Der tschetschenische Machthaber an einem Panzer-Geschütz
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Ramsan Kadyrow an der Kanone

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Putins Ärger mit Söldnerchefs: "Spielregeln ändern? Ernsthaft?"

Während der Privatarmee-Betreiber und Rebell Jewgeni Prigoschin eine Woche nach dem Aufstand seine Millionen zurückerhält, muss Konkurrent Ramsan Kadyrow um seinen Einfluss fürchten: Aufstieg und Fall wechseln sich geradezu schwindelerregend ab.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Verkehrte Welt, und zwar in rasender Folge: Vor einer Woche schien das Schicksal von Oligarch und "Wagner"-Söldnerchef Jewgeni Prigoschin besiegelt. Sein Aufstand scheiterte, seine Leute kehrten in die Kasernen zurück, Putin zeterte über "Verrat" und schwor Rache. Gleichzeitig schickte er ausgerechnet den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow mit seinen Leuten los, um Prigoschins Truppe in Rostow am Don einzukreisen und unschädlich zu machen.

Nur eine Woche später bietet sich das entgegengesetzte Bild: Prigoschin durfte von seinem Fahrer die von den Behörden beschlagnahmten Goldbarren und jede Menge Bargeld in St. Petersburg abholen lassen, führte augenscheinlich erfolgreiche Gespräche in Moskau und darf sich wieder allerlei Chancen ausrechnen, während Kadyrow einen Skandal aushalten und um seine Pfründe fürchten muss. Aufstieg und Fall wechseln sich offenbar im Wochenrhythmus ab, was nicht für Russlands innere Stabilität spricht.

"Alles zurückgeben, was nicht verboten ist"

Wie die St. Petersburger Zeitung "Fontanka" berichtete, bekam Prigoschin bzw. dessen Chauffeur nicht weniger als Rubel in Höhe von umgerechnet 100 Millionen Euro, mehrere Hunderttausend Dollar und fünf Goldbarren ausgehändigt: "Fontanka versucht nicht, in diesen Geschichten irgendeine Logik zu finden. Die Journalisten unserer Publikation können nur zusammenfassen und betonen: Wenn ein Strafverfahren gegen einen russischen Bürger aus Rehabilitierungsgründen eingestellt wird, wird alles zurückgegeben, was von ihm zuvor beschlagnahmt wurde und nicht für den Verkehr auf dem Territorium der Russischen Föderation verboten ist."

Offenbar muss Prigoschin also weder straf-, noch vermögensrechtliche Konsequenzen fürchten, und wer weiß, ob er nicht bald auch wieder mit der russischen Armee im Geschäft ist, der er Lebensmittel en gros lieferte. Erste Wortmeldungen des Söldnerführers liegen auch bereits vor, so dass seine Medienarbeit wohl auch nicht mehr lange brachliegen dürfte.

"Machenschaften nichts für Normalsterbliche"

Unter den rund 400 Leserkommentaren allein bei "Fontanka" überwiegen Sympathiebekundungen und Spott für den schlitzohrigen Rebellen und Ultra-Patrioten. Offenbar gibt es kaum Russen, die Prigoschin fürchten oder hassen. Einer der Leser verglich Prigoschins Vermögen mit der "Truhe des Toten Mannes" aus der "Fluch der Karibik"-Serie. Dort wechselt die sagenhafte Piraten-Kiste immer wieder den Besitzer, ohne das sich einer am mythischen Inhalt bereichern bzw. unsterblich machen könnte. Geradezu aberwitzig wirkt die Meldung von Prigoschins finanzieller "Rehabilitierung" angesichts einer Äußerung des Gouverneurs von Rostow am Don, der zeitgleich mitteilte, dass die von den Söldnern beim Aufstand verursachten Schäden an Straßen und Gebäuden aus öffentlichen Kassen beglichen würden.

"Diese Machenschaften sind nichts für Normalsterbliche", war dazu in einer der zahlreichen Reaktionen zu lesen. In einer anderen hieß es, der "Zirkus Kolosseum mit Löwen, Sklaven, Gladiatoren und Konkubinen" erreiche gerade seinen Höhepunkt. Jemand fragte sich, ob Prigoschin auch seine falschen Pässe und "weißes Pulver" ausgehändigt bekomme, das angeblich in seinen Räumlichkeiten beschlagnahmt wurde: "Es sieht so aus, als ob die Private Military Company (PMC) Wagner wiederhergestellt wird. Anders lässt es sich nicht erklären." Das Erstaunen war mit Händen zu greifen: "Dies scheint der erste gescheiterte Aufstand in der Geschichte zu sein, der völlig folgenlos blieb."

