Zum Internationalen Literaturfestival Berlin 2023 sitzt Daniel Kehlmann, Schriftsteller, auf der Bühne im Berliner Ensemble.
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Bestsellerautor Daniel Kehlmann

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"Lichtspiel": Daniel Kehlmanns Roman über Kunst und Diktatur

Daniel Kehlmann erzählt die Geschichte des Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kann dieser das "Dritte Reich" nicht mehr verlassen und arbeitete dann im Auftrag der Machthaber. Wie viel Freiheit hatte er noch?

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Regisseur sei, alles in allem, ein seltsamer Beruf, heißt es einmal in Daniel Kehlmanns Roman "Lichtspiel". "Man war ein Künstler, aber man schuf nichts, sondern man dirigierte die, die etwas schufen, man arrangierte die Arbeit anderer, die bei Licht betrachtet mehr konnten, als man selbst."

Der Schriftsteller und Bestseller-Autor ist auch ein großer Kino-Fan. Im Fall von Georg Wilhelm Pabst - geboren 1885 in Böhmen, gestorben 1967 in Österreich - schreibt Kehlmann über einen der bedeutendsten Filmregisseure in der Zeit der Weimarer Republik. Sein "seltsamer Beruf" wird im Roman ausführlich in den Blick genommen.

Eher Spielberg als Tarantino

"Pabst war einer der drei großen Regisseure in Deutschland", sagt Daniel Kehlmann im Interview mit dem BR. "Die anderen beiden - Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau - sind heute viel bekannter." Er habe weniger einen einzigen, sofort erkennbaren Stil gehabt, vielmehr unterschiedliche Filme gemacht. Vergleiche man Pabst mit heutigen Filmkünstlern, sei er eher wie Steven Spielberg als wie Quentin Tarantino.

Zum Oeuvre von Pabst gehört unter anderem die Verfilmung der "Dreigroschenoper" (1931). Ebenso hat er mit Schauspielerinnen wie Greta Garbo und Louise Brooks gearbeitet - und damit ihre Karrieren auch entscheidend gefördert. In der Arbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern habe er sie zu Höchstleistungen gebracht, erklärt Kehlmann. Ebenso sei Pabst ein Meister des Schnitts gewesen: "Er hatte eine ganz feine, subtile Bildsprache." Das eine wie das andere - die Arbeit am Set und dann beim Schnitt - wird in "Lichtspiel" anschaulich erfahrbar.

Scheitern in Hollywood - und gefangen

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging Pabst ins Ausland. Er versuchte, in Hollywood Fuß zu fassen. In dieser Zeit setzt Kehlmanns literarische Rekonstruktion ein. Pabst scheiterte in Amerika und ging zurück nach Europa. Zusammen mit seiner Familie kehrte er kurz nach Österreich, seit 1938 Teil des Deutschen Reiches, zurück. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte eine geplante Übersiedelung zunächst in die Schweiz - und in die Freiheit. Der Kinokünstler saß in der Falle. Alles nur ein Zusammenspiel unglücklicher Umstände?

"Würde ich eine Biografie auf Basis der Quellen schreiben, müsste ich sagen: Es ist alles widersprüchlich und rätselhaft", so Kehlmann. Es gebe widersprüchliche Meinungen und Dokumente. Carl Zuckmayer etwa - er tritt im Roman auch auf - glaubte, Pabst habe sich im Vorfeld mit den Machthabern in Deutschland arrangiert und sei zurückgegangen, um dort weiter Karriere zu machen. Pabst selber wie auch seine Familie verwiesen auf die unglücklichen Umstände, die von der Fahrt zurück in die Freiheit abhielten. Sie hatten bereits eine Schiffspassage. "Lichtspiel" folgt dieser zweiten Lesart.

