Am 24. Mai auf dem Roten Platz
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Ildar Abdrazakov in Moskau

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Staatsoper: Kremlnaher Bass sagt aus "familiären Gründen" ab

Die Meldung der Bayerischen Staatsoper fällt kurz und knapp aus: Der russische Bass-Superstar und Putin-Fan Ildar Abdrazakov, der im Juli als Boris Godunow und König Philipp auftreten sollte, kommt nicht nach München. Im Vorfeld gab es Wirbel.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

So kurz sind Pressemitteilungen normalerweise nicht. Die Bayerische Staatsoper verschickte eine Mail, in der es hieß: "Ildar Abdrazakov muss aus familiären Gründen sein Engagement als Boris Godunow absagen. In den Vorstellungen Boris Godunow am 4. am 6. Juli 2023 übernimmt Alexander Tsymbalyuk die Partie des 'Boris' anstelle von Ildar Abdrazakov." Wer im Juli den König Philipp in Verdis "Don Carlos" singen wird, steht noch nicht fest: Dort ist Abdrazakov noch im Cast aufgeführt.

Im Vorfeld hatte es massive Kritik an Abdrazakov gegeben: Er gilt als ausgesprochen kremlnah. Mal ist er zu Gast in den TV-Shows "Meine Melodie" und der russischen Version von "The Masked Singer", wo er im Staffelfinale als roter Drache beeindruckte und gewann, mal gibt er sich bei einer Gala vor dem Dom von Kaliningrad zum "Tag Russlands" ein Stelldichein. Dabei scheut er nicht die Nähe zum Putin-Regime: Als Abdrazakov im vergangenen September in Moskau wieder mal sein eigenes Talent-Festival ausrichtete, kamen umgerechnet 200.000 Euro Staatszuschuss und Glückwünsche vom russischen Präsidenten persönlich: "Es ist erfreulich, dass das bemerkenswerte Projekt eines der führenden Opernsänger Russlands und der Welt solides Ansehen erlangt und treue Fans gewonnen hat und jedes Jahr sein kreatives Potenzial stärkt und seine Grenzen erweitert."

"Kumpel von Verteidigungsminister Schoigu"

Mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu versteht sich Abdrazakov einer Recherche des österreichischen Musikportals "Opern-News" zufolge bestens. Er habe mit ihm auf einer Silvesterparty "Moskauer Nächte" angestimmt und sei "beliebter Gast bei Propagandaveranstaltungen", auch auf dem Roten Platz, wo er in zehn Minuten 50.000 US-Dollar verdient haben soll – was ein Blick in russischsprachige Medien bestätigt. Putin verlieh dem Sänger bereits im März 2021 den Ehrentitel "Verdienter Künstler Russlands".

Trotz seiner Nähe zum Kreml, dem er mit seinem internationalen Ruhm als Werbefigur dient, sollte der aus Ufa stammende Star-Bassist auch bei den Münchner Opernfestspielen im Juli vier Mal auf der Bühne stehen, in der Titelrolle von Mussorgskys "Boris Godunow" und als spanischer König Philipp II. in Verdis "Don Carlo". Das sorgte für Aufsehen: "Vielleicht hat er sich in vertraulichen Vieraugengesprächen glaubhaft von den Völker- und Menschenrechtsverletzungen distanziert. Klar ist aber, dass jeder Künstler, der im Westen auftritt und in Russland Propaganda betreibt, das Regime ein Stück weit legitimiert", schrieb "Opern-News" zum Jahrestag des Angriffskriegs im vergangenen Februar.

"Leben nimmt seine eigenen Wendungen"

Auch an der Mailänder Scala hatte Abdrazakov behauptet, er habe seine Termine aus familiären Gründen gestrichen, was allgemein als wenig glaubwürdig bezeichnet wurde: "Mein Zeitplan ist auf mehrere Jahre im Voraus festgelegt, aber das Leben nimmt seine eigenen Wendungen vor und familiäre Umstände zwingen mich, einige Pläne abzusagen. Nun erlauben mir diese Umstände nicht, meine Familie für längere Zeit zu verlassen – vier kleine Kinder und vor allem meine Mutter, die vor mehr als einem Jahr einen schweren Schlaganfall erlitten hat und in Ufa lebt, wo ich sie regelmäßig besuche." Russische Medien behaupteten, der Sänger habe in seinem Heimatland "genug zu tun".

Bayerische Staatsoper hielt zunächst am Auftritt fest

Ein Sprecher der Bayerischen Staatsoper sagte dem BR zu den geplanten Auftritten von Abdrazakov Mitte Juni: "Wir haben die beiden bestehenden Verträge für die Opernfestspiele. Wir schätzen ihn als Künstler sehr. Darüber hinaus ist aber erst mal nichts angedacht. Er wird in nächster Zeit also nicht mehr am Haus singen, allerdings tritt er in der nächsten Spielzeit an der Staatsoper in Wien auf, in Paris, Rom, Zürich und Monte Carlo. Es ist also nicht so, dass ihn die ganze Welt nicht mehr singen lässt und München eine Ausnahme wäre, so ist es nicht."

Ein "eindeutiges Bild" der politischen Verstrickung von Abdrazakov gebe es nicht, hieß es damals, der Fall sei auch anders gelagert als bei Star-Sopranistin Anna Netrebko, die vorerst nicht mehr in München engagiert werden soll: "Im Fall von Abdrazakov waren die Verträge fertig, und in der Abwägung kam heraus, dass es Indizien dafür gibt, dass er dem Putin-Regime sehr nahesteht. Es gibt aber auch gegenteilige Aussagen, und es ist in die Waagschale zu werfen, dass er Familie und Kinder in Russland hat."

"Wir müssen aufpassen"

Die Bayerische Staatsoper hatte im März mit einer aufwändigen Produktion von Prokofjews "Krieg und Frieden" nach Leo Tolstois gleichnamigem Roman für Schlagzeilen gesorgt: Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov inszenierte, viele russische Sänger wurden angeheuert, von denen laut Staatsoper keiner nach seiner politischen Einstellung gefragt wurde: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alle Russen ausschließen, sondern jeweils im Einzelfall entscheiden. Es gibt keine Akten für jeden russischstämmigen Solisten oder jeden Produktionsteilnehmer. Wenn ein Verdacht auftaucht, recherchieren wir natürlich und sprechen mit den Betroffenen. Aber es wird nicht von uns verlangt, jeden zu fragen, wie er zum Regime steht."

Staatsoper gegen "Berufsverbote"

Peter Gelb, der Chef der New Yorker Met, hatte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press gesagt, dass er "sich selbst nicht mehr im Spiegel betrachten" könne, wenn er wüsste, dass "Putins Anhänger auf der Bühne seines Theaters" aufträten. Um Haltung geht es auch der Bayerischen Staatsoper, die allerdings deutlich vorsichtiger ist, wenn es um ihre Besetzungspolitik geht: "Was vollkommen klar sein muss: Jeder, der auf der Bühne steht, kennt die Einstellung des Hauses. Die Bayerische Staatsoper verurteilt diesen Angriffskrieg durch Russland. Und da muss dann jeder damit umgehen. Ansonsten machten wir einen massiven Fehler, wenn wir Berufsverbote aussprechen würden, dann hätten wir aus der Geschichte nichts gelernt. So einfach ist die Welt leider nicht."

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