Jakuta Alikavazovic im Jahr 2013
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Jakuta Alikavazovic im Jahr 2013

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Jakuta Alikavazovics Roman "Wie ein Himmel in uns"

Allein im Museum: Die französische Schriftstellerin Jakuta Alikavazovic hatte dieses Glück. Sie durfte eine Nacht im Louvre verbringen und schrieb darüber das Buch "Wie ein Himmel in uns". Ein zu Recht preisgekröntes Werk.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Ich kam gegen 20 Uhr an, die Leute vom Museum begleiteten mich, ich baute ein Feldbett auf und dann ließen sie mich dort - zwischen den Statuen und zwischen den Erinnerungen, auch meinen eigenen. Und ich stellte fest, dass der Louvre ein paradoxer Ort ist: Wenn er verlassen ist, ist er bevölkert – mit allem, was man hineinbringt. Und diese Nacht war alles, aber nicht erholsam!"

So beschreibt Jakuta Alikavazovic bei France Culture ihren Selbstversuch: eine Nacht allein im Louvre, dem Schauplatz so vieler Filme, dem magischen Ort ihrer Kindheit. Zunächst wandelt die Ich-Erzählerin durch den leeren Kariatidensaal, betrachtet den tanzenden Satyr, den Hermaphroditen und denkt über die Sehnsüchte der Statuen nach.

Nachts im Museum: Tanz mit den Statuen

Dann zieht sie die Schuhe aus, gibt sich strumpfsockigen Rutschpartien hin, denkt kaum noch über die Überwachungskameras nach. Sie küsst einen steinernen Löwen ("Ja, ich habe den Augapfel eines Raubtiers geküsst – wer kann das schon von sich behaupten?"), wird zur "Dompteurin der Abwesenheit" – und während dieses Befreiungstanzes entsteht der Eindruck, die Statuen würden mittanzen.

Erinnerungen an den Vater

In die Erzählung in der Gegenwart mischen sich immer mehr Erinnerungen – an die zahlreichen Museumsbesuche mit ihrem Vater und an seine Geschichte. Seine große Liebe galt der Kunst, auch wenn ihn das Schicksal, so heißt es im Roman, "nicht dazu bestimmt hatte". Mit 20 ging er weg aus seinem Dorf in Montenegro – nach Paris, wo er sich dank seines Charmes auch ohne Geld das "große Leben" erschaffen konnte. Ein Schöngeist und Optimist, der sich weigerte, das Schlechte in der Welt zu sehen. "Er glaubte", heißt es im Roman, "Identität ließe sich erfinden, erschaffen wie ein Kunstwerk. Er glaubte, man könne Werte zu seiner Heimat machen. Er wollte wegen der Schönheit leben. Ich bin wegen des Louvre nach Paris gekommen, hörte ich ihn oft sagen."

Erst im Louvre fühlte sich dieser Vater zuhause. Dort machte er alles – las Bücher, machte Geschäfte, putzte sogar Zähne. Wie ihm all das gelang, bleibt kryptisch. Dort lehrte er seine Tochter das Wahrnehmen – denn ihm entging nichts: Er kannte die Wimpern der Mona Lisa und konnte mit geschlossenen Augen die Landschaft hinter ihr beschreiben. Prüfte, wie viele Tiere, Monde, Segelboote die Tochter bei jedem Besuch sah. Doch der rote Faden ihrer Besuche war die immer wiederkehrende Frage: "Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?"

Eine Reflexion über Fiktion und Wirklichkeit

Diese Frage machte den Museumsbesuch zum Spiel. Und zugleich ihren Vater, der lieber über Kunst als über sich sprach, zum großen Rätsel. Erst 25 Jahre später fragt sich die Erzählerin, warum er diese Frage immer wieder stellte – machte er das Kind damit doch gewissermaßen zur Komplizin eines erträumten Raubes. Ihr wird klar, dass ihr Faible für Fälschungen und Kunstraub – in ihrem vorherigen Roman geht es explizit um einen Museumsdiebstahl – mit dieser Frage zusammenhängt.

Elegant verhandelt Jakuta Alikavazovic in diesem Buch auch Fragen über die Bürde der Emigration, über Identität und Fremdheit. Man erfährt, dass ihr während des Kriegs in Ex-Jugoslawien Ausstellungen klassischer Kunst obszön erschienen; und wie sie in den USA – vielleicht als Abnabelung vom Vater – zur Land Art fand. Es ist eine Reflexion über Fiktion und Wirklichkeit; über unsere Zeit, in der unsere "Lust an Ausstellungen einer Lust am Ausstellen gewichen ist". Und vor allem ist "Wie ein Himmel in uns" auch eine große Liebeserklärung - an ihren Vater und die Kunst.

"Wie ein Himmel in uns – Meine Nacht allein im Louvre" von Jakuta Alikavazovic, übersetzt von Stephanie Singh, ist bei Hanser erschienen und kostet 22 Euro.

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