Der Sänger vor einer Wand mit hebräischen Buchstaben
Bildrechte: Reinhard Winkler/Landestheater Linz

Jude Éléazar (Matjaž Stopinšek) ringt mit sich

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Inferno aus Hass: Halévys fulminante Oper "Die Jüdin" in Linz

Der französische Komponist Fromental Halévy, dessen Vorfahren aus Fürth kamen, zeigt in seiner fulminanten Grand Opera lauter rachsüchtige Menschen, die religiösen Fanatismus für eigene Zwecke ausnutzen: Ein brisanter und hoch aktueller Stoff.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wer der Meinung ist, dass derzeit geradezu hysterisch über Antisemitismus und die Nahostpolitik gestritten und gerungen wird, der sollte sich diese Oper von Fromental Halévy (1799 - 1862) ansehen: Da schreien sich alle Mitwirkenden fast pausenlos an. Sympathieträger gibt es keine, nur ganz normale Menschen, und die erweisen sich als rachsüchtig, fanatisch, brutal, egoistisch. Die Jüdin Rachel, die dem Werk "La Juive" den Titel gibt, ist gar keine, hält sich aber für eine und wird deshalb auf dem Scheiterhaufen verbrannt - also im doppelten Sinne irrtümlich, mehr religiöser Irrsinn und politische Verblendung ist kaum denkbar.

Aufgehetzter, gewaltbereiter Mob

In einer Zeit, in der in den Kulturteilen deutscher Zeitungen, und nicht nur dort, mal wieder verbissen darüber diskutiert wird, wer eigentlich eine jüdische Identität beanspruchen darf, dürfte keine Oper aktueller und brisanter sein. Textdichter Eugène Scribe wollte seine vermeintliche "Jüdin" am Ende eigentlich taufen lassen, doch Komponist Halévy, dessen Vater Élie (1760 - 1826) ein erfolgreicher hebräischer Dichter aus Fürth war, wollte eine hochdramatische Katastrophe, ein Inferno aus Hass und Gewalt. Grund dafür: Ihm ging es um die bis heute offene und ungemein schmerzliche Frage, wie sehr sich Juden der jeweiligen christlichen Mehrheitsgesellschaft anpassen sollten oder nicht.

Klar, dass der französische Regisseur Marc Adam bei seiner Inszenierung der "Jüdin" am Landestheater Linz bei diesem Stoff in dieser Zeit nicht um einen Kommentar zur Gegenwart herum kam. Und so ist ein aufgehetzter, gewaltbereiter Mob zu sehen, der Transparente in die Höhe reckt, auf der die bekannten populistischen Parolen zu lesen sind, gegen Ausländer und Flüchtlinge, gegen Homosexuelle und die angebliche "Lügenpresse".

Alle kalkulieren mit der Schlechtigkeit der Welt

Das Beklemmende daran: Jeder der hier vorgestellten Akteure weiß genau, wie er diese Emotionen für seine höchst privaten, selbstsüchtigen Ziele ausnutzen kann: Der Kardinal de Brogni, der jüdische Goldschmied Éléazar, dessen vermeintliche Tochter Rachel, der Reichsfürst Leopold, die in ihn verliebte Prinzessin Eudoxie. Sie alle denken nur an sich, mit allen, auch blutigen Konsequenzen, und bilden sich nicht einen Moment ein, die Welt verbessern zu können. Sie kalkulieren vielmehr mit deren Schlechtigkeit.

Und weil das Ausbeuten von Vorurteilen seit dem Konstanzer Konzil im Jahr 1414 bis heute eine so beliebte wie berüchtigte Herrschaftstechnik ist, spielt es keine Rolle, ob ein Regisseur die Oper tatsächlich im Mittelalter spielen lässt oder in der Gegenwart. Marc Adam und sein Bühnenbildner Dieter Richter zitieren zwar optisch die Glas-Rosette einer gotischen Kathedrale, aber ansonsten lassen sie im Ungefähren, in welcher Ära das Drama seinen Lauf nimmt. Gut, dass die Regie die Geschichte unaufgeregt in Schwarz-Weiß bebildert, denn sie ist ja, wie eingangs erwähnt, als solche schon von hysterischer Wucht.

Ruhe wäre unheimlich

Das wurde übrigens auch beim französischen Dirigenten Yannis Pouspourikas deutlich. Er schaffte ein hochnervöses, vibrierendes Klangbild, schlug ein geradezu fiebriges Tempo an, als ob er das Schicksalsrad in rasende Rotation versetzen wollte. Die wenigen Atempausen dazwischen reichten im übertragenen Sinne gerade, um notenmäßig etwas Luft zu schnappen. Ein in jeder Hinsicht überzeugender Abend, natürlich auch wegen des phänomenal engagierten, viel beschäftigten Chors und der Solisten, allen voran Matjaž Stopinšek als Éléazar, Erica Eloff als Tochter Rachel und Dominik Nekel als Kardinal de Brogni. Der südkoreanische Tenor Seungjick Kim als eitler Reichsfürst Leopold übertrieb es etwas mit stimmlicher Kraftprotzerei, was auf Kosten der emotionalen Glaubwürdigkeit ging.

Im Programmheft war übrigens ein aufschlussreicher Beitrag zu lesen unter der Überschrift: "'La Juive' als Spiegel ihrer Zeit", nämlich der Ära der opulenten Pariser Ausstattungsopern um 1840. Bei der Uraufführung sollen zwanzig echte Pferde auf galoppiert sein. Tatsächlich ist diese "Jüdin" aber leider ein "Spiegel jeder Zeit", auch unserer, und das verleiht ihr diese Nahbarkeit, diese Fähigkeit, uns zu erschüttern.

Insofern ist die gegenwärtige Aufregung um den Antisemitismus, um Israel, die Palästinenser und die Nahostpolitik mehr als angebracht - Ruhe wäre unheimlich, erzwungene Einigkeit schockierend. Das jedenfalls ist die Botschaft von Fromental Halévