"Die Welt zu Gast bei Freunden", das war das Motto der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Einer Weltmeisterschaft, die bis heute vor allem unter dem "Sommermärchen" firmiert. Es war ein völkerverbindendes Fest der Freude, das damals am 9. Juni mit einem Traumtor von Philipp Lahm eröffnet wurde. Es war der Sommer, in dem Deutschland das "Public Viewing" - und das "Public Jubeln" - kennengelernt hat.
Und das Motto stimmte: In der Tat hat "die Welt" nicht nur die kompromisslose, aber doch auch oft biedere Turniermannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (die am Ende Dritter wurde), sondern ein ganz neues, offenes, feierwütiges und herzliches Deutschland erleben dürfen. Es war der wohl unbeschwerteste Sommer der Bundesrepublik in diesem Jahrtausend, bedeutend auch aus gesellschaftlicher Sicht für das Land.
- Die BR-Doku "Beckenbauer" ist seit 2. Januar 2024 in der ARD Mediathek zu sehen sowie am 9. Januar ab 20.15 Uhr im BR Fernsehen.
- Ergänzend zur TV-Doku: der vierteilige Podcast "Beckenbauer - Der letzte Kaiser von Deutschland. Erzählt von Sebastian Bezzel
Im Video: Klaus Augenthaler über Franz Beckenbauer
"Ohne Franz hätten wir diese WM nie gehabt"
"Ohne Franz hätten wir diese WM nie gehabt", sagen nicht nur der FC-Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß und der ehemalige Bundestrainer Joachim Löw, sondern im Grunde alle Deutschen unisono, die in irgendeiner Weise mit dem Fußball zu tun haben. Gemeint ist damit natürlich Franz Beckenbauer. Ganz unrecht haben sie nicht. Ehe der FIFA-Präsident Joseph S. Blatter am 6. Juli 2000 verkünden konnte, "And the winner is: Deutschland", musste Franz Beckenbauer dafür werben. Er war Chef des Organisationskomitees (OK), zog die Bewerbung auf die deutsche Seite. Im finalen Durchgang setzte sich die DFB-Bewerbung mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika (dann Ausrichter 2010) durch.
Sein Name, sein Charme, aber auch seine einstige Grazie auf dem Fußballplatz kamen ihm dabei zupass: Franz Beckenbauer, "der Kaiser", gehörte und gehört zu den wenigen, die die Menschen bis in den hintersten Winkel der Erde der Bundesrepublik Deutschland zuordnen können. Taxifahrer in fernen Ländern wollen mit deutschen Gästen schlicht über "Beckenbauer" reden. Und anders als ein in der Bundesrepublik konstruiertes Auto konnte er halt auch noch sprechen - und hatte dabei immer einen Witz auf den Lippen.
Im Video: "Wie ein Siebener oder Achter im Lotto"
"Tour de Franz": Alle 31 anderen Teilnehmerländer besucht
Die Wichtigkeit des Vorhabens war Beckenbauer stets bewusst. Er sagte in einem ARD-Porträt zum 70. Geburtstag: "Die Weltmeisterschaft ist wie in 7er oder ein 8er im Lotto. Das kriegst du nur einmal im Leben. Ich wollte eine Weltmeisterschaft in Deutschland aber noch erleben. Und das ging nur 2006, und das wussten wir."
Er, der als Spieler und als Trainer Weltmeister wurde, hat so also auch noch eine Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland gebracht. Dieses Kunststück ist ihm eigen, es wirkte damals so, als ob dem Franz einfach alles gelänge. Vor der WM hat er dann als "Reisekaiser" in seiner "Tour de Franz" noch alle anderen 31 Teilnehmerländer besucht.
Nach "Spiegel-Recherchen": Die Lichtgestalt tritt in den Schatten
Die Freude in Deutschland, beeindruckend festgehalten in Sönke Wortmanns Sommermärchen-Film, werden für immer bleiben. Seit einer Recherche des Magazins "Der Spiegel" aus dem Jahr 2015 liegt jedoch auch ein tiefer Schatten auf dem sonnigen Sommer, Beckenbauer wurde mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, ausgeräumt werden konnten diese nie. Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs ließ sich danach nicht mehr richtig ausleuchten, mied die Öffentlichkeit.
Mit einer Leichtigkeit war er auf dem Rasen wie auch im Leben immer an den Problemen vorbeigedribbelt – ob sie nun steuerlich oder familiär waren. Bei Beckenbauer als Person der Zeitgeschichte war so vieles davon öffentlich, doch dieses Mal sollte es anders sein. Das Land reagierte mit Ablehnung.
