Eine sogenannte Mola aus Panama
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"Textile Welten": Stoffgewordene Geschichte in der Pinakothek

Vom Teppich bis zum Fussel: Eine neue Sonderausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne zeigt, was Stoffe alles können. Geschichte bewahren zum Beispiel – und die Fantasie beflügeln.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die beigen Autos erkennt man auf den ersten Blick. Sowjetische Ladas vermutlich. Die Panzer mit langen Kanonenrohren und die Handgranaten indes heben sich farblich nicht so deutlich ab und verlaufen über den Teppich wie ein Ornamentband. Knüpfkunst als Chronik des Krieges in Afghanistan.

Dokumente der Zeitgeschichte

Kuratorin Xenia Riemann-Tyroller spricht von einer Übersetzungsarbeit. Hier werde ein dramatischer historischer Vorgang in einen Alltagsbegleiter verwandelt. "Auf dem Teppich begegnet man sich, schläft, trinkt, spricht miteinander und plötzlich sieht man dort die Panzer, die Handgranaten, die Helikopter, es ist eine Verarbeitung eigentlich der Gegenwart, der Traumata in den Bildteppich."

Qualin-e-dschihad heißen die afghanischen Kriegsteppiche: Sie sind Dokument der Zeitgeschichte, dabei aber langsam gewachsen, ewig geknüpft und Teil der Tradition. So viel kann ein Nachrichtenbild niemals beinhalten. "Textile Welten" heißt denn auch die außergewöhnliche Schau in der Münchner Pinakothek der Moderne. Kuratiert haben sie Polina Gedova und Xenia Riemann-Tyroller. Sie haben Textilien aus rund 200 Jahren in den Blick genommen: Raumtrenner, Akustikelemente, Teppiche und Objekte.

Mimikry: Handarbeit macht auf Stangenware

Design, Kunst und Kunsthandwerk gehen dabei fließend ineinander über. Volker Albus steuert der Ausstellung einen echten Nepal-Teppich bei – so steht es auf dem Teppich selbst. Mimikry: Der Teppich ist als Supermarkt-Sonderangebot gestaltet, mit Größenangaben und stark reduzierten Preisen, grellrot auf gelbem Untergrund, handgeknüpft aus 100 Prozent Neuseeland-Schafschurwolle. Ein Spiel mit der Vertauschung von Preis und Wert. Der teure Teppich deklariert sich als sein eigener Schnäppchenzettel. Der nigerianische Keramikkünstler Ozioma Onuzulike hat hingegen eine dreidimensionale Agbada, einen riesigen kettenhemdartigen Kaftan, geschaffen.

"Dieses sehr aufwendig hergestellte Werk beinhaltet natürliche Palmkernschalen", erklärt Polina Gedova, "zusätzlich auch aus Ton, der hier in ganz kleinen Formen geformt wurde, recyceltes Glas und noch weitere natürliche Materialien. Und hiermit nimmt er Bezug zum einen auf die traditionelle Kleidung in Nigeria, das Ganze scheint eine Art von Umhang zu sein, gleichzeitig aber gibt es da aber auch sehr viele historische Bezüge und auch politische Dimensionen, die in diesem Textil stecken."

Molas: Von der Haut auf den Stoff

Palmkernschalen sind geschichtsträchtiger Stoff, sie verweisen auf den Handel mit Palmöl, der zwar den Handel mit Sklaven aus Nigeria ablöste, aber dem noch immer dieselben Machtstrukturen eingeschrieben sind. In ihrer natürlichen Form sehen Palmkernschalen aus wie Perlen – in Nigeria spricht man denn auch von Sklavenperlen.

Eine ganze Wand in der Ausstellung ist den Molas, den Nähkunstwerken der indigenen Bevölkerung in Panama gewidmet. Ursprünglich wurden die Zeichnungen als Schmuck auf die Haut aufgetragen, aber dann kamen Baumwolle, Garn, Scheren und Nadeln aus den USA. Die indigenen Kuna begannen, sich zu kleiden und schmückten die Oberteile mit Applikationen, mit Molas, in die wiederum Motive der US-amerikanischen Alltagskultur eingingen, wie beispielsweise Stars and Stripes. Die Kunst gegenseitiger Verflechtung.

Fussel, die die Welt bedeuten

Der Künstler Stefan Wischnewski indes arrangiert Fussel und Fasern auf schwarzem Molton, einem Material, das zum Dämpfen eingesetzt wird, weil es Licht und Schall absorbiert, zu Bildern, die Fotografien aus dem All gleichen. Allein um sich von der kosmischen Dimension des Fussels zu überzeugen, lohnt ein Besuch der Ausstellung. Sie führt auf poetische Weise bis in intergalaktische Räume und beflügelt die Fantasie.

Im Museumsshop kann man schließlich das Armband "Sunkolor" des Berliner Design-Studios "Panorama Fabrics" erwerben – gewebt aus UV-empfindlichem Material, das mit Farbwechsel anzeigt, wann es Zeit ist, Sonneneinstrahlung zu vermeiden. "Textile Welten" funktionieren wie ein fliegender Zauberteppich durch Kunst und Leben.

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