Club-Szene mit vielen Tanzenden. An der Wand ist ein Bild mit der Aufschrift "Jesus is a dancer".
Bildrechte: Picture Alliance/dpa/Christoph Schmidt

Jesus, ein Tänzer? An Karfreitag, dem Gedenktag zu seinem Tod am Kreuz, wohl kaum.

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Kampf dem Tanzverbot an Karfreitag: Wer schuldet wem Toleranz?

In Bayern ist jegliche "Musikdarbietung in Räumen mit Schankbetrieb" an Karfreitag verboten. Das stößt alljährlich auf Widerstand, teils mit Erfolg. Den Initiatoren der erstrittenen Cluböffnungen geht es um mehr als ums Tanzen – und nicht nur ihnen.

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Die Aktion trägt das Wort "Revolution" im Namen, genauer: "Club Revolution". Im Untertitel: "Gegen das Tanzverbot an Feiertagen". Aktueller Anlass, mit dem der Bund für Geistesfreiheit (BfG) diese Revolution in München bewirbt, ist das Tanzverbot an Karfreitag. In der Landeshauptstadt beteiligen sich 14 Clubs an der Aktion, die trotz bayernweiten Verbots in der Nacht auf Freitag zum Tanzen einladen.

Tanzen als Ausdruck einer "weltanschaulichen Abgrenzung"?

Möglich ist das kraft eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2016. Seitdem sind an Karfreitag und allen anderen "Stillen Tagen" Ausnahmen möglich, wenn Feste und Feiern Ausdruck einer weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber christlichen Glaubensbekenntnissen sind, teilt der BfG München mit.

"Der Bund für Geistesfreiheit trägt zwar den Begriff 'Freiheit' in seinem Namen, aber die von ihm geplanten Feiern und Tanzveranstaltungen am Gründonnerstag und Karfreitag machen einen recht gezwungenen Eindruck", sagt Detlef Pollack dem BR. Für den Religionssoziologen an der Universität Münster ist die Absicht der in München erstrittenen Tanzveranstaltungen klar: "Sie werden veranstaltet, um sich vom Christentum weltanschaulich abzugrenzen, aber sie verdanken sich doch zugleich einzig und allein dem christlichen Glauben – nicht nur, weil er das Feindbild ist, das es mit Feiern und Tanzen zu attackieren gilt, sondern auch, weil es ohne den christlichen Glauben überhaupt keine vorösterliche 'Tage der Stille' geben würde."

Kulturwissenschaftlerin: Protestverhalten hat sich verändert

Die christlichen Feiertage also als Voraussetzung dafür, dass auch getanzt werden kann – oder eben nicht, wie heuer in Nürnberg beschlossen. Die Anträge seien zu pauschal gewesen, heißt es im dortigen Ordnungsamt. Auf BR-Nachfrage sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann: "Diejenigen, die hier tanzen, sind aus dem deutschen Kulturkreis, wie er sich nach 1945 restituierte und entwickelte, herausgefallen. Sie sind schlicht Kulturbanausen. Sie kennen ihre eigene Kultur nicht."

Der Tanzaufruf zum Trotz der Verbote klinge "wie ein Aufruf von Corona-Leugnern", sagt Assmann. "100 Prozent Protestverhalten. Da hat sich etwas in der Gesellschaft geändert. Man wittert überall Verbote und Einschränkungen und muss über die Stränge schlagen, als ob sie sich gegen strenge Eltern wehren müssten."

BfG: Kein Zwang zur Stille – kein Zwang zum Tanzen

Demgegenüber teilt der Bund für Geistesfreiheit mit, die am Christentum orientierten gesetzlichen Feiertage zwar nicht abschaffen zu wollen. "Selbstverständlich sollen und dürfen Christ*innen in Stille und Trauer gedenken", so die Münchner BfG-Vorsitzende Assunta Tammelleo. "Sie dürfen aber nicht Anders- und Nicht-Gläubige zwingen, es ihnen an einem solchen Tag gleichtun zu müssen. Wir zwingen ja auch niemanden, mit uns zu tanzen."

Vonseiten der Kirche jedenfalls ist nichts von Zwang zur allgemeinen Stille zu hören. Überhaupt halten sich die Kirchen in der Debatte auffallend zurück. Das sei "der Tatsache zu verdanken, dass die Christen hierzulande in der Regel ziemlich tolerant und friedlich sind", sagt Religionssoziologe Detlef Pollack. "Es wäre nur recht und billig, wenn der Bund für Geistesfreiheit auch eine solche Haltung einnehmen könnte."

Kritik am Protest gegen das Tanzverbot

Dagegen wartet der BfG mit Slogans wie "Holy Shit" ("Heilige Scheiße") auf, mit dem er an Gründonnerstag auch zu einer Demo "gegen das Tanzverbot an Stillen Tagen und für die Trennung von Kirche und Staat" auf dem Münchner Königsplatz eingeladen hat. "Hier geht es um die Frage, wie wir miteinander umgehen wollen", sagt Pollack, näherhin: "ob wir den Überzeugungen und Gefühlen der anderen mit Respekt begegnen oder sie verletzen wollen."

In der heutigen Zeit sei es ohnehin "billig", Kirche und Glauben anzugreifen. "Aber es verwundert, dass eine kleine Gruppe, die noch nicht einmal 0,01 Prozent der Münchner Bevölkerung ausmacht, meint, eine Gemeinschaft angreifen zu müssen, die sich auf etwa ein Drittel der Münchner Bevölkerung beläuft. Ist ihnen die Kirche, deren Mitgliederbestand dramatisch zurückgeht, noch immer zu mächtig?", fragt sich Pollack – und bemerkt: "Jedenfalls taugt sie ihnen, um mit einfachen Mitteln auf sich aufmerksam machen zu können."

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