Im Video: Beckenbauer - "der Beste seiner Zeit"
Verschlungene Wege des Geldes und der brisante Warner-Vertrag
Fakt ist: Vor und nach der Vergabe floss viel Geld um den Erdball. Der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus lieh dem Organisationskomitee um Beckenbauer eine Summe von zehn Millionen Schweizer Franken, berichtete "Der Spiegel". Über verschlungene Wege landeten die letztlich in Katar, am Ende der Kette stand der frühere katarische Fußballfunktionär Mohammad bin Hammam.
Zudem wurde bei einer internen DFB-Untersuchung ein Vertragsentwurf von kurz vor der WM-Vergabe gefunden, auf dem sich laut DFB-Angaben Beckenbauers Unterschrift fand. Im Entwurf wurden dem Fußballfunktionär Jack Warner aus Trinidad und Tobago, der bei der Vergabe mitstimmte, nach "Spiegel"-Angaben Leistungen wie 1.000 WM-Eintrittskarten der teuersten Kategorie zugesagt.
"Ohne Franz hätten wir nicht so viele Stimmen bekommen. Ja, verdammt nochmal, welche Großveranstaltung ist in den letzten Jahren nicht gekauft worden?", sagte sein ehemaliger Weggefährte Paul Breitner im ARD-Film "Der Fall des Kaisers" im Jahr 2017 entrüstet. Außerhalb des Fußball-Kosmos wuchs dagegen die Zahl der Kritiker.
Beckenbauer: "Ich habe immer blind unterschrieben"
Beckenbauer selbst zog sich in dieser Zeit zurück, gab lediglich der "Süddeutschen Zeitung" ein seitenlanges Interview. Ein Satz zum Werner-Vertrag blieb im kollektiven Gedächtnis: "Ich habe immer blind unterschrieben."
Er erklärte dies so: "Wissen Sie, was ich damals alles unterschrieben habe? Tausende von Briefen, Tausende von Erklärungen, Tausende Vereinbarungen. Ich habe immer alles einfach unterschrieben, ich habe sogar blanko unterschrieben. Ich war ja nicht nur für die WM unterwegs, ich habe ja etwas anderes auch noch zu tun gehabt. Ich war Präsident des FC Bayern, ich hatte meine ganzen Sponsoren, ich hatte meine Fernsehauftritte. Damit kam ich ja teilweise auf über 300 Reisetage im Jahr."
Louis-Dreyfus erhält sein Geld vom WM-Ausrichter zurück
Einer möglichen Anklage durch die Schweizer Bundesanwaltschaft im Jahr 2019 entging Beckenbauer aufgrund eines Attests seiner Ärzte. Der Fußball-Weltverband eröffnete zwei Jahre später wiederum kein Verfahren gegen Beckenbauer, weil die möglichen Korruptionshandlungen damals schon verjährt waren.
Der im Jahr 2009 verstorbene Louis-Dreyfus bekam sein Geld erst 2005 zurück – allerdings vom WM-Ausrichter, der das Geld wiederum von der FIFA bekommen hatte: "deklariert als Zuschuss für eine WM-Gala, die nie stattfand", so fand es die "Süddeutsche Zeitung" heraus.
Ehrenamtliche Tätigkeit als WM-OK-Chef doch vergütet
Beckenbauers Glaubwürdigkeit bekam zudem weitere Dellen. Moralisch zum Vorwurf wurde ihm, dass er für seine öffentlich als ehrenamtlich deklarierte Tätigkeit als OK-Chef doch eine Vergütung erhielt: insgesamt 5,5 Millionen Euro vom Sportwettenanbieter Oddset.
Uli Hoeneß, Joachim Löw und all die anderen Fußball-Experten haben schon Recht: Franz Beckenbauer war der, der das Sommermärchen in Deutschland erst ermöglichte. Auch die ehemaligen deutschen Spitzenpolitiker Otto Schily, Wolfgang Schäuble und Joschka Fischer haben Franz Beckenbauer im Skandal um die WM 2006 in der ARD-Dokumentation "Beckenbauer" zuletzt in Schutz genommen. Er wird auf ewig mit dem strahlenden WM-Sommer 2006 verbunden bleiben, selbst die Sonne zeigte sich "dem Kaiser" und seinem Fußballvolk damals gnädig. Ob jedoch am Ende das Licht oder doch der Schatten überwiegt in der Nachbetrachtung des Fußballturniers, das kann auch zum heutigen Zeitpunkt immer noch nicht zweifelsfrei gesagt werden.
Am vergangenen Sonntag ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren verstorben.