Im Flugmodus: Auch ein Weg, sich dem Kommunizieren-Müssen zu entziehen
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Im Flugmodus: Auch ein Weg, sich dem Kommunizieren-Müssen zu entziehen

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"Unavailable": Schön ist's, nicht erreichbar zu sein!

Willst du gelten, mach dich selten: Wer nicht erreichbar ist, macht sich interessant. Und treibt manchmal andere in den Wahnsinn. Wieso antwortet er nicht? Was will sie mir sagen? Zwei Autorinnen suchen in der Literaturgeschichte nach Antworten.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Schweigen. Damit musste die Schwedische Akademie leben, als sie sich 2016 dafür entschied, den Literaturnobelpreis an Bob Dylan zu vergeben. Der Songpoet machte sich rar, war über eine Woche lang nicht erreichbar. Nicht für die Akademie und auch nicht für die Presse. Erst zwei Wochen nach der Bekanntgabe kam Dylans erlösende Antwort: Der Nobelpreis sei eine große Ehre und natürlich werde er zur Verleihung nach Stockholm kommen.

Tat er nicht.

Mach dich rar und du bist ein Star

"Mach dich rar, und du bist ein Star", man könne sich durchaus an solche Binsen halten, um dem Phänomen der Unerreichbarkeit auf die Spur zu kommen, sagt die Welt-Feuilletonistin Marie-Luise Goldmann. Unverfügbarkeit sei eben auch ein Mittel, das Begehren der Anderen zu steigern. Wer schweigt, macht sich interessant. Schließlich stellt sich dann die Frage, was es mit dem Ausbleiben der Antwort auf sich hat. "Das regt die Kreativität an", so Goldmann.

Zusammen mit der Münchner Literaturwissenschaftlerin Anna Hordych hat sie einen Sammelband zum Thema herausgegeben ("Unavailable. The Joy of Not Responding"). Auf den ersten Blick rühren die beiden Autorinnen damit an ein hochaktuelles Phänomen. In einer Welt der ständigen Erreichbarkeit ist die Unerreichbarkeit schließlich zu einer Art Gegentrend geworden. In Beziehungen genauso wie im Berufsleben. Phänomene wie "Quiet Quitting" werden viel diskutiert: Dienst nach Vorschrift und am Wochenende bleibt das Handy aus.

In einer Welt, die von uns verlangt, dauernd zu kommunizieren, werden Oasen der Unerreichbarkeit nachgerade zur psychohygienischen Pflicht.

Distanz erzeugt Begehren

Stimmt alles, meinen Hordych und Goldmann, aber so neu sei das Phänomen nun auch wieder nicht. Das zeige sich vor allem mit Blick auf die Literatur(-geschichte). In den Romanen von Marcel Proust gebe es etwa immer wieder Szenen, die zeigten, wie eng Entzug und Begehren zusammenhängen. "So kriegt man auch in Sachen der Liebe den Partner wieder ins Spiel hinein, indem man gerade sagt, man nutzt die Distanz als Chance für eine neue Begegnung", so Hordych im BR-Interview. "Und das sind so kleine Momente, die, gerade wenn man sich Literatur ansieht, auch uns inspirieren können, sich Gegenwartsphänomene in einem neuen Licht anzuschauen."

Sich zu entziehen, kann also ein Mittel der Luststeigerung sein. Aber natürlich nicht nur das. Mit dem Schmerz, den das Schweigen der Anderen auch provozieren kann, ist die Literaturgeschichte nur allzu vertraut. Kafka habe beinahe seinen Verstand verloren, wenn er von der Geliebten Felice mal einen Tag keinen Brief bekommen habe, erzählt Hordych. Und Ingeborg Bachmann hätten die Selbstzweifel gepackt, wenn ihr Paul Celan nicht geantwortet habe: Hielt er sie vielleicht für eine schlechte Autorin? "Das zeigt in welch existentielle Krisen so eine Nicht-Antwort Autorinnen und Autoren schon immer gestürzt hat", erklärt Goldmann, "nicht erst jetzt, wo wir erwarten, dass der andere innerhalb von ein paar Minuten auf die Whatsapp-Nachricht reagiert."

Unerreichbarkeit als Emanzipationstechnik?

Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass Unerreichbarkeit nicht per se ein Mittel sei, um Beziehung zu stiften oder ihre Intensität zu steigern, so Goldmann gegenüber dem BR. Gerade heute. Der radikale Kontraktabbruch ("Ghosting") zeige eher wie warenförmig unser Beziehungsleben geworden sei. Wenn etwas nicht passt, wird der oder die Andere fallengelassen. Der Markt ist schließlich groß, etwas "Besseres" findet man immer.

"Das gehört zur Ambiguität der Unverfügbarkeit dazu, dass man sagen muss, natürlich hat das alles auch mit kapitalistischen Strukturen zu tun", so Hordych. "Man muss also immer fragen: Ist das jetzt eine Unverbindlichkeit, die dem Kapitalismus eher in die Hände spielt? Oder ist das eine produktive Form des Entzugs?" Apropos produktiv: Unerreichbarkeit könne sogar emanzipatorisch sein, meint Hordych. Gerade für Frauen, die sich ihrer Funktion als immer verfügbare "Kümmererin" entziehen wollten. Eine Exit-Strategie aus dem Korsett der Geschlechterrollen.

Der Sammelband "Unavailable. The Joy of Not Responding" wurde von Anna Hordych und Marie-Luise Goldmann herausgegeben und erscheint in wenigen Wochen im Kulturverlag Kadmos.

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