Ergonomie-Coach Monika Frötschl und Heinrich Lehner stehen an einem Gapelstapler, an dem er gerade einen Sitz montiert.
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Ergonomie-Coach Monika Frötschl gibt Heinrich Lehner Tipps für die Montage.

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Fit in der Firma: Was Betriebe für die Gesundheit tun können

Sind die Beschäftigten gesund, geht es auch dem Unternehmen gut: Eine vermeintlich einfache Gleichung, die Firmen oft aber nicht berücksichtigen. Wie sich die Gesundheit im Betrieb fördern lässt - ein Positiv-Beispiel.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wenn Monika Frötschl durch die Hallen von Jungheinrich läuft, entgeht ihr nichts. Sie ist Ergonomie-Coach und soll den Beschäftigten im Werk Moosburg-Degernpoint Tipps und Übungen zeigen, die ihnen die Arbeit erleichtern. Schließlich werden hier schwere Gabelstapler zusammengeschraubt, was bei falscher Haltung schnell Nacken, Rücken oder Knie belasten kann.

Heinrich Lehner etwa sollte sich besser in den Stapler hineinsetzen, findet Frötschl, während er einen Sitz montiert. Der 61-Jährige arbeitet seit 25 Jahren bei Jungheinrich, seit einem Unfall im Haushalt hat er ein künstliches Schultergelenk. Problemlos habe er danach in eine andere Abteilung wechseln können, erzählt er. Auf eigenen Wunsch habe er außerdem einen Stehhocker und ein kleines Podest bekommen. "Man versucht hier, dass man bis zum Rentenalter arbeiten kann - das finde ich sehr gut", sagt Lehner.

Jungheinrich in Moosburg: Krankenstand über die Jahre halbiert

Das Werk von Jungheinrich ist ein Positiv-Beispiel dafür, was sich mit Hilfe betrieblicher Gesundheitsförderung erreichen lässt. 2017 begonnen, hat das Unternehmen nach eigenen Angaben seinen durchschnittlichen Krankenstand seitdem von zehn Prozent auf etwa fünf Prozent halbiert – der beste Wert unter allen sechs deutschen Standorten.

Doch solche Entwicklungen seien eher die Ausnahme als die Regel, sagt Simon Hahnzog. Der Wirtschaftspsychologe hat jahrelang in München und Augsburg zur Gesundheit in Betrieben geforscht und inzwischen eine eigene App dafür entwickelt. In den vergangenen 15 Jahren habe sich zwar viel verbessert, bilanziert Hahnzog. Aber: "In der breiten Masse ist die betriebliche Gesundheitsförderung noch nicht so angekommen, dass sie wirkt."

Gesundheitsförderung wird statistisch nur wenig erfasst

Wer das Thema in Statistiken fassen will, stößt schnell an Grenzen. Laut dem GKV-Spitzenverband investierten die gesetzlichen Krankenkassen 2022 mehr als 257 Millionen Euro in die betriebliche Gesundheitsförderung. (Zahlen für einzelne Bundesländer liegen nicht vor.)

Doch darin ist noch nicht einmal erfasst, wie viel Geld die Unternehmen selbst ausgaben, um etwa ergonomische Maschinen oder andere Hilfsmittel anzuschaffen. "Hier gemeinsame Zahlen zu finden, wer welche Investitionen wo und wie tätigt, ist schier unüberschaubar", sagt Hahnzog.

Studie: Deutsche Wirtschaft wegen Krankenstand in der Rezession

Aus Sicht der Krankenkassen ist dennoch klar, dass es eine "Offensive für das betriebliche Gesundheitsmanagement" brauche, wie kürzlich DAK-Chef Andreas Storm sagte. Die DAK hat ausgewertet, dass jeder Beschäftigte im vergangenen Jahr im Schnitt 20 Tage im Job fehlte - ein Rekordwert.

Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (VFA) macht den Krankenstand sogar für die jüngste Rezession verantwortlich, als das Bruttoinlandsprodukt hierzulande um 0,3 Prozent schrumpfte. "Ohne die überdurchschnittlichen Krankentage wäre die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 Prozent gewachsen", heißt es in einer Studie.

Warum die Gesundheitsförderung zuerst aus der Chefetage kommen muss

Wer als Unternehmen deshalb für die Gesundheit der Beschäftigten - und damit auch etwas für die eigene wirtschaftliche Bilanz - tun will, muss ganz oben anfangen. "Das ist Chefsache", sagt Wirtschaftspsychologe Hahnzog, der dafür ein eigenes 7-Schritte-Modell entwickelt hat. Dieses sieht unter anderem vor, den Ist-Zustand zu analysieren, ein eigenes betriebliches Gesundheitsmanagement einzurichten mit Personal und Budget sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sensibilisieren.

Doch nur wenn die Firmenleitung vorgebe und vorlebe, wie wichtig sie Gesundheit nimmt, könne sich das Thema dauerhaft bei Teamleitern, Betriebsrat und Beschäftigten verankern. "Es ist ein harter Prozess, weil man viel an der Kopfhaltung der Belegschaft und der Kultur des Unternehmens arbeiten muss", räumt auch Jungheinrich-Geschäftsleiter Lars Planko ein. Er hatte ganz am Anfang eine Selbstverpflichtung unterschrieben und ausgehängt, die ihm bis heute als Maßstab gilt.

Krankenkasse wertet anonym die Krankmeldungen aus

Inzwischen kümmert sich eine Vollzeitkraft im Werk um das betriebliche Gesundheitsmanagement, es gibt ein festes Budget und jeden Monat einen Aktionstag zu einem anderen Schwerpunkt. Einmal war beispielsweise der ehemalige Skispringer Sven Hannawald zu Gast, um über Burnout zu sprechen.

Jedes Jahr wertet zudem die AOK Bayern anonymisiert die Krankmeldungen aus und reicht die Daten an das Unternehmen weiter. Auf dieser Basis würde dann das Gesundheitsprogramm angepasst, erklärt Planko. Dies sei zuvor eng mit dem Betriebsrat abgestimmt worden, fast alle Beschäftigten würden es gutheißen.

Gesundheit hilft gegen den Fachkräftemangel

"Ein geringer Krankenstand zeugt auch immer von einer hohen Motivation", sagt der Geschäftsleiter. In Zeiten des Fachkräftemangels sei die Gesundheit der Mitarbeiter umso wichtiger. Natürlich gebe es immer mal irgendwo einen Nörgler, erzählt Heinrich Lehner in der Werkshalle. "Aber das ist ein Fehler." Man müsse sich nur zu Wort melden, dann werde geholfen - wie sein ergonomischer Stehhocker beweist.

Das Gleiche gelte übrigens auch für die Unternehmen selbst, merkt Wirtschaftspsychologe Hahnzog an. Statt ziellos einen Obstkorb aufzustellen oder ein Fitness-Abo abzuschließen, sollten Betriebe im ersten Schritt einfach mal die Belegschaft fragen. Zum Beispiel: Was heißt "gesund" für euch - und was braucht ihr eigentlich?

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