"Straßenbauer bekommen weniger"

Prigoschins Aufstand sei also auf ganz besondere Weise "niedergeschlagen" worden, höhnte ein Beobachter. "Wenn du einen Schokoriegel mopst, wanderst du ins Gefängnis, wenn du einen Staatsstreich verübst, bekommst du einen Feiertag und eine Entschuldigung", schrieb ein weiterer Leser mit Hinweis darauf, dass Moskau am Montag nach dem Putschversuch arbeitsfrei hatte. "So viel Entschädigung für nicht zurückgelegte 200 km? Macht 50 Millionen Rubel pro Kilometer. Nicht schlecht! Straßenbauarbeiter bekommen weniger pro Strecke", witzelte jemand, eine Anspielung darauf, dass Prigoschins Leute bei ihrem "Marsch der Gerechtigkeit" kurz vor der russischen Hauptstadt umkehrten. Womöglich habe der "Wagner"-Boss schlicht Schweigegeld erhalten, so die Vermutung, jedenfalls sei es eine "Schande" geworden, in Russland zu leben.

Blogger Wladimir Dergatschew hielt es für ein "interessantes Signal", wie der Kreml mit Prigoschin umgeht: "Das heißt, wenn Sie mit den Behörden aus einer Position der Stärke sprechen und drohen, alle zu stürzen, werden sie dann sehr viel vorsichtiger mit Ihnen umgehen?" Gleichzeitig lassen es sich Blogs, die mit Prigoschin sympathisieren, nicht nehmen, auf die schwierige militärische Lage bei Bachmut zu verweisen, wo die russischen Truppen seit dem Abzug der "Wagner"-Söldner in einer "Abwärtsspirale" seien. Das fügt sich alles zum Eindruck, dass der Oligarch mit Erfolg an seiner Rückkehr auf die politische Bühne arbeitet, natürlich mit Hilfe von Gönnern im Dunstkreis des Kremls.

"Im Stau stecken geblieben"

Genau umgekehrt verlief zur allgemeinen Verblüffung die jüngste Karriere von Ramsan Kadyrow: Vor einer Woche galt er noch als treuester Paladin Putins und potentieller "Geisterjäger", der es mit seiner harten Truppe schaffen könnte, Prigoschin im Zaum zu halten. Jetzt, wo in Tschetschenien zwei russische Bürgerrechtler auf übelste Weise misshandelt wurden, weil sie an einer Urteilsverkündung in Grosny teilnehmen wollten, hat sich das Blatt vollkommen gewandelt. Sogar Kremlsprecher Peskow verlangte Aufklärung, einmütig zeigte sich das offizielle Russland empört über die Zustände in Tschetschenien, was so nicht zu erwarten war.

Offenbar wolle Putin jetzt Kadyrow schachmatt setzen, vermuteten Blogger: "Das ist eine Folge des Verhaltens von Kadyrows Kämpfern während des Aufstands. Anstatt die Rebellen zu stellen und es mit ihnen aufzunehmen, blieb die tschetschenische Armee 'im Stau stecken' und tat alles, um sich selbst und nicht das Land vor den Rebellen zu retten. Jeder hat es gesehen." Offenbar habe Kadyrow die "Spielregeln" des Kremls nicht verstanden, hieß es. Jetzt könne er durchaus ausgebootet werden. Allerdings bezweifelten Diskutanten auch, dass Putin seinen treuen Tschetschenen wegen einer "hässlichen" Begebenheit mit Bürgerrechtlern in die Wüste schickt: "Die Spielregeln ändern? Ernsthaft?" Auch von einem bevorstehenden dritten Tschetschenienkrieg wurde gemunkelt, angesichts von Kadyrows Eigenmächtigkeiten.

"Großteil der Bevölkerung wird nicht trauern"

Die Behörden hätten große Angst vor Prigoschin gehabt, das sei "Realität", so ein Blogger: "Jetzt bietet sich eine gute Gelegenheit, der Bedrohung durch eine weitere, praktisch unkontrollierte PMC auf dem Territorium Russlands, nämlich in Tschetschenien, auszuschalten. Ja, und ihr Boss sieht irgendwie ungesund und aufgedunsen aus." Letzteres ist eine Anspielung auf Gerüchte, wonach Kadyrow an einer schweren Krankheit leidet. "Den jüngsten Ereignissen in Grosny nach zu urteilen, wurde beschlossen, das Projekt Kadyrow einzustellen. Er begann sich unartig zu verhalten. Nun, in diesem Fall wird – im Gegensatz zu Prigoschin – der Großteil der Bevölkerung nicht trauern. Eher im Gegenteil", gestand ein Blogger und machte damit deutlich, dass die Tschetschenen in Russland als geltungssüchtige Egomanen gelten, die vor allem an Plünderungen interessiert sind.

"Darum geht es politisch nicht"

Der rechtsextreme Vordenker Alexander Dugin fürchtet sich angesichts des merkwürdigen und sehr volatilen Umgangs mit Prigoschin und Kadyrow bereits vor "Verhandlungen" zur Beendigung des Kriegs, die er nach eigener Aussage als "Katastrophe" empfinden würde: "Dann war alles umsonst." Putins liberale Gegner spürten "Schwäche und Unsicherheit an der Spitze" und nutzten das aus. Der kremlnahe Politologe Sergej Markow weiß sich nicht anders zu helfen als mit der skurrilen Verschwörungstheorie, Kadyrow werde vom amerikanischen und britischen Geheimdienst geprankt: "Daher ein so großer Lärm, der der Bedeutung des Verbrechens eindeutig nicht entspricht. Journalisten dürfen natürlich nicht verprügelt werden. Aber darum geht es politisch nicht."

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