Otfried Preußlers Figuren waren und sind in unendlich vielen Kinderzimmern zu Gast.
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Otfried Preußler hat Bücher geschrieben, über die man sagen kann, sie sind im besten Sinn des Wortes zeitlos.

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Wunderschön zeitlos: Zum 100. Geburtstag von Otfried Preußler

Die kleine Hexe, das kleine Gespenst, Räuber Hotzenplotz: Preußlers Figuren waren und sind in vielen Kinderzimmern zu Gast. Er bereicherte die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur auf großartige Weise. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Tief unten auf dem Grund des Mühlenweihers lebten einmal ein Wassermann und eine Wasserfrau." Aus Otfried Preußlers "Der kleine Wassermann"

Es ist nicht irgendein beliebiger Mühlenweiher. Es ist der schönste Mühlenweiher der deutschen Literatur: Schauplatz von Otfried Preußlers Kinderbuch-Debüt "Der kleine Wassermann", 1956 erschienen und nach Auskunft des Autors "so zwischendurch" geschrieben.

Bis heute ein magisches Prosawerk, nicht nur aufgrund der Wasserwelt, in die es Leser und Vorleser entführt. Sondern weil es in den Augen eines kleinen Wesens erzählt wird, sagt Preußler-Biograf Tilman Spreckelsen. "Er erobert sich diesen Mühlenweiher. Und irgendwann kommt er in eine Welt, die ihm komplett fremd ist, nämlich jenseits des Wasserspiegels, wo er sich wundert, was sind das für komische Fische, die da herumschwimmen - er meint die Libellen. Und dann trifft er dort Kinder. Und mit diesen Kindern verständigt er sich vor allem darüber, dass da zwei Perspektiven zusammentreffen und wie diese Perspektiven miteinander vermittelt werden können."

Sagen und Figuren aus Preußlers böhmischer Kinderheimat

Schriftsteller werden wollte Preußler, geboren am 20. Oktober 1923, schon als Schüler im böhmischen Reichenberg, dem heutigen Liberec. Der Zweite Weltkrieg machte diese Pläne erst einmal zunichte. Preußler ging zur Wehrmacht, wurde Leutnant und kam 1944 in Kriegsgefangenschaft.

Fünf Jahre war er in der Sowjetunion interniert, nach der Entlassung ging er nach Rosenheim, zu seiner ebenfalls aus Reichenberg stammenden Verlobten Annelis Kind. In Stephanskirchen bei Rosenheim lebend wurde Preußler Lehrer und arbeitete als Journalist, unter anderem für den BR, er schrieb Features über Krippenkunst und Musikinstrumentenbau in Böhmen. Und er kehrte zurück zur Literatur, begann, für Kinder zu erzählen.

Unter anderem ließ er sich anstiften von den Geschichten, die zu seiner eigenen Kindheit gehörten, sagt Susanne Preußler-Bitsch, die jüngste Tochter des Schriftstellers. Sie lebt im niederbayerischen Landkreis Regen und kümmert sich um den literarischen Nachlass ihres 2013 verstorbenen Vaters. "Er greift ganz stark auf Sagen und Figuren aus seiner böhmischen Kinderheimat zurück: der Wassermann, die Hexe oder auch das kleine Gespenst. Erzählt hat ihm dies seine Großmutter - die Großmutter Dora - ebenso der Vater und seine Mutter. Aus den Sagen und Figuren formte er seine Geschichten. Er hat gesagt, die sind ihm dann irgendwann mal wieder angeschwommen."

Otfried Preußler mit einer Räuber-Hotzenplotz-Marionette auf seiner Schulter.
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Dieser Tage würde der kreative Geschichtenerzähler Otfried Preußler 100 Jahre alt.

Auseinandersetzung mit eigener Biografie

Eine Sage, in diesem Fall eine sorbische, inspirierte den Schriftsteller auch zu seinem bekanntesten Jugendbuch, "Krabat", 1971 erschienen. Die Geschichte eines Waisenjungen, der sich einem Müller und bösen Zauberer andient, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Preußler setzte sich darin auch mit der eigenen Biografie auseinander, mit der Erfahrung, als junger Mensch von einer totalitären Ideologie verführt worden zu sein.

Bezüge zur eigenen Kindheit scheinen in vielen Büchern auf - auch in denen, die ein wenig im Schatten der ganz großen stehen - etwa "Die Flucht nach Ägypten", eine eigene Version der Weihnachtsgeschichte. "Der besondere Gedanke daran ist, das Heilige Land ist immer und überall. Und auch die Prinzipien, die mit Christi Geburt in die Welt kommen, kommen immer und überall in die Welt und werden neu verhandelt. Und das macht dieses Buch, das sehr komische Stellen hat und auch sehr traurige, zu einem herausragenden Erzählwerk", sagt Tilman Spreckelsen.

Ein großartiges und besonderes Erzählwerk

Überhaupt die Auseinandersetzung mit Tschechien, mit der tschechischen Kultur: Preußler sorgte für die Verbreitung tschechischer Kinderbücher in Deutschland, darunter an vorderster Stelle: Josef Ladas "Kater Mikesch". Er wurde ein bedeutender Vermittler zwischen Deutschland und Tschechien, so Spreckelsen. Preußler sei klar gewesen, "das alte Reichenberg gibt es nicht mehr. Da gibt es auch nichts, was man wiederhaben möchte als Vertriebener". Aber der Ausgleich mit den Tschechen und die Freundschaft mit den Tschechen, das sei ihm wichtig gewesen, sagt Spreckelsen. "Und das ist ihm auch gelungen. Auf mehreren Reisen hat er Freunde gewonnen, die er auch ganz tatkräftig unterstützt hat."

Zum 100. Geburtstag von Preußler empfiehlt sich das Abtauchen - in den Mühlenweiher und überhaupt in ein großartiges und besonderes Erzählwerk, bevölkert von anarchistischen Hexen, neugierigen Gespenstern und brummbärigen Räubern. Preußler war davon überzeugt, dass man für Kinder nach besten Kräften schreiben müsse. Und mehr noch: Man müsse für die Kinder leben. Auch dank dieser Haltung sind seine Romane Klassiker geworden - und noch immer gegenwärtig.

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