Vier gut gelaunte ältere Herren posieren unter blauem Himmel für ein Gruppenfoto
Bildrechte: dpa/Alejandro Ernesto

Die Stones vor ein paar Jahren (von links): Der 2021 gestorbene Charlie Watts, Sänger Mick Jagger und die Gitarristen Keith Richards und Ron Wood

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Virtuoses Marketing: Die Rolling Stones und ihr neues Album

Die älteste Rockband der Welt kennt das Showbusiness in- und auswendig. Demnächst erscheint ein lang angekündigtes Studio-Album, das erste nach dem Tod von Drummer Charlie Watts. Gezielt heizen Jagger und Kollegen die Erwartungen der Fans danach an.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Selten etwas so Ausgefuchstes erlebt im Popbusiness wie das publizistische Vorglühen des neuen "Rolling Stones"-Albums. "Hackney Diamonds" soll es heißen, es enthält Aufnahmen, die noch mit Schlagzeuger Charlie Watts entstanden sind sowie Stücke, bei denen Watts-Ersatzmann Steve Jordan die Trommelfelle bearbeitet.

Man wolle nur ein Album veröffentlichen, wenn man wirklich etwas Neues zu sagen habe, ließen die "Glimmer Twins" wissen, der immer noch agile Frontmann der Stones, Mick Jagger und Gitarrist Keith Richards, der notorische bad boy des Rocks. Die Stones, die noch immer der Hauch der Originalgenies umweht, der Mythos der Rockpioniere, absolvierten nach Watts' Tod erst einmal USA- und Europa-Tourneen – erstmals ohne ihr Gründungsmitglied, den wunderbar lakonischen Schlagzeuger Charlie Watts. Er starb im August 2021 an den Folgen einer Kehlkopfkrebs-Erkrankung.

Seitdem tauchten immer wieder mal kurze Film-Schnipsel auf: Die verbliebenen Stones im Studio, die beiden Gitarristen Ron Wood und Keith Richards beim Jammen, kurz kommt Mick Jagger mal ins Bild, während an den Drums jetzt Steve Jordan sitzt, den Richards einst für die Aufnahmen seiner Solo-Alben engagiert hatte.

Erste Spur: Eine Annonce im Londoner Anzeigenblatt

Es folgte eine ominöse Anzeige in einem obskuren Londoner Anzeigenblättchen namens "Hackney Gazette". Am 23. August warb hier auf Seite drei ein Unternehmen namens "Hackney Diamonds – Spezialisten in Glasreparaturen" mit verbindlichem Ton um Kunden, mit cremefarbener Schrift auf rotem Grund.

In der Anzeige präsentierte sich das Glaserei-Unternehmen, das demnächst eröffne und auf dessen Website man sich schon mal umsehen könne. Der Anzeigentext verwies auf ältere Stones-Songs, die Schrifttype erinnerte an das Cover von "Some Girls", eines der besseren Stones-Alben der 1970er Jahre.

Im September solle eine neue Filiale auf der Mare Street eröffnet werden. "Unser freundliches Team verspricht Ihnen Zufriedenheit (Satisfaction)", so der Anzeigentext. "Wenn Sie von uns fordern ‚Geben Sie mir Sicherheit‘ (Gimme Shelter), dann machen wir ihre zerbrochenen (Shattered) Fenster wieder heil."

Was das wohl zu bedeuten hat? Die Stones, die als Rabauken in die Geschichte eingegangen sind, spielen offenbar ironisch mit dem alten Image der bösen Buben.

Mit feinem Witz gegen das alte Rabauken-Image

Klickt man auf die Website des Glaserei-Unternehmens, erscheint ein asiatisch anmutender Schriftzug, der an das Stones-Album "Undercover" von 1983 erinnert (nach diesem Album veröffentlichte die Band 1986 noch "Dirty Work", bevor sie sich für mehrere Jahre auflöste).

Universal Music jedenfalls, die Plattenfirma der Stones, hält sich bedeckt. Bis Mittwoch, den 6. September, soll es keine Informationen zum neuen Stones-Werk geben. Erst an diesem Tag wird etwas zu erfahren sein, um Punkt 15:30 Uhr deutscher Zeit. Bis dahin herrscht Rätselraten: Was wollen Sir Mick und seine Kombattanten mitteilen mit dem verschlüsselten Informationssalat?

Mittwoch: Jimmy Fallon und die Stones live aus Hackney

Am vergangenen Wochenende jedenfalls tauchte ein weiterer Audio-Schnipsel vom neuen Album auf - auf einer neuen, eigens freigeschalteten und sofort völlig überlasteten Website. Und inzwischen haben die Stones auf ihrer großen Promo-Schnitzeljagd noch weitere Hinweise gegeben: "Neues Album, neue Musik, neue Ära", hieß es am Montagabend. Und was Mittwoch passieren soll, wird nun auch immer klarer: Ein Livestream mit US-Talkmoderator Jimmy Fallon wird es wohl sein.

Zumindest als Entrepreneur will es Jagger nochmal wissen

Musikalisch wird das neue Album kaum überraschen. Der Sound der Stones war immer störrischer, ungewaschener, blues-infizierter Rock. Dass sie sich nun auf Hackney kaprizieren, ein Londoner Stadtviertel, könnte darauf schließen lassen, dass sie sich nach dem Tod ihres unaufgeregten Schlagzeugers doch auf ihre britischen Wurzeln besinnen.

Auch wenn Jagger Südlondoner Cockney-Akzent singt, waren die Stones nie eine typisch britische Band, wie es die Kinks mit Songs wie "Waterloo Sunset" oder die Beatles mit "Strawberry Fields" und "Penny Lane" waren (auch wenn Jagger einmal sang, dass in "sleepy London town" kein Platz sei für einen "street fighting man"). Ihre Fans dürften sie als über-national, als international im besten Sinn wahrgenommen haben.

Bisher keine klassische Britpop-Band

Aus Hackney, diesem Bezirk nordöstlich vom Zentrum der britischen Hauptstadt, kamen übrigens Rockmusiker wie Marc Bolan, der 1977 tödlich verunglückte Sänger von T. Rex, sowie drei Musiker der Heavy-Metal-Band Iron Maiden, aber das nur am Rande.

1968 veröffentlichten die Kinks das Album "The Kinks Are the Village Green Preservation Society", ein Werk, das hierzulande kaum bekannt ist, im Vereinigten Königreich aber genießt es Kultcharakter. Es ist eines der vielen Alben, wie es sie auch von den Who gibt und den Smiths, von Oasis und Blur – Alben, die Englishness in Popsongs übersetzen. Bisher zeigten sich die Rolling Stones ja eher am Mississippi-Delta interessiert, am Chicago Blues, am Studio 54 in New York oder den Muscle Shoals-Studios in Alabama und Outlaw Country aus Nashville – dass sie jetzt ihr 24. Studio-Album nach einem Londoner Stadtteil benennen, lässt vermuten, dass es sich um ein Konzeptalbum handeln könnte.

Modern orchestriertes Marketing im Netz

Sehr geschickt schaffen Jagger und seine Begleiter also einen Interpretationsrahmen, sie vergrößern den Erwartungshorizont: Um was es mag es wohl gehen auf diesem Album, einer Kunstform, die von jungen Musikfans als veraltet wahrgenommen wird? Wenn es nach Jagger geht, dem ewigen Aufmerksamkeitsökonom, muss man diese Form eben zu bespielen wissen, neugierig machen auf die Veröffentlichung eines Pop-Albums mittels clever orchestriertem Einsatz von Social Media.

Zudem veröffentlichten die Stones überarbeitete Versionen des Band-Logos. Am Wochenende wurde die berühmte, herausgestreckte Zunge in stylish aktualisierten Versionen an Häuserfassaden in diversen Weltstädten projiziert – man sieht sie schon vor sich, die neuen T-Shirts mit modifiziertem Band-Logo.

Jagger, Absolvent der London School of Economics, war schon immer ein hervorragender Entrepreneur, der für so ziemlich alle Tourneen der Stones Rekordgagen aushandelte. Die Kampagne für das neue Album trägt deutlich seine Handschrift. Sie zeigt, dass der 80-Jährige diese Seite des Business nach wie vor im Blick hat und zumindest hier Maßstäbe setzen will.

Und wer spielt Bass? McCartney!

Der Extra-Clou bei der Sache: Paul McCartney, der die Stones in einem Interview etwas geringschätzig als "eine Art Blues-Cover-Band" bezeichnet hatte (was er später relativierte), eines der letzten beiden, lebenden Mitglieder der Beatles, den ewigen Antipoden der Stones, spielt E-Bass bei einem der neuen Stücke – ein später Triumph und eine Wiedergutmachung für die Glimmer Twins allemal.

Zumindest die Titel der Songs des neuen Albums, die in den Electric Lady Studios in New York, den Henson Recording Studios in Los Angeles und den Sanctuary Studios in Nassau auf den Bahamas aufgenommen wurden, sind schon raus:

1 "Angry" (with Watt)

2 "Bite My Head Off"

3 "Depending On You" (with Watt)

4 "Dreamy Skies"

5 "Driving Me Too Hard"

6 "Get Close" (with Watt)

7 "Live by the Sword"

8 "Mess It Up"

9 "Morning Joe Cues"

10 "Sweet Sounds of Heaven"

11 "Tell Me Straight"

12 "Whole Wide World"

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