Braunkohlekraftwerk (Symbolbild)
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CO²-Zertifikate: Braucht es eine Kohlenstoff-Zentralbank?

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CO₂-Zertifikate: Braucht es eine Kohlenstoff-Zentralbank?

Der Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ soll in der EU bis 2050 gestoppt werden. Wer mehr CO₂ in die Luft pustet, muss dafür Zertifikate kaufen. Doch die sind zurzeit zu billig. Experten fordern deshalb eine CO₂-Zentralbank, die den Preis reguliert.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

CO₂ ist schädlich fürs Klima. Deshalb soll dieser Ausstoß in der EU in den kommenden Jahrzehnten enden. Vor drei Jahren wurde deshalb in der EU beschlossen, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken und bis 2050 treibhausgasneutral zu werden.

Weniger Emissionen: der EU-Plan

Um das zu beschleunigen, wird die zulässige Ausstoßmenge von CO₂ nach und nach reduziert. Unternehmen, die mehr Kohlendioxid in die Luft pusten, müssen dafür zahlen. Sie müssen Berechtigungen kaufen – und zwar in Form von CO₂-Zertfikaten. Die kostspieligen Zertifikate sollen die Unternehmen motivieren, klimafreundliche Technologien einzusetzen.

Das rechnet Michael Pahle, Wirtschaftswissenschaftler am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), vor: "Wenn nämlich zum Beispiel ein Zertifikat etwa hundert Euro pro Tonne kostet, aber ich Emissionen für einen Preis von 80 Euro pro Tonne reduzieren kann, dann reduziere ich lieber die Emission, weil mich das billiger kommt, als ein Zertifikat zu kaufen. Das ist der ökonomische Mechanismus."

Der Haken: CO₂-Zertifikate derzeit zu billig

Soweit die Theorie. Aber in der Praxis sind die Zertifikate aktuell mangels Nachfrage so billig wie nie: Sie kosten nur gut 50 Euro pro Tonne. Es lohnt sich im Moment also nicht besonders für die Industrie, CO₂ zu sparen.

Experten wie Michael Pahle und der Direktor des PIK, Otmar Edenhofer, fordern deshalb, den Preis der Zertifikate zu regulieren, etwa über eine europäische Behörde, eine Art "Kohlenstoff-Zentralbank". Die könnte dafür sorgen, dass der Preis der Zertifikate nicht unter ein bestimmtes Niveau sinkt.

Experte: Zu wenig Wissen über CO₂-Zertifikate

Michael Pahle leitet beim Potsdam Institut für Klimafolgenforschung die Abteilung "Klima – und Energiepolitik". Der Emissionshandel – das ist sein Leib- und Magenthema. Seit Jahren erklärt er, was es mit dem Instrument Emissionshandel und mit CO₂-Zertifikaten auf sich hat und welche Auswirkungen all das auf den Klimawandel hat. Trotzdem stellt er fest: "Jeder hat es schon mal gehört. Keiner weiß, wie es funktioniert, und keiner weiß, was es bedeutet."

Zertifikatehandel in der EU

Die Idee beim Emissionshandel ist simpel: CO₂ ausstoßen schadet dem Klima. Wer mehr Kohlendioxid in die Luft pustet, der muss dafür zahlen. Nämlich Berechtigungen in Form von CO₂-Zertifikaten kaufen. "Da steckt ein klares Fairnessprinzip dahinter", erklärt Michael Pahle (PIK), "nämlich derjenige, der verschmutzt muss für die sozialen, gesellschaftlichen Schäden die entstehenden Preise bezahlen."

Konkret betrifft das auf europäischer Ebene die Kraftwerksindustrie, etwa Kohle. Aber auch andere energieintensive Industriebereiche, wie die Stahl– oder Chemieindustrie, Raffinerien oder Aluminiumwerke. Ein Zertifikat erlaubt den Ausstoß von einer Tonne CO₂. Bis zum Jahr 2039 sollen diese Zertifikate aufgebraucht sein und 2050 dann soll, so die Idee, Europa klimaneutral sein.

Emissionshandel in Deutschland

Die zweite Ebene des Emissionshandels spielt in Deutschland, also auf nationaler Ebene. Seit 2021 müssen etwa Gas-, Kohle- oder Mineralöl-Lieferanten zahlen – und zwar für CO₂-Emissionen, die durch die spätere Verbrennung entstehen. Dieses System wird zwar auch Emissionshandel genannt, aber "es funktioniert eigentlich praktisch wie eine Steuer, denn man kann Zertifikate zum festen Preis kaufen und Unternehmen können bis ins nächste Jahr nachkaufen", erklärt Michael Pahle. Zuständig dafür ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), angesiedelt beim Umweltbundesamt (UBA). Die Preise dieser Zertifikate werden politisch festgelegt.

Nicht zu verwechseln mit: CO₂-Kompensation

Beide Systeme sind aber nicht zu verwechseln mit der CO₂-Kompensation. Das kennt manch einer sicher vom Fliegen. Wer das umweltschädliche Reisen ausgleichen will, der kann klimafördernde Projekte unterstützen.

Ähnlich machen das auch viele kommunale Versorgungsunternehmen – etwa die Stadtwerke Augsburg. Sie wandeln auf diese Weise ihren eingekauften grauen Strom in grünen Strom, also Ökostrom um – erklärt Ulrich Längle. Er leitet bei den Augsburger Stadtwerken den Vertrieb und ist für den Energieeinkauf zuständig. Dort erwirbt er Zertifikate zur Förderung klimafreundlicher Projekte: "Wir versuchen tatsächlich, regional zu bleiben, weil wir nichts davon halten, Zertifikate in irgendwelchen Drittländern zu finanzieren. Die Zertifikate sollten aus erneuerbaren Energien stammen und es sollte eine Regionalität vorhanden sein."

Hier allerdings ist die Qualität der Kompensation schwieriger nachzuweisen, sagt Michael Pahle vom PIK: "Es gibt eine ganze Reihe von Zertifikat-Märkten." Unklar sei allerdings, "ob das auch wirklich richtig gemessen wird und ob das zusätzlich ist." Man habe in der Vergangenheit schon viele Fälle gehabt, wo Zertifikate für solche Projekte ausgestellt wurden, die aber ohnehin gebaut worden wären.

"Und das ist genau das Problem", erklärt Pahle. Der Unterschied sei, dass diese Zertifikate in der Regel von privaten Agenturen und Dienstleistern zertifiziert würden. Deshalb haben sich die Stadtwerke Augsburg dazu entschieden, nur Zertifikate zu erwerben, die vom TÜV geprüft wurden.

Emissionshandel: Wirksames Instrument für das Klima

Insgesamt ist Michael Pahle ein Fan des Emissionshandels: "Ich bin absolut davon überzeugt, das ist ein gutes Instrument; und das ist im gesamten Werkzeugkasten der Klimapolitik das mit Abstand wichtigste."

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