Nomadenschicksal in der Wüste
Bildrechte: Annette Hempfling/Deutsches Theater München

Die junge Waris Dirie (Naomi Simmonds)

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Zu Gast im Studio: Waris Dirie

Ihr Buch "Wüstenblume" ein Bestseller mit über 11 Millionen Lesern! Auch der Film ein großer Erfolg. Nun folgt das Musical. Die Lebens- und Leidensgeschichte von Waris Dirie und eine Anklage gegen die Genitalverstümmelung. Waris Dirie im Gespräch...

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Eine wirkliche Mutprobe oder Challenge, wie es heute heißt: Ein Musical über ein so heikles und politisch brisantes Thema wie Genitalverstümmelung zu machen, dazu gehört wirklich Unerschrockenheit. Im Februar 2020, kurz vor der Corona-Pandemie, wurde "Wüstenblume" am Theater im schweizerischen St. Gallen uraufgeführt und damals überwiegend positiv aufgenommen. Textautor und Regisseur Gil Mehmert hielt sich dabei an die gleichnamige Autobiografie von Waris Dirie, einer längst weltbekannten Frau, die es aus der Wüste Somalias als Model auf die Laufstege dieser Welt und in einen James-Bond-Film schaffte ("Der Hauch des Todes").

Was in ihrem Fall allerdings noch viel bedeutender ist: Sie sicherte sich nicht nur begehrte Foto-Shootings und arbeitete für große Modemarken und bekannte Magazine, sondern sie sprach auch von den Podien der Vereinten Nationen und zahlreicher weiterer Organisationen, um dort gegen die grausame und oft tödliche Beschneidung von Mädchen zu protestieren. 11 Millionen Exemplare von "Wüstenblume" wurden weltweit verkauft, allein drei Millionen davon in Deutschland. 2009 wurde Diries Lebensgeschichte verfilmt, koproduziert vom Bayerischen Rundfunk.

Hauptdarstellerin tanzt
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Wildes Leben als "Marilyn": Waris Dirie (Kerry Jean)

Bei der deutschen Premiere von "Wüstenblume" am Deutschen Theater in München war Waris Dirie im Publikum und kam am Ende auch auf die Bühne, wo sie verdientermaßen für ihr weltweites Engagement beklatscht wurde. Bescheiden und offensichtlich dankbar gratulierte sie den Mitwirkenden. Aber ist das Thema wirklich für ein Musical geeignet? Warum nicht, wenn Text und Musik entsprechend anspruchsvoll sind und die Umsetzung dem beklemmenden Inhalt gerecht wird.

Hymne über Regen in der Wüste

Musicalprofi Gil Mehmert lieferte denn auch eine hoch professionelle Regie ab, an der es nichts auszusetzen gab. Das Tempo stimmte, die Übergänge waren absolut reibungslos, Choreograph Jonathan Huor hatte sich von afrikanischer Folklore und vom hektischen Getriebe der Modewelt inspirieren lassen. Was dagegen etwas irritierte, war die sehr bescheidene, fast schon karge Ausstattung, darunter arg billig wirkende Perücken und Kostüme. Ganze vier Musiker unter Leitung von Carly Quiroz mussten den Abend bestreiten.

Komponist Uwe Fahrenkrog-Petersen ("99 Luftballons") gab sich redlich Mühe, die üblichen Erwartungen an ein Musical zu erfüllen: Alles war vorhanden, bekenntnishafte Songs, sentimentale Balladen, Tanzbares von Disco bis Tango und natürlich die unvermeidliche Mitklatsch-Hymne über den Regen in der Wüste, der die Blumen sprießen lässt. Aber, und das ist das große Problem: Dem eigentlichen Thema wurden die Songs in ihrer Anspruchslosigkeit nicht gerecht. Es war bezeichnend, dass die packendsten Szenen gesprochen waren. Aber Musicaldarsteller sind natürlich keine dramatischen Schauspieler, schon gar nicht in einer internationalen Besetzung, insofern blieben da Fragezeichen.

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Traum von der Zukunft: Waris Dirie und ihre Schwester Aman (Rita Sebeh, rechts)

Vor allem vor der Pause wären Kürzungen für mehr Überblick und Spannung angebracht gewesen. Der Gegensatz zwischen der glitzernden Show-Welt der Mode und den ärmlichen Verhältnissen im rückständigen Somalia hätte deutlich kontrastreicher sein können, wenn beide Lebenswelten, etwa durch Rückblenden, in kürzeren Abständen aufeinander geprallt wären. So war es eher ein etwas schwergängiges Abarbeiten der Lebensstationen von Waris Dirie. Das Ganze in eine Rahmenhandlung einzubetten, in der die BBC ein Biopic über die Aktivistin drehte, wirkte gänzlich überflüssig.

Das schmälert nicht die Leistung von Hauptdarstellerin Kerry Jean und Naomi Simmonds, die die jüngere Waris Dirie spielte. Im Cast ragte Susanna Panzner als Agenturchefin heraus, die beeindruckend glaubwürdig die coole Vermittlerin spielte und sang. Ist die Mutprobe also bestanden? Ja, schwierige Themen, selbst die Genitalverstümmelung, selbst Rassismus und Sexismus haben im Musical ihren Platz, wenn der Text entsprechend authentisch und kitschfrei ist, wie in diesem Fall. Dass die Musik dem nicht ganz gewachsen war, machte den knapp dreistündigen Abend zwar etwas länglich, aber keineswegs belanglos.

Bis 15. Oktober am Deutschen Theater München

Waris Dirie war am Freitagabend in der Abendschau im BR Fernsehen mit einem Interview zu Gast.

Waris Dirie.
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Waris Dirie.

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