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Claude Lanzmann

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"Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann mit 92 Jahren gestorben

Ihm lag die deutsch-französische Freundschaft am Herzen: Der Dokumentarfilmer Claude Lanzmann war ein herausragender Aufklärer und Versöhner. 1985 war sein neunstündiger Film "Shoah" ein Meilenstein der NS-Aufarbeitung. Von Peter Jungblut

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Lanzmann wurde in Paris als Sohn eines Dekorateurs geboren. Schon mit 18 Jahren war er im französischen Widerstand aktiv und überlebte getarnt in der Auvergne. Trotz der deutschen Greueltaten studierte er ab 1947 in Tübingen Philosophie, ging nach Berlin und leitete dort das französische Kulturzentrum. Als Freund von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir war er als Journalist tätig, gab Zeitschriften heraus und kämpfte gegen den Kolonialismus. 

"Es gibt kein solches Material"

Mit "Shoah" setzte er ein Zeichen, das überall verstanden wurde: Kein einziges Archivbild verwendete Claude Lanzmann 1985 für seinen epischen Dokumentarfilm über die Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten. Das war durchaus umstritten. Neuneinhalb Stunden in zwei Teilen – ein filmisches Mahnmal für die Ermordeten, eine Anklage gegen die vielen bekannten und unbekannten Täter, aber keine einzige Leiche war zu sehen, kein Konzentrationslager, kein Grauen. Das begründete Lanzmann in der Zeitung "Le Monde" 1994 so:

"Es gibt in 'Shoah' keine Sekunde mit Archivmaterial, weil dies nicht die Art ist, wie ich denke und arbeite, und, nebenbei gesagt, solches Material gibt es gar nicht. Wenn ich einen Film gefunden hätte – einen geheimen Film, weil das Filmen verboten war –, gedreht durch die SS, in dem gezeigt wird, wie 3000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – zusammen sterben, in der Gaskammer des Krematoriums 2 in Auschwitz ersticken, so würde ich ihn nicht nur nicht gezeigt haben, ich hätte ihn sogar vernichtet. Ich kann nicht sagen, warum. Das passiert von selbst." Claude Lanzmann

Die Kamera lief weiter

Stattdessen interviewte er ausschließlich Zeitzeugen, darunter berühmte Autoren und Überlebende wie Inge Deutschkron, Ruth Elias und Filip Müller. Für das Projekt war Lanzmann elf Jahre unterwegs, von 1974 bis 1985. Er besuchte dabei die Orte des Schreckens wie Auschwitz, Sobibor und Treblinka, allesamt ehemalige Vernichtungslager der Nazis. Bemerkenswert: Lanzmann ließ die Kameras bei seinen Interviews niemals abschalten, auch dann nicht, wenn die Befragten unter der Last der Erinnerungen schier zusammenbrachen, die Fassung verloren, hemmungslos weinten oder ins Stottern gerieten.

Polnische Regierung protestierte

Kein Wunder, dass die damalige polnische Regierung 1985 gegen die Vorführung des Films protestierte, wurde der grassierende Antisemitismus in Polen doch klar benannt. Später arbeitete Lanzmann an weiteren Projekten, die mit dem Holocaust in Verbindung standen: 2010 war im Film „Der Karski-Bericht“ ein Gespräch mit dem titelgebenden Jan Karski, einem polnischen Widerstandskämpfer zu sehen. Für die Dokumentation "Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr" griff Lanzmann auf Material über einen dortigen Aufstandsversuch zurück. "Der letzte der Ungerechten“ von 2013 beschäftigt sich mit dem letzten Vorsitzenden des "Judenrats" von Theresienstadt, Benjamin Murmelstein. 2015 sprach Lanzmann in einem Dokumentarfilm über seine lebenslange Arbeit an der Erinnerungskultur.