Ein Kundgebungsteilnehmer hält ein Schild «Wir fahren zusammen Wir streiken zusammen» hoch. Im März beim bundesweiten ÖPNV-Warnstreik von Verdi in Kooperation mit Fridays for Future.
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Ein Kundgebungsteilnehmer hält ein Schild hoch. Im März beim bundesweiten ÖPNV-Warnstreik von Verdi in Kooperation mit Fridays for Future.

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Wann sind Streiks eigentlich erlaubt?

Damit nicht ständig alles stillsteht, werden die Rufe nach strengeren Streik-Regeln lauter. Aber das ist nicht so leicht umzusetzen. Denn das Streiken gilt als Grundrecht. Was stattdessen ginge: Mehr Dialog vorab einfordern.

Über dieses Thema berichtet: Wirtschaft am .

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Das Recht zu streiken - das gibt es auch in Deutschland. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht verweist da immer auf Artikel 9 im Grundgesetz (externer Link). Arbeitgeber und Arbeitnehmer handeln frei die Bedingungen aus. Der Staat darf sich nicht einmischen.

Um überhaupt etwas durchsetzen zu können, dürfen Gewerkschaften zum Streik aufrufen. Alles andere wäre "kollektives Betteln", so sieht es das Bundesarbeitsgericht. Allerdings darf nur für Forderungen gestreikt werden, die sich in Tarifverträgen regeln lassen. Der politische Streik - zum Beispiel die Arbeit aus Protest gegen die Rentenpolitik der Regierung niederzulegen - ist in Deutschland nicht erlaubt.

Keine gesetzlichen Regelungen

Was es in Deutschland nicht gibt, ist ein Arbeitskampfgesetz, das bestimmt, was an der Streikfront geht und was nicht. Stattdessen gilt das Richterrecht. Über die Jahre hinweg haben die obersten Richter mit ihren Urteilen sozusagen Leitlinien gesetzt.

Eine Gewerkschaft muss stark genug sein, um ihre Ziele auch durchsetzen zu können. Sie darf nicht zum Kampf aufrufen um des Kampfes willen, also nur um das Gegenüber zu treffen. Ein Betrieb darf durch die Aktionen nicht in seiner Existenz bedroht werden. Die Gerichte wägen da zum Beispiel wie jetzt bei der Bahn ab: Die Betroffenen könnten ja zum Beispiel auf das Auto umsteigen.

Urabstimmung nicht unbedingt nötig

Immer wieder gibt es Streit darüber, ob ein Streik noch verhältnismäßig ist oder nicht mehr. Bei der Bahn haben die Arbeitsgerichte das jetzt wieder bejaht. Dieser Streik sei verhältnismäßig, urteilten sowohl das Arbeitsgericht Frankfurt als auch das hessische Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz. Auch eine Nadelstichtaktik wie die von der GDL angekündigten "Wellenstreiks" sei nach herrschender Meinung zulässig.

Zunächst muss eine Gewerkschaft versuchen, am Verhandlungstisch eine Lösung hinzubekommen. Erst wenn das aus ihrer Sicht gescheitert ist, darf sie die Streikwesten auspacken. Eine Urabstimmung unter den Mitgliedern, wie sie auch die GDL durchgeführt hat, ist dafür nicht nötig. Einige Gewerkschaften sehen das aber in ihrer Satzung vor.

Erst einmal in einer Schlichtung zu versuchen, den Konflikt zu lösen, bevor gestreikt wird, ist eine Möglichkeit - aber kein Muss. In den letzten Jahren haben die Arbeitsgerichte den Gewerkschaften auch viele Freiräume zugestanden, bevor sie einen Streik untersagt haben. Dass ein Streik wirklich verboten wird, ist eher selten der Fall.

Keine wirklichen Beschränkungen

Wenn Arbeitgebern der Streikplan der Gewerkschaft zu weit geht, können sie beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung beantragen, um den Streik unterbinden zu lassen. Die Bahn hat das in diesem Konflikt schon zum zweiten Mal versucht. Für die Gewerkschaften ist das ein Risiko. In Nachhinein droht eine Forderung auf Schadensersatz, wenn sie vor Gericht unterliegt. Ein nicht rechtmäßiger Streik käme sie unter Umständen teuer zu stehen.

Außerdem muss eine Gewerkschaft auch immer die Streikkasse im Blick haben. Ihren Mitgliedern steht während des Streiks ein Ausgleich für den vom Arbeitgeber gestrichenen Lohn zu. Tagelange Aktionen muss sich eine Gewerkschaft also auch leisten können.

Keine Zwangsschlichtung vorstellbar

Deutschland braucht ein Streikrecht oder zumindest Regelungen, die die Folgen der Aktionen abmildern - diese Forderung kommt auch jetzt wieder aus der Wirtschaft und der Politik: Gerade die kritische Infrastruktur - also Verkehr, Gesundheitswesen oder Versorgung - müssten demnach geschützt werden. Streiks sollten rechtzeitig angekündigt und vorab eine Schlichtung vorgeschrieben werden.

Doch so leicht lässt sich das nicht umsetzen. Viele Arbeitsrechtler haben da Bedenken. Ein Versuch könnte vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden, das dem Streikrecht einen hohen Stellenwert einräumt. Was sicher keinen Bestand in Karlsruhe hätte, wäre - da sind sich die Juristen einig - eine Zwangsschlichtung.

Schlichtungspflicht vor den Streiks?

Per Gesetz oder von Seiten der Regierung einen gefundenen Schlichterspruch zu verordnen, das ließe sich kaum mit der Tarifautonomie vereinbaren. Anders sähe das wohl aus, wenn man eine Schlichtung vorschreiben würde, bevor gestreikt werden darf. Ob das aber so viel bringen würde, da haben Praktiker so ihre Zweifel.

In manchen Tarifkonflikten brachten Unparteiische die Kuh vom Eis, aber nicht in allen. In einem Streikgesetz die Länge der Aktionen und eine Vorankündigung vorzuschreiben oder auch eine Mindestversorgung während des Streiks, daran hat sich bisher noch keine Regierung gewagt. Der Blick geht da immer Richtung Karlsruhe.

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