Szene aus dem Theaterstück "WoW – Word on Wirecard".
Bildrechte: Gabriela Neeb

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Selbstverliebt: "WoW – Word on Wirecard" an den Kammerspielen

"WoW – Word on Wirecard" an den Münchner Kammerspielen packt den Skandal um den Aschheimer Zahlungsdienstleister in ein Theaterstück, verliert sich aber in einer virtuosen Überwältigungsästhetik. Der Erkenntnisgewinn bleibt gering.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Der größte Finanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik ist zum Theaterstück geworden. Gleich zu Beginn wird er zugespielt, der Geheimnisvolle, der Übeltäter, der noch immer Flüchtige, der Böse schlechthin: Jan Marsalek, das MasterMind von Wirecard, der schillernde Schönling, der seit Juni 2020 von der Weltbildfläche verschwunden ist. Spurlos. Er stellt sich vor, er spricht zum Münchner Kammerspielpublikum.

Deepgefaked naturgemäß, durch künstliche Intelligenz animiert, ein Simulacrum also, wobei der Abend schon hier sein Thema zum ersten Mal beim Schopfe packen will: die Simulation, die täuschend echte Vortäuschung einer Realität, die vorgibt eine zu sein, ohne eine zu sein. Denn nichts anderes hat auch das FinTech-Unternehmen Wirecard lange Zeit mit großem Erfolg getan, indem es ein ebenso imposantes wie weltweit verkraktes Imperium aus Luftnummern baute, auf das nicht nur Finanzunternehmen und Aktionäre hereinfielen, sondern auch Politiker und Aufsichtsbehörden.

"Wow. Word on Wirecard" und damit: "Ein Wörtchen zu Wirecard" haben die Autorin Anka Herbut und der Theater- und Videokünstler Łukasz Twarkowski ihre szenische Fantasie in den Münchner Kammerspielen genannt.

Bombastisch eingerichtete Installation

Doch auch wenn Jan Marsalek beeindruckend den Grüß-Gott-August macht. Auch wenn der ehemalige Vorstandsvorsitzende und heutige Untersuchungshäftling Markus Braun tatsächlich verkörpert wird. Auch wenn die aus Dokumentationen so anrührend bekannte ehemalige Wirecard Angestellte namens Melanie in herrlicher Beflissenheit von der Schauspielerin Annette Paulmann auf die Bühne gebracht wird. Und auch wenn das Stück im verschachtelten Büroambiente spielt und damit zunächst einmal bei eben Wirecard verortet wird, diese auf vielen szenischen und virtuellen Ebenen bombastisch eingerichtete Installation, will mehr als ein Wörtchen abgeben zum Finanzskandal.

Wirecard, das ist das Sprungbrett, von dem "Wow. Word on Wirecard" abheben will in die Welt der Simulation und Simulacren. Dazu bringt das Stück den zweiteiligen Rainer Werner Fassbinder-Fernsehfilm "Welt am Draht" ins Spiel, der sich 1973 auf den 1964 erschienenen Science-Fiction-Roman "Simulacron-3" von Daniel F. Galouye bezog.

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Szene aus dem Theaterstück "WoW – Word on Wirecard"

Zeitlupenchoreografie und Hardcoresound

Und damit wird es kompliziert. Denn so wie Film und Buch, Wissenschaftler, in die von ihnen selbst künstlich simulierte Welt schickten, so geistern nun diese Figuren auch durch das Wirecard Simulakrum. Und man muss schon ein wahrer Cineast und Fassbinderkenner sein, um sich noch durchzufinden durch das Figurenarsenal und durch das Spiel auf den verschiedensten Ebenen, das Łukasz Twarkowski auf der Bühne und in ihren Nebenräumen, auf den Bildschirmen und auf der Breitwandleinwand über der Bühne, im realistischen Spiel, in der Zeitlupenchoreografie und im Hardcoresound und damit in einer virtuosen Überwältigungsästhetik anrichtet.

Sichtlich selbstverliebt genügt diese Ästhetik letztlich sich selbst. Der Erkenntnisgewinn bleibt gering. Und so will man irgendwann einfach nur noch zustimmen, wenn es im Text heißt: "Dieser Film enthält viele Ebenen, die mein Verstand nicht erfassen kann. Ich habe das Drehbuch mehrmals gelesen, ich habe mir einen Teil der Aufnahmen angesehen. Und ich verstehe es nicht."

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