Genproben untersuchen.

Außerdem gibt es noch eine Reihe anderer Schwachstellen im Körper zu erforschen, warum manche Menschen noch lange nach einer Infektion mit Spätfolgen kämpfen müssen - etwa, welche Rolle Vorerkrankungen spielen. Auch Alter und Geschlecht geben noch Rätsel auf, denn es trifft eher Jüngere und mehr Frauen als Männer. Aufgrund der Vielfalt der Symptome bei Long Covid gehen die meisten Forschenden davon aus, dass hinter Long Covid mehrere Krankheitsprozesse stehen, die im Detail noch erforscht werden müssen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!