Das Z.werk in Wurmsham südöstlich von Landshut versteht sich als Kollektiv
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Das Z.werk in Wurmsham südöstlich von Landshut versteht sich als Kollektiv

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Wir sind alle Chef: Wie Arbeiten im Kollektiv funktionieren kann

Keine Hierarchien, Prämien oder gewaltige Lohn-Unterschiede – können Betriebe bestehen, denen es nicht um Gewinne, sondern um ein gutes Miteinander und um gemeinsamen Nutzen geht?

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Erste Kollektive entstanden im frühen 19. Jahrhundert in England, später auch in Frankreich. Es war die Idee eines selbstverwalteten Arbeitens und Lebens als Alternative zur beschwerlichen Lohnarbeit in den Fabriken. Und heute? Wie gut passen kollektive Strukturen in unsere Zeit?

Z.werk versteht sich als Kollektiv

Das Z.werk in Wurmsham südöstlich von Landshut ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Handwerksbetrieb. Dort werden Massivholzmöbel gefertigt und Zimmerer-Arbeiten gemacht – alles mit ökologischem Anspruch. Was das Z.werk von anderen Betrieben unterscheidet, ist der Gemeinschafts-Gedanke.

Die nagelneue Hochpräzessions-Fräse des Betriebs gehört allen, genauso wie die wuchtige Bandsäge. Auch das künftige Büro ist für alle. Besonders amüsant finden sie es beim Z.werk, wenn Kunden nach dem Chef verlangen. Das Z.werk versteht sich nämlich als Kollektiv. Weil es das im deutschen Rechtssystem nicht gibt, haben sie vor fast drei Jahren eine Produktiv-Genossenschaft gegründet. Seitdem sind sie Kapitalgeber und Arbeitnehmer zugleich. Einer von ihnen ist Marco Ernst, der die Struktur dieser Betriebsform wegen der Möglichkeit schätzt, sich sehr selbstbestimmt zu verhalten: "Also je nachdem wie die Bedürfnisse sind im eigenen Leben drum rum neben der Arbeit noch. Das ist uns allen sehr wichtig: mal Stunden reduzieren oder mal aussetzen, je nachdem."

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Arbeiten ohne Hierarchien

Grundsätzlich gilt die 30-Stunden-Woche. Doch wer mehr arbeiten oder Stunden reduzieren will, kann das tun. Den Lohn zahlen sich die Genossen selbst. Bis auf die Lehrlinge ist er für alle gleich. Ausbildung oder Berufserfahrung sind dafür unerheblich.

Lehrling John Foldenauer hat die Idee vom hierarchiefreien Arbeiten von Anfang an imponiert: "Klar gibt es Unterschiede bei der Qualität oder dem Wissen oder sowas. Aber der Gedanke dahinter ist ja, dass sich das alles egalisiert und dass jeder von jedem lernt und jeder hat gewisse Präferenzen oder Möglichkeiten, die der andere halt noch nicht hat."

Bevor sie ein Kollektiv wurden, haben die meisten als Solo-Selbständige gearbeitet. Überstunden, Rechnungen schreiben, Steuer machen – all das kam noch dazu. Jetzt verteilen sie die Aufträge je nach Kapazität. Auf zweiwöchentlichen Arbeitssitzungen werden alle neuen Aufträge im Plenum besprochen. Bei allen Entscheidungen gilt das Konsens-Prinzip: Wenn es kein Veto gibt, ist der Auftrag angenommen. Im Zweifel wird alles ausdiskutiert.

"Wenn man Entscheidungen gemeinsam trifft, muss man auch kompromissbereit sein", sagt Harald Berger vom Z.werk. "Weil es kann nicht einer seinen Kopf durchsetzen. Ist auch nicht Sinn und Zweck des Ganzen und das ist schon auch manchmal anstrengend, aber wiederum sind sie Entscheidungen meistens auch fundierter."

Kollektivberaterin: "Bitte redet miteinander!"

Die Idee einer Wirtschaft, der es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Selbstbestimmung geht, ist nicht neu. Landwirtschaftliche Genossenschaften etwa haben eine lange Tradition. Aber egal ob Gewerbe oder Molkerei – viele Kollektive sind an ihren Ansprüchen gescheitert, wie Kollektivberaterin Sonja Löser sagt. "Was eigentlich die Ziele sind, wie es eigentlich funktionieren soll, wie Entscheidungen getroffen werden, wie Leute ins Kollektiv reinkommen oder auch wieder rauskommen, wenn über Geld nicht gesprochen wird, kann das früher oder später zu Problemen führen und wenn über Verantwortungsverteilung nicht gesprochen wird."

Die Hamburgerin schätzt die Zahl der Kollektive in Deutschland auf 300 bis 500. Ihr Verein berät diese in der Gründungsphase – aber auch, wenn es Probleme gibt. "Ich kann immer nur sagen: 'Bitte, bitte redet miteinander!'. Egal ob über Geld oder 'Ich finde, du arbeitest zu viel' oder 'du arbeitest zu wenig" – immer wenn es ein Unbehagen gibt, dann ist es wichtig, darüber zu sprechen", sagt Löser.

Holzkollektiv in München

Beim Holzkollektiv in München hätte mangelnde Kommunikation beinahe das Aus bedeutet. 1985 als GbR gegründet, hat es jetzt die Rechtsform einer GmbH. Bis jetzt wurden mehr als 50 Lehrlinge ausgebildet, aber um ein Haar wurde niemand gefunden, der das Kollektiv weiterführt.

Michael Drescher erinnert sich: "Weil ich der Jüngste bin von den Alten, ich hätte das Licht ausgemacht. Was machst du dann? Hätte meine Kollegen eventuell noch auszahlen müssen, was ich ja gar nicht hätte können oder keine Ahnung, wie das dann gelaufen wäre und dann hätten wir den Laden verscherbelt und vorbei ist es. Aber das kann es ja irgendwie nicht sein."

Michael Drescher ist seit 1989 dabei. Zwei der Gesellschafter stehen nun kurz vor der Rente. Eigentlich hatten sie erwartet, dass auch die Jüngeren ins Kollektiv einsteigen, Firmenanteile übernehmen. Doch sie wollten lieber angestellt bleiben. Richtig darüber geredet wurde nicht.

Blick in die Zukunft

Michael Drescher und die anderen haben in den Anfangsjahren viel investiert und sich kaum etwas ausbezahlt. Entsprechend fehlen Einlagen für die Rente. Doch jetzt, wo die Jungen mit einsteigen wollen, ist eine Lösung greifbar: Die GmbH wird in eine Genossenschaft umgewandelt. Damit es einigermaßen gerecht ist, bekommen die Älteren vorübergehend etwas mehr Lohn.

Wie es in Zukunft weitergehen soll, darüber machen sich auch die Genossen vom Z.werk in Wurmsham Gedanken. Ältere könnten zum Beispiel von einer Art Bedarfslohn profitieren. "Wenn man im Alter vielleicht nicht mehr so hart körperlich handwerklich arbeiten kann", sagt Marco Ernst, "ist es auch möglich, eben da seinen Platz zu finden. Wenn es eben Junge gibt, die weitermachen."

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