Symbolbild: Strommasten zur Energieversorgung.
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Symbolbild: Strommasten zur Energieversorgung.

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Winter ohne Atomkraft gut überstanden – und Strom ist billiger

Der meteorologische Winter ist vorbei – der zweite nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der erste nach dem endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie. Die Energieversorgung in Bayern und Deutschland hat das gut verkraftet.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Düstere Vorhersagen gab es viele – auch noch in den Tagen kurz vor Weihnachten, als für kurze Zeit der Anteil von Kohlestrom im deutschen Stromnetz hoch war. Die "Bild"-Zeitung schrieb damals von "Deutschland in der Kohlefalle". CSU-Generalsekretär Martin Huber postete, der deutsche Strom sei so dreckig wie seit Jahren nicht.

Auch ohne Atomkraft keine Stromknappheit

Die Gesamtbilanz der drei Wintermonate – und auch des vergangenen Jahres – fällt jetzt jedoch weit positiver aus.

Bruno Burger, verantwortlich für die Datenbank "Energy Charts" [externer Link] des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), hat die Zahlen ausgewertet. Er resümiert: "Wir sind super durch den Winter gekommen. Es gab keine Stromknappheit. Die Abschaltung der Kernkraftwerke hat sich nicht negativ ausgewirkt auf die Stromversorgung im Winter."

Deutschland verbrennt so wenig Kohle wie zuletzt 1959

Dabei mussten die Stromversorger auch nicht häufiger auf Kohlekraftwerke zurückgreifen, sondern ganz im Gegenteil: 2023 verbrannte Deutschland – trotz des Atomausstiegs – so wenig Kohle in Kraftwerken wie zuletzt 1959. In den Monaten Januar und Februar 2024 setzte sich der Abwärtstrend bei der Kohleverstromung weiter fort. So wurden in diesem Winter 29 Prozent weniger Kohle verbrannt als im Jahr zuvor.

Viel mehr Strom aus Photovoltaik und Windkraft

Der Verbrauch von Erdgas für die Stromerzeugung blieb konstant. Auf der anderen Seite stieg die Produktion von Strom aus Wind und Sonne während der Wintermonate im Jahresvergleich um ein Drittel auf ein neues Rekordhoch. Das ist einerseits dem Ausbau von Windkraft und Photovoltaik zu verdanken, andererseits aber auch den günstigen Wetterbedingungen. Im Ergebnis kam deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Quellen als aus fossilen.

Grafik: Stromerzeugung 2023

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2023 wurde deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als aus fossilen. Kernenergie und Importe fielen wenig ins Gewicht.

Grafik: Stromerzeugung 2024 (bis Februar)

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Auch ohne Kernenergie hat Deutschland in den Wintermonaten 2024 wieder Strom exportiert.

Stromhandelsbilanz ziemlich ausgeglichen

Dadurch verbesserte sich die Klimabilanz der deutschen Stromerzeugung im Jahresvergleich merklich – und das trotz des Ausstiegs aus der Kernkraft. Die Strommengen aus den drei Atomreaktoren, die bis April 2023 noch liefen, machten auch im vergangenen Jahr nur einen geringen Anteil der gesamten Produktion aus. Einen ebenfalls kleinen Anteil hat Deutschland 2023 importiert. Während der Wintermonate dagegen kehrte sich das um und es wurde etwas Strom exportiert.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen des BR24-Formats "Dein Argument"  ergänzt. Hintergrund ist ein Kommentar des Users "Smike" zu den möglichen finanziellen Verlusten durch Stromimporte und -exporte Deutschlands.

In früheren Jahren hat Deutschland hingegen im Winter sehr viel Strom exportiert. Dieser Exportüberhang ist in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt verschwunden. Das ist unter anderem eine Folge des Atomkraft-Ausstiegs, aber auch des steigenden CO2-Preises, der deutsche Kohlekraftwerke unrentabler gemacht hat.

