Könnte KI bald mit diesem Karmingimpel reden, ohne dass wir Menschen mitreden können?
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Könnte KI bald mit diesem Karmingimpel reden, ohne dass wir Menschen mitreden können?

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Wenn KI zum Tierflüsterer wird

Die Menschheitsgeschichte ist voll von Erzählungen über die Fähigkeit, mit Tieren reden zu können. KI könnte vielleicht schon bald dazu in der Lage sein - ohne, dass wir Menschen davon etwas mitbekommen.

Es ist ein Gefühl, das jeder Haustierhalter kennen dürfte, egal ob Hund, Katze oder Meerschweinchen: Man liebt das Tier ja eigentlich – aber manchmal würde man ihm wirklich gerne mal die Meinung geigen. Wie kann man dem kuschelbedürftigen Hund nur klarmachen, dass man jetzt gerade wirklich keine Zeit hat, weil ausnahmsweise eben die Steuererklärung Vorrang hat?

Dieser Wunsch ist nicht besonders neu: Die Menschheitsgeschichte ist voll von Sagen und Legenden über die Fähigkeit, mit Tieren reden können, von König Salomo bis Dr. Dolittle. Nun könnte künstliche Intelligenz dabei helfen, den ersehnten Durchbruch zu machen.

Erfüllt KI einen alten Menschheitstraum?

Daran arbeiten unter anderem die Wissenschaftler beim Earth Species Project. 2017 gegründet, hat das Projekt ein nicht gerade bescheidenes Ziel: Nichts Geringeres als die Sprachen sämtlicher Tierarten für Menschen verstehbar zu machen. Dafür arbeiten zahlreiche Forscherinnen und Forscher weltweit zusammen. Die meisten von ihnen sind nicht etwa Biologen oder Verhaltenswissenschaftler – sondern KI-Experten.

Dies ist nur im allerersten Moment überraschend. Denn KI eignet sich quasi von Natur aus sehr gut dafür, fremde Sprachen zu übersetzen. Nicht umsonst haben die aktuell beeindruckendsten Beispiele generativer KI alle auf die ein oder andere Art mit Sprache zu tun. Bei sogenannten Large Language Models wie ChatGPT ist das offensichtlich, aber auch KI-Bildgeneratoren nutzen letztlich Sprache und denken in Sprache – auch wenn die Sprache von Pixeln und Farben kaum noch etwas mit der menschlichen gemein hat.

KI ist gut darin, fremde Sprachen zu lernen – auch die von Tieren

KI-Programme erlernen diese Sprachen, indem sie gigantische Mengen an Daten analysieren und darin komplexe Muster erkennen, die Menschen vielleicht verborgen bleiben. Im Gegenzug zu menschlicher Sprache – das Internet ist voll von Wörtern – sind diese Datenmengen bei tierischer Kommunikation zwar prinzipiell vorhanden, aber noch bei weitem nicht erschlossen. Walgesänge, Vogelgezwitscher und Hundegebell zu sammeln und daraus große Datenbanken zu erstellen, sei deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der Forschung, erklärt Felix Effenberger. Der Computerwissenschaftler und Neurologe arbeitet in Frankfurt, auch für das Earth Species Project.

KI könnte irgendwann mit Tieren reden – ohne, dass wir etwas davon mitbekommen

Doch Tierlaute genauer zu verstehen und zu entschlüsseln ist nur die eine Hälfte des Menschheitstraums. Mindestens genauso faszinierend ist der Gedanke, sich Tieren auch mitteilen zu können – und damit wirklich in einen Dialog zu treten.

Felix Effenberger und seine Kollegen vom Earth Species Project arbeiten gerade an KI-Modellen, welche die Rufe von Zebrafinken imitieren sollen und auf diese Art lernen, die Rolle eines Konversationspartners einzunehmen. "Eine Art Zebrafink-GPT, wenn man so will", sagt Effenberger. Wie gut das am Ende funktionieren wird, sei noch nicht absehbar. Es könnte am Ende sein, dass die Zebrafink-KI sich fröhlich mit anderen Vögeln unterhalten, "aber wir trotzdem nicht sofort wissen werden, über was sie reden."

Sind Tiersprachen zu komplex, um von Menschen verstanden zu werden?

Einer der Gründe dafür: Tiere kommunizieren multimodal – also nicht nur über Geräusche, sondern auch durch Gerüche, optische Signale wie buntes Federkleider oder Muster auf der Haut sowie durch Tänze und andere Verhaltensweisen.

Damit sind sie uns Menschen nicht unähnlich. Nonverbale Kommunikation ist schließlich ein wichtiges Element zwischenmenschlichen Austauschs. Nur ist vermutlich das Verhältnis von nonverbaler zu verbaler Kommunikation bei Tieren ein anderes als beim Menschen. Bei Menschen werden wesentlich mehr und komplexere Informationen über Sprache vermittelt – und eine KI, die menschliche Sprache beherrscht, ist dementsprechend zu mehr Interaktion fähig als eine, die nur den klanglichen Aspekt tierischer Kommunikation abdeckt.

Innenleben der Tiere womöglich ganz anders als bei Menschen

Ohnehin sei nicht zu erwarten, dass tierische "Sprachen" ein ähnliches Niveau an Komplexität haben wie menschliche, erklärt Effenberger. Eher handle es sich um Gesänge, die grundlegende Stimmungen und Emotionen ausdrücken, und nicht klare inhaltliche Konzepte – schon gar nicht Konzepte wie Steuererklärung oder Arbeitszeiten.

Dazu kommt: Die Lebens- und Erfahrungswelt vieler Tiere dürfte sich von der menschlichen stark unterscheiden. Beispielsweise haben Fledermäuse mit ihrem Ultraschall eine Sinnebene, die Menschen wohl nie ganz nachvollziehen werden können – egal wie gut KI darin wird, Kommunikation von Tieren zu entschlüsseln.

Wird sich unser Verhältnis zur Tierwelt ändern, wenn KI uns hilft, sie besser zu verstehen?

Im Jahr 1970 bringt das Biologen-Ehepaar Roger und Katherine Payne eine Schallplatte heraus: die "Songs of the Humpback Whale". Die Aufnahmen von Walgesängen verkaufen sich in kürzester Zeit über 100.000 Mal, machen über Nacht Platin und brennen sich in das kollektive Bewusstsein der Menschheit ein. Mit ungeahnten Folgen: Bald nach Veröffentlichung des Albums werden mehrere internationale Abkommen verabschiedet, die bis dahin unregulierten Walfang massiv einschränken.

In Zeiten von Klimawandel und Artensterben erhofft sich Felix Effenberger einen ähnlichen Effekt von der neuen KI-Forschung zu Tierstimmen: "So wie die Erfindung des Teleskops den Menschen klargemacht hat, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, hoffen wir, dass das bessere Verständnis von Tierkommunikation mithilfe von KI die Menschen erkennen lässt, dass wir auch nicht das Zentrum der Biosphäre auf der Erde sind."

🎧 Wie schnell entwickelt sich KI weiter? Und welche Programme sind in meinem Alltag wirklich wichtig? Antworten auf diese und weitere Fragen diskutieren Gregor Schmalzried, Marie Kilg und Fritz Espenlaub jede Woche in "Der KI-Podcast" – dem neuen Podcast von BR24 und SWR.

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