Ex-Veranstaltungs-Chef auf dem Web Summit 2022
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Web Summit

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Web Summit: Netzkonferenz im Schatten der Israel-Debatte

Derzeit findet in Lissabon das größte europäische Netz- und Startup-Treffen statt. Doch Anti-Israel- Äußerungen vom bisherigen Veranstaltung-Chef Paddy Cosgrave haben den Summit unter Druck gebracht. Der deutsche Wirtschaftsminister sagte ab.

Der Skandal um Paddy Cosgrave kam nicht wirklich unerwartet. Der gebürtige Ire hatte den Web Summit, das größte europäische Netz- und Startup-Treffen, 2009 in Dublin mitgegründet und zu einer Institution in der Internet- und Startup-Szene aufgebaut. Seit 2016 findet der Kongress permanent in Lissabon statt. Inzwischen lockt die Veranstaltung regelmäßig über 70.000 Menschen an.

Doch schon seit mehreren Jahren zieht Cosgrave immer wieder auch Kritik auf sich. Mal hieß es, er führe sein Unternehmen nach Gutsherrenart. Mal musste er sich entschuldigen, weil er den Erfolg einer App für sich reklamierte, die andere entwickelt hatten. Dann wurde er von einem Schriftsteller wegen Diffamierung verklagt oder musste auf öffentlichen Druck hin, die Einladung der rechtsextremen französischen Politikern Marine Le Pen zurückziehen.

Anti-Israel-Posts auf X

Nun hat er das Fass zum Überlaufen gebracht mit Kommentaren auf der Plattform X, in denen er Israels Vorgehen nach den Hamas-Attacken heftig kritisierte. Er stellte am Tag der Hamas-Attentate eine Rechnung auf, in der er die Totenzahlen auf israelischer und auf palästinensischer Seite gegenüberstellte. Die Zahl der Palästinenser lag deutlich höher, was viele werteten, als wolle Cosgrave Israel als Täter abstempeln. Cosgrave legte noch nach und schrieb "Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, auch wenn sie von Verbündeten begangen werden".

Mit seinen Äußerungen löste er einen Protest-Sturm aus. Israelische Tech-Unternehmer riefen zum Boykott des Web Summit auf. Auch der geplante Auftritt von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geriet in die Kritik. Und da gleichzeitig die portugiesische Regierung in eine Krise schlitterte und sogar Ministerpräsident António Costa zurücktrat, wurde Habecks Reise abgesagt.

Auf der Veranstaltung fehlen jetzt viele Branchengrößen

Dass sich Cosgrave zuvor noch entschuldigt hatte und der Hamas einen "bösen, ekelhaften, monströsen Angriff" vorwarf, hatte die Entscheidung des deutschen Wirtschaftsministers genauso wenig abwenden können, wie die Absage vieler Branchengrößen. Unter anderem zogen Meta und Google zurück. Mit Intel und Siemens sagten sogar zwei der großen Sponsoren der Veranstaltung ab. Der Druck wurde offenbar zu groß: am 21. Oktober trat Cosgrave als Chef des Unternehmens Manders Terrace zurück, das hinter dem Web Summit steht.

Nachfolgerin versucht einen Strich unter die Affäre zu ziehen

Katherine Maher, früher Leiterin der Stiftung hinter Wikipedia, hat nun das Ruder übernommen. Sie eröffnete den Kongress mit einer Rede, in der sie Cosgraves Aussagen indirekt kritisierte: "Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung zu haben und das Gewicht der eigenen Worte zu bedenken sind zwei unterschiedliche Dinge". Maher zufolge konnten aber weder der Skandal um Cosgrave noch die portugiesische Regierungskrise der Veranstaltung etwas anhaben. Angeblich kamen 900 Investoren, deutlich mehr als erwartet. Und mit fast 2.700 Startups gab es laut der neuen Chefin einen Rekord.

Cosgrave profitiert weiter vom Web Summit

Sollte der Web Summit weiterhin gut laufen, kann das dem zurückgetretenen Ex-Chef nur Recht sein. Paddy Cosgrave profitiert nämlich weiterhin vom Erfolg des Tech-Treffens. Ihm gehören noch immer gut 80 Prozent von Manders Terrace, wie das Unternehmen gegenüber BR24 bestätigt hat. Der Web Summit ist also weiterhin im wesentlichen Cosgraves Firma.

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