Archivbild: Mitglieder der Religionsgemeinschaft "Zeugen Jehovas" verteilen am 27.07.2015 ihre Hefte in München.
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Archivbild: Mitglieder der Religionsgemeinschaft "Zeugen Jehovas" verteilen am 27.07.2015 ihre Hefte in München.

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Mahnmal für ermordete Zeugen Jehovas in Berlin geplant

Rund 1.700 Zeugen Jehovas sind im Nationalsozialismus ermordet worden. Bis heute wissen viele nicht, dass auch sie eine verfolgte Gruppe waren. Die Ampel-Koalition und die Union fordern deshalb nun ein Mahnmal für die ermordeten Zeugen Jehovas.

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Der Widerstand der Zeugen Jehovas gegen das NS-Regime und ihre strikte Verfolgung ab 1933 durch die Nationalsozialisten sind ein bisher nahezu vergessenes Kapitel deutscher Geschichte. Das soll sich nach jüngsten Plänen der Bundestagsfraktionen von Ampel-Koalition und Union nun ändern. In einem Bundestagsantrag fordern sie ein NS-Mahnmal für verfolgte Zeugen Jehovas an einem historischen Ort im Berliner Tiergarten.

Rund 1.700 Zeugen Jehovas wurden von den Nazis ermordet

1938, mit dem sogenannten Anschluss Österreichs, änderte sich für Hermine Liska alles. An ihrer Schule in Kärnten wird sie als "Bibelforscherin" verspottet. Lehrer und Schulleiter diskriminieren sie. Als ihr Vater sich weigert, seinem Glauben als Zeuge Jehova abzuschwören, wird Hermine abgeholt und in ein Kinderheim gebracht: "Das fürchterlichste für mich war, wie ich von daheim weggebracht wurde. Man muss wissen, ich habe, bis ich elf Jahre alt war, bei der Mama im Bett geschlafen. Das war wirklich das Schlimmste", sagt Hermine Liska.

Das Schicksal von Hermine Liska ist kein Einzelfall. Bereits 1933 verboten die Nationalsozialisten die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Eltern verloren das Sorgerecht für ihre Kinder, Männer und Frauen erhielten Berufsverbot, viele wurden in Konzentrationslager deportiert. Mindestens 1.700 Zeuginnen und Zeugen kamen in der NS-Zeit ums Leben, weil sie aus ihrer religiösen Überzeugung heraus Widerstand leisteten.

Sie verweigerten den Hitlergruß und den Wehrdienst

"Sie verweigerten sich NS-Organisationen. Sie haben konsequent den Hitlergruß verweigert", weiß Gerald Hacke von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden. "Das mag uns heute lächerlich vorkommen. Aber das war damals, eine Art verbale Armbinde, ein Zeichen von Loyalität und die Wehrdienstverweigerung, die mit der Todesstrafe geahndet wurde."

Weil die Zeugen Jehovas trotz Verbot versuchten, ihren Glauben weiterzuleben und sich dem Nazi-Regime zu widersetzen, wurden sie verfolgt. Ihr Schicksal geriet lange nahezu in Vergessenheit. Bis heute ist vielen nicht bekannt, dass auch Zeugen Jehovas zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörten. Das wollen die Ampel-Parteien und die Union im Bundestag nun ändern: Im Tiergarten in Berlin soll ein Mahnmal für die verfolgten Zeugen Jehovas errichtet werden. Den Parteien liege es sehr am Herzen, endlich allen Opfergruppen gerecht zu werden, sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Marianne Schieder: "Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, da gibt es noch einige, die noch zu wenig im Blickpunkt der Öffentlichkeit sind: Dazu gehören die Zeugen Jehovas."

Durch ihre Weltanschauung immun gegen NS-Ideologie

Auch wenn die Zeugen Jehovas heute, wegen ihres exklusiven Anspruchs und ihrer strikten Verhaltensregeln, vielfach umstritten sind: In der NS-Zeit haben sie aus ihrem Glauben heraus den Nationalsozialismus abgelehnt. Der Widerstand der Zeugen Jehovas war religiös motiviert. Viele Zeugen Jehovas gingen mit ihrer Ablehnung von NS-Staat und Wehrdienst große Risiken ein, verfolgt zu werden. Das schmälert aber aus Sicht des Dresdner Historikers Gerald Hacke nicht den Wert ihres Widerstands. "Sie waren Außenseiter. Sie waren mehr oder weniger immun durch ihre Weltanschauung und konnten dadurch Sachen machen, von denen man sich gewünscht hätte, dass das vielmehr gemacht hätten", sagt Gerald Hacke. "In dem Punkt sind sie Vorbilder, aber auch ein Vorwurf an die Restgesellschaft. Wenn sie erkannt haben, wohin das läuft, was das Töten bedeutet, dass 'Heil Hitler' eine religiöse Geste ist, der man sich unterwirft: Warum konnten die anderen das nicht erkennen?"

Andere Opfergruppen sind inzwischen für ihren Widerstand anerkannt. Wann ein Denkmal für die ermordeten Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus entstehen wird, ist derzeit noch offen. Am 22. Mai findet erst einmal eine Expertenanhörung dazu statt.

In einer vorigen Version des Artikels haben wir ein Foto verwendet, auf dem das Buch des Attentäters vom 9. März zu sehen war. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen und haben das Bild mittlerweile ausgetauscht.

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