Im Sommer 2023 führte Deutschland mehr Strom ein als es exportierte. Unter dem Strich haben deutsche Stromkunden dadurch Geld gespart, weil Kraftwerke im Ausland billiger liefern konnten als fossile Kraftwerke in Deutschland. Sowohl die deutschen Stromimporte als auch die -exporte kamen 2023 überwiegend erneuerbaren Quellen. Nach Zahlen des Thinktanks Agora Energiewende [externer Link] stammten 49 Prozent des im vergangenen Jahr importierten Stroms aus erneuerbaren Energien, 24 Prozent aus Kernkraft. Beim aus Deutschland exportierten Strom stammten 57 Prozent aus erneuerbaren Quellen. 💬

Strom- und Gasverbrauch in Deutschland

Der Verbrauch von Strom und Gas in Deutschland ist unterdessen gesunken – zum Teil wegen Produktionsrückgängen in der Industrie, aber auch wegen erfolgreicher Einsparmaßnahmen in der Wirtschaft und den Haushalten. Gerade beim Energiesparen sei die Bilanz erfreulich, betont Marco Wünsch, Energieexperte bei der Prognos AG, die unter anderem auch regelmäßige Gutachten für die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) erstellt. Man hätte erwarten können, dass die Menschen nach einem Jahr die Lust am Energiesparen verlieren, meint er. Aber: "Das ist nicht so. Die Leute sparen weiter, die Haushalte sparen weiter, die Betriebe sparen weiter. Auch in Büros wird weiter Gas und Strom gespart. Das ist gut."

Milder Winter senkt den Energieverbrauch

Dazu kam Glück mit dem Wetter: Der Winter war wieder außerordentlich mild. Das hat in Deutschland zwar nicht allzu große Auswirkungen auf den Stromverbrauch, weil nur wenig mit Strom geheizt wird. Umso mehr aber auf den Gasverbrauch. Der gesunkene Erdgasverbrauch hat zusammen mit der Erdgas-Import- und Bevorratungspolitik der Bundesregierung dafür gesorgt, dass der Gaspreis gesunken ist. Das wirkt sich über die Produktionskosten von Erdgaskraftwerken auch direkt auf den Strompreis aus.

Strom und Gas kosten an der Börse inzwischen wieder so wenig wie 2021 vor der Energiekrise. Bei Neuverträgen ist diese Preissenkung inzwischen auch in den einzelnen Haushalten angekommen – und das trotz der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke.

Grafik: Haushaltsstrompreis für Neukunden

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Der Strompreis für Haushaltskunden ist wieder auf dem Niveau wie vor der Krise - wenn man den Stromanbieter wechselt.

An Bestandskunden geben die Stromversorger den Preisrückgang jedoch nur mit Verzögerung weiter. Laut Norbert Endres von der Verbraucherzentrale Bayern sind bei Neuverträgen inzwischen wieder Strompreise von 26 Cent pro Kilowattstunde im Angebot. Trotzdem gebe es noch Kunden, die über 40 Cent bezahlen. „Hier empfehle ich dringend zumindest einen Tarifwechsel. Es muss nicht immer gleich ein Anbieterwechsel sein.“

Im europäischen Strommarkt fallen die deutschen Kernkraftwerke kaum ins Gewicht

Dass sich der schrittweise Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft in den Preiskurven der vergangenen Jahre nicht abgebildet hat, ist nach Ansicht von Bruno Burger von Fraunhofer ISE kein Wunder. Dafür sei der Anteil der deutschen Kernkraft an der Stromproduktion schlicht zu gering gewesen: "Wir sind ja integriert in den europäischen Strommarkt. Und ob in Europa drei Kernkraftwerke fehlen oder nicht, das macht bei den Strompreisen so gut wie nichts aus."

Boom der erneuerbaren Stromerzeugung

Andere, stärkere Effekte haben die Abschaltung der Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland im vergangenen Jahr überlagert. Neben den beschriebenen Entwicklungen im Inland war das unter anderem auch ein internationaler Boom der erneuerbaren Stromerzeugung, so Marco Wünsch von Prognos: "Der Ausbau von Photovoltaik war sehr stark in Europa." Und zwar flächendeckend, von den klassischen Sonnenländern Spanien und Portugal über Polen, Tschechien und Holland bis selbst nach Skandinavien.

