Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa
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Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa

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Natalja Kljutscharjowa: Krieg und Alltag in Russland

In ihrem "Tagebuch vom Ende der Welt" beschreibt die Russin Natalja Kljutscharjowa den gesellschaftlichen Wandel, die Repressionen und die Scham in Putins Russland nach dem 24. Februar 2022.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wenn Russen vom Krieg reden, verwenden sie oft den eleganten und hellen, vollkommen unverfänglichen Ausdruck "Im Licht der letzten Ereignisse". Die Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa findet es jedoch treffender, vom Ende des Lichts zu sprechen. "Dnewnik konza sweta", Tagebuch vom Ende der Welt, heißt ihr neuestes auf deutsch erschienenes Buch. Ein Diarium, das mit dem ersten Tag des Krieges beginnt.

Krieg und Alltag

Eindringlich hält die 42-jährige Autorin fest, wie der Krieg das Kleinklein des Alltags durchdringt und die Gesellschaft verändert, ja pervertiert: "Ich komme in die Kinderbibliothek. An der Wand hängt ein Kinderkalender", schreibt die Autorin, "jeder Tag ist etwas Lustigem gewidmet: Tag der Gummistiefel, Tag des Mittagsschlafs. Und plötzlich mitten in dieser Niedlichkeit in einem Kästchen ein schwarzer Mann mit Helm und Kalaschnikow. Darunter 'Tag der Truppen der Spezialoperation der Russischen Föderation'."

Patriotismus und Pervertierung

Natalja Kljutscharjowa beschreibt den aggressiv aufwallenden Patriotismus in Russland. Sie berichtet von einem Wagner-Söldner, der von der Front zurückgekommen ist und in seinem Dorf mit einem Bier in der einen und einer Axt in der anderen Hand herumläuft und Angst und Schrecken verbreitet. Oder von Kindern, die abstimmen, wer für Putin ist – alle sind für ihn –, von Klassenkameraden, die jetzt frisch Einberufene trainieren und sie das Töten lehren, von Freunden, die denselben Schmerz, dieselbe Scham und Angst empfinden wie die verzagte Autorin.

Neben dem Tagebuch sind vor allem Gedichte seit Februar 2022 entstanden, denn Romanen steht der Krieg im Weg, findet Kljutscharjowa: "Für Prosa brauche ich eine Perspektive, eine Zukunft, auf die ich hinschreibe. Aber in Russland finde ich weder das eine noch das andere. Möglich ist mir allein eine Fixierung auf die Realität."

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"Tagebuch vom Ende der Welt" von Natalja Kljutscharjowa

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