Besuch bei Goebbels

Genau in der Mitte des Romans wird eine Vorladung Pabsts bei Reichspropagandaminister Josef Goebbels geschildert - und damit ein Besuch im Haus des Teufels. Die Szene - teilweise surreal anmutend - gehört zu den Höhepunkten und ist gleichzeitig eine von mehreren großen. Sie zeigt, wie der Regisseur sich von den Inhalten seines bisherigen Werkes distanzieren und damit vor den jetzigen Machthaben ergeben soll. Umgekehrt werden ihm beste Produktionsbedingungen versprochen. Und ein Drehbuch gibt es gleich mit: für "Die Komödianten", einen Film über Caroline Neuber und den Weg zu einem deutschen Theater in der Aufklärung.

"Er gibt dem Druck nach", sagt Kehlmann. "Er macht keine Propaganda-Filme. Er ist ein guter Regisseur und macht auch unter diesen Umständen seine Arbeit gut." Das habe Kehlmann als Schriftsteller sehr bei der Arbeit am Roman interessiert. "Es gibt nicht nur politischen Druck. Es gibt auch eine große Verführungskraft. Jeder Regisseur würde zumindest ein bisschen die Verführung spüren, wenn man ihm sagt: Mach, was du willst, du hast jedes Budget, alle Schauspieler, alle Ressourcen." Doch wie viel Freiheit hat ein Künstler noch nach einem solchen Pakt mit dem Teufel? Kehlmanns Roman gibt eine vielschichtige Antwort.

Kino und Gesellschaft im Nationalsozialismus

"Lichtspiel" erzählt einerseits von Pabsts Situation im "Dritten Reich", zumal in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er folgt dem Dreh verschiedener Filme, neben "Die Komödianten" auch von "Paracelsus" und schließlich von "Der Fall Molander". Anders als in der Realität wird Pabsts letzter und unvollendet gebliebener Film im "Dritten Reich" im Roman zu einem künstlerischen Meisterwerk. Zugleich wird auf grausame Weise erfahrbar, was es bedeutet, alle Ressourcen für die Kino-Arbeit zur Verfügung zu haben. Für den Dreh einer Szene in einem Konzertsaal werden Häftlinge aus einem Konzentrationslager in die Prager Studios gebracht - eine erschütternde Passage im Roman von Kehlmann.

Zum anderen ist "Lichtspiel" auch eine Geschichte der Gesellschaft in der Diktatur. Als Pabst und seine Familie zurückkehren, hat der Hausmeister seines Anwesens - nunmehr NSDAP-Ortsgruppenführer - die Regentschaft übernommen. Er demütigt die Rückkehrer zutiefst, eine Diktatur im Kleinen. Pabsts Frau Trude wird - an einer anderen Stelle - zu einem Lesekranz in München eingeladen. Die Damen dort lesen mit Begeisterung den Nazi-Schriftsteller Alfred Karrasch. Manche dieser Romanszenen hat Kehlmann bewusst komisch und grotesk gestaltet. Das Dunkel überwiegt trotzdem.

Ein treu ergebener Assistent

Die literarisch rekonstruierte Lebensgeschichte von Pabst (die auch das Werk vor und nach dem Nationalsozialismus berührt) ist in eine Rahmenhandlung eingebettet. Franz Wilzek, lange Jahre Assistent von Pabst, eröffnet die Geschichte und beschließt sie auch. Er ist betagt und lebt in einem Seniorenheim in Wien. Trotz eines recht ambivalenten Erinnerungsvermögens soll er in einer Fernsehsendung Auskunft geben über seine Zeit an der Seite des Regisseurs und den verschwundenen Film "Der Fall Molander". Auch das ein teilweise komisches Kapitel.

Später begleitet der Roman Wilzek bei der Arbeit mit Pabst. "Er ist der perfekte Assistent", sagt Kehlmann. Er wisse alles über den Film, habe aber keine künstlerische Vision. Seinen großen Auftritt hat Wilzek dann bei den letzten Dreharbeiten für "Der Fall Molander" und der ihr folgenden Flucht aus Prag. Das entdecke man aber selbst - und kann dabei gerne auch an einen Film denken.

Daniel Kehlmanns Roman "Lichtspiel" ist im Rowohlt-Verlag erschienen.

Am 27.11. ist der Schriftsteller zu Gast in Salzburg, am 28. In München, in der Muffathalle, am 29.11. im Bamberger Odeon-Kino.

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