Der Mitangeklagte im Wirecard-Prozess, Oliver Bellenhaus (2.v.r.), unterhält sich zu Beginn der Fortsetzung im Wirecard-Prozess am 7.02.2024 mit seinen Anwälten
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Wirecard: Erster Prozesstag für Oliver Bellenhaus auf freiem Fuß

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Wirecard: Erster Prozesstag für Oliver Bellenhaus auf freiem Fuß

Das Landgericht München hat am Morgen den Wirecard-Prozess fortgesetzt – unter neuen Vorzeichen. Wenige Stunden zuvor war einer der Angeklagten, Oliver Bellenhaus, aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

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Um kurz vor neun geht Oliver Bellenhaus durch die schwere Stahltür und über die graue Steintreppe in den unterirdischen Gerichtssaal auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Sein Verteidigerteam begleitet ihn. Bellenhaus trägt eine FFP2-Maske, er schweigt und lässt seinen Anwalt Florian Eder unmittelbar vor Beginn des heutigen Prozesstages für sich sprechen.

Entlassung aus Untersuchungshaft als "Zeitenwende"

Eder sieht die Entscheidung vom Dienstag, Bellenhaus aus der Untersuchungshaft zu entlassen, als "gewisse Zeitenwende" für den Prozess am Landgericht München I: "Denn es wird jetzt für andere Personen, die angeklagt sind, schwieriger, ihr Narrativ zu setzen. Wir sind sehr positiv gestimmt."

Eder spielt damit vor allem auf den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und sein Verteidigerteam an, die Bellenhaus seit Beginn des Prozesses im Dezember 2022 mehrfach der Lüge bezichtigt haben. Seit Juli 2020 hatte Bellenhaus ununterbrochen in Untersuchungshaft gesessen. Nach mehr als dreieinhalb Jahren kam der ehemalige Statthalter des Aschheimer Zahlungsdienstleisters in Dubai gestern auf freien Fuß. Das Gericht setzte den bestehenden Haftbefehl außer Vollzug, allerdings unter Auflagen. Bellenhaus muss einen festen Wohnsitz nachweisen, seine Ausweise abgeben und er darf das Land nicht verlassen.

"Nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der bisherigen Haftdauer, der geständigen Einlassung des Angeklagten und seinen Schadenswiedergutmachungsbemühungen ist die Kammer der Auffassung, dass die angeordneten Auflagen ausreichen, um die nach wie vor bestehende Verdunkelungs- und Fluchtgefahr so weit zu vermindern, dass der Angeklagte auf freien Fuß gesetzt werden kann", begründete das Gericht seine Entscheidung in einer schriftlichen Erklärung.

Bellenhaus auf freiem Fuß - Braun bleibt in U-Haft

Im Gegensatz dazu bleibt die ebenfalls seit Sommer 2020 bestehende Untersuchungshaft für Markus Braun bestehen. Anders als bei Bellenhaus besteht bei ihm nach Auffassung des Gerichts nach wie vor Fluchtgefahr, deswegen geleitet ihn auch an diesem Morgen ein Justiz-Wachtmeister in den Verhandlungssaal. Für Braun und sein Team sind die jüngsten Entwicklungen ein herber Rückschlag. Schließlich ist Braun-Verteidiger Alfred Dierlamm davon überzeugt, dass eine Bande rund um Bellenhaus und den flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek Millionen aus dem Wirecard-Konzern geschleust hat. Sein Mandant sei unschuldig und habe von vielen mutmaßlich kriminellen Vorgängen erst aus den Prozessakten erfahren, hat Dierlamm im Verlauf des Prozesses wiederholt betont.

Unmittelbar nach der Bellenhaus-Freilassung hat Dierlamm eine E-Mail an mehrere Pressevertreter geschickt, darin enthalten war nur ein Satz: "Ein schmutziger Deal hinter verschlossenen Türen." Darüber hinaus äußert sich Dierlamm nicht. Bellenhaus, Braun und der ehemalige Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa sind unter anderem wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des bandenmäßigen Betrugs angeklagt.

Zeugin: Braun versuchte Aufsichtsrat zu beeinflussen

Richter Markus Födisch geht auf die neuen Umstände zu Beginn des heutigen Prozesstages nicht ein. Unmittelbar nachdem die Kammer den Verhandlungssaal betreten hat, bittet er die vorgeladene Zeugin Anastassia L. herein. L. gehörte dem Wirecard-Aufsichtsrat ab Juni 2018 bis zum Zusammenbruch des Aschheimer Zahlungsdienstleisters an.

Sie zeichnet zum Auftakt ihrer Vernehmung das Bild eines Konzerns, in dem es alles andere als transparent zugegangen sei. So sei der Informationsfluss im Konzern bis Mai 2020 "sehr, sehr schlecht" gewesen. Wirecard war im Juni 2020 kollabiert, weil 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren, die für Wirecard auf philippinischen Treuhandkonten verwahrt werden sollten. Sie sollten aus dem so genannten "Drittpartnergeschäft" von Wirecard stammen. Ob dieses Geschäft tatsächlich existiert hat, ist bis heute umstritten.

L. berichtete zudem, dass Ex-CEO Markus Braun die Arbeit des Aufsichtsrates sehr kritisch gesehen und die Arbeit des Gremiums zu beeinflussen versucht habe. "Herr Braun hat sehr stark in die Arbeit des Aufsichtsrats eingegriffen", sagte sie. So habe er bestimmte Ideen an den damaligen und inzwischen verstorbenen Aufsichtsratsvorsitzenden, Wulf Matthias, herangetragen. Dieser habe sie dann im Gremium verkündet. Die Vernehmung von L. ist bis morgen vorgesehen. Möglicherweise will sich auch Bellenhaus nochmal zu Wort melden.

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