Im Hintergrund wachsen Bäume und Sträucher, im Vordergrund eine Wiese. Dazwischen hohe Gräser.
Bildrechte: BR/Ursula Klement

Gartenecke mit Saum

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"Unordnung ist das Wichtigste": Säume im Garten für Igel und Co.

Für Eidechsen und Igel sind sie überlebenswichtig: Säume im Garten bieten vielen Tieren Lebensraum. Sie anzulegen ist denkbar einfach: zwischen Hecke und Gras müssen nur ein paar Brennnesseln, Disteln oder Giersch stehengelassen werden.

Über dieses Thema berichtet: BR-Heimatspiegel am .

Säume, also Übergänge zwischen Wald und Feld, Bach und Wiese oder Acker und Acker fördern die Artenvielfalt in der Landschaft immens. Ohne sie hätten Rebhuhn und Feldhase keine Chance. Doch Säume funktionieren auch im Kleinen. Im Garten profitieren zum Beispiel Eidechsen, Igel, Heuschrecken, Spinnen und Tagfalter.

Zufluchtsort und Schattenplatz – Säume sichern Existenzen

Eidechsen brauchen Säume. Und nicht nur Steinhaufen als Rückzugsgebiet und Winterquartier. Angenommen, sie sonnen sich gerade "und wenn dann irgendein Greifvogel kommt oder ein sonstiger Feind, dann müssen die schnell flüchten können und da ist so eine Struktur, in die sie flüchten können, ideal", sagt der Neu-Ulmer Biologe Ralf Schreiber. Manchmal schützen die Säume die Eidechsen sogar vor Katzen, ganz sicher aber vor der zunehmenden Hitze. "Für unsere heimischen Eidechsen ist’s oft schon am Vormittag zu heiß" – also suchen sie Schatten und fliehen in einen Saum.

Diese sind für viele Arten ein Rückzugsort. Wird die Wiese gemäht, können Tiere aus der Wiese hier hin ausweichen. Wird der Strauch geschnitten, finden Tiere, die im Strauch leben, zumindest eine Zeitlang Unterschlupf im Saum. Dort leben unzählige verschiedene Tiere, zum Beispiel etliche Spinnenarten und Tagfalter. Selbst die Bodenorganismen weisen eine breitere Vielfalt auf als im restlichen Gartenboden. In Gartensäumen sind schon Bergmolche gesehen worden. Und Igel sind tagsüber oft im Saum zu finden.

Zwischen Hecke und Gras oder am Komposthaufen

Säume gibt es auch im Garten, nämlich dort, wo zwei Ökosysteme aufeinandertreffen: der Rasen auf die Hecke oder der Komposthaufen auf den Weg. Oder wie es der Biologe Ralf Schreiber beschreibt: "Der Übergangsbereich zwischen waagrecht und senkrecht." Ein Saum kann in größeren Gärten mehrere Meter breit sein, manchmal ist er nur fünf Zentimeter breit. "Je breiter, desto wertvoller ist er normalerweise." Trotzdem: Heutzutage zähle jeder noch so kleine Saum, erklärt Ralf Schreiber weiter.

Brennnesseln am Obstbaum, Gilbweiderich am Strauch

Doris und Werner Holder in Vöhringen im Landkreis Neu-Ulm haben einen großen naturnahen Garten, mit verschiedenen Säumen. Zwischen Sträuchern und Gras steht zum Beispiel ein breiter Streifen Gilbweiderich. "Jetzt stellt er eigentlich keine große Zierde dar, vorher war das alles wunderbar gelb. Da waren einige Insekten da, einige Wildbienen hauptsächlich", erzählt Werner Holder. Der Gilbweiderich bildet keinen Nektar, nur Pollen. Den fressen zum Beispiel Schwebfliegen.

Wildbienen wie die Sumpf-Schenkelbiene und die Wald-Schenkelbiene nutzen das Öl, das Drüsen in der Gilbweiderich-Blüte erzeugen. Sie holen es, um ihre Brutkammer zu desinfizieren und ihre Larven zu ernähren. Die Raupen einer Blattwespe fressen die Blätter vom Gilbweiderich. Unter anderem deswegen bleibt er bei Holders auch dann noch stehen, wenn er verblüht ist, sagt Doris Holder. "Im Herbst hab ich keine Arbeit im Garten, ich lass’ einfach alles stehen."

Rund um den Stamm eines Apfelbaums steht zum Beispiel eine Handvoll Brennnesseln. "Ich mach' das mit Absicht", betont Werner Holder. Das sei keine Faulheit, er habe Freude an der Natur. Brennnesseln seien für ihn kein Unkraut. Immerhin legen viele Schmetterlinge wie zum Beispiel das Tagpfauenauge ihre Eier an Brennnesseln ab. "Man muss natürlich aufpassen, dass sie den Garten nicht überwuchern", so der Hobbygärtner.

Säume brauchen Ruhe

Säume entstehen an Stellen, wo man die Rasenkantenschere nicht nutzt. Auch am Komposthaufen und an Sträuchern, die keine Beerensträucher sind, kann man sie wachsen lassen. Hochwüchsige Stauden kommen von allein, man muss sie nicht einmal anpflanzen.

Und was im Großen draußen in der Landschaft gilt, passt auch im Garten: Säume brauchen Ruhe, sagt Annette Otte, emeritierte Professorin für Landschaftsökologie an der Uni Gießen, sie lebt auch im Landkreis Neu-Ulm. "Man darf sie nicht zu häufig stören." Höchstens einmal im Jahr mähen, nicht mulchen. Oder auch nur alle zwei Jahre, sagt Otte.

Von Brennnessel bis Kronwicke

Beifuß, Brennnessel, Disteln, Kletten, Giersch sind je nach Standort die Pflanzen, die einen Saum bilden, wenn man sie lässt. "Wenn die Säume sich über verschiedene Jahre bis Jahrzehnte in Ruhe entwickeln können, dann kommen auch andere Arten hinein, die langsamer wüchsig sind". Damit meint die Landschaftsökologin Otte Pflanzen, die vor allem an Südseiten Fuß fassen und schön blühen: Kronwicken, Steinquendel und Johanniskraut zum Beispiel.

Unordnung ist das halbe Leben

Dass Säume so wichtig sind für die Biodiversität im Garten, erkennt man schon allein daran, dass sie meist schlampig aussehen. Biologe Ralf Schreiber empfindet es als "Unsitte", wenn Gärten sauber aussehen. Und wenn "unterm Strauch dann noch irgendeine Einfassung dran ist, damit man auch ganz dicht hin mähen kann", dann sei das kein Fortschritt. Denn Artenvielfalt gebe es nur dort, wo ein Garten viele Strukturen und Unordnung zu bieten hat. "Unordnung ist in der Natur mit das Wichtigste, was es gibt."

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