Auch die Wasserkraft lieferte im vergangenen Winter wieder mehr Strom als im Jahr zuvor, als vor allem der Süden Europas unter Dürre litt. Und: Die Produktion der französischen Atomkraftwerke stabilisierte sich wieder, nachdem im Vorjahr viele Reaktoren wegen verschleppter Wartungsarbeiten stillstehen mussten.

Bei AKW-Weiterbetrieb: Börsenstrompreis eventuell um ein paar Prozent niedriger

Andererseits: Wenn – theoretisch – die letzten drei deutschen Atomkraftwerke noch am Netz wären und das Stromangebot höher, dann würde das nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage den Strompreis weiter drücken – aber nur in sehr engen Grenzen. Nach Berechnungen der Prognos AG wäre der Strompreis in diesem Fall pro Kilowattstunde um 0,3 Cent niedriger. Das entspricht für Haushalte etwa einem Prozent ihrer Stromrechnung. "Im Bereich, dass es niemand merken würde", resümiert Marco Wünsch.

Der für energieintensive Unternehmen relevante Börsenstrompreis könnte mit einem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke nach der Prognos-Rechnung heute theoretisch vier bis fünf Prozent niedriger sein.

Prognose zum Preiseffekt der Atomkraft teils revidiert

Vor zwei Jahren hatte eine Forschungsgruppe der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) prophezeit, dass ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke den Strompreis um bis zu zwölf Prozent senken würde. Von Befürwortern der Atomkraft wurde diese Kurzstudie [externer Link] damals häufig zitiert.

In Wirklichkeit sind die Preise für Strom und Gas jetzt allerdings auch ohne Kernkraft weit niedriger als damals gedacht, gibt der Hauptautor der Studie, Jonas Egerer, zu: "Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass das System damit umgehen konnte und die Strompreise sich entsprechend des weiteren Zuwachses der Erneuerbaren normalisieren." Die Prozentzahlen aus seiner Studie von damals stimmen aus Egerers Sicht auch heute noch. Allerdings seien die Auswirkungen in Euro und Cent eben bei niedrigeren Preisen auch deutlich niedriger.

Die oft zitierten zwölf Prozent Preissenkung durch Atomkraft waren ohnehin nur ein Extremwert aus vielen Szenarien in der FAU-Studie – andere sahen eine Auswirkung von weniger als fünf Prozent. All das ist jedoch ohnehin inzwischen in der Praxis nicht mehr relevant. Denn, so Egerer: "Das Thema Kernkraft ist in Deutschland abgeschlossen."

Physische Knappheit von Strom und Erdgas überwunden

2022, als die FAU-Studie entstand, hatte Europa eine physische Knappheit vor allem von Erdgas erlebt. Denn Russland hatte die Lieferung von Pipeline-Gas nach Deutschland gestoppt und die deutschen Erdgasspeicher mussten laut Gesetz binnen kurzer Zeit aufgefüllt werden. Diese Knappheit bedingte Knappheitspreise, erläutert Egerer.

Aber diese Phase ging deutlich schneller vorbei als gedacht. Dank des Ausbaus von LNG-Terminals durch die Bundesregierung, aber auch weil die europaweite Koordinierung bei der Bewältigung der Gasknappheit funktioniert hat. Für 2024 hatte die FAU-Studie noch einen Gaspreis von zwölf Cent pro Kilowattstunde angenommen, in Wirklichkeit liegt er inzwischen unter drei Cent.

Krise vorbei – aber noch viel zu tun

Ist also die Energiekrise vorbei? Einerseits ja. Die Richtung bei der Entwicklung von Energiepreisen und CO2-Ausstoß stimmt. Andererseits – da sind sich die Experten Burger, Wünsch und Egerer einig – bleibt trotzdem noch viel zu tun. Klar ist: Je weniger Erdgas Deutschland und Europa verbrauchen, zum Beispiel beim Heizen, und je stärker die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ausgebaut wird, desto weniger verwundbar wird unser Energiesystem. Und desto klimafreundlicher.

Dieser Artikel ist erstmals am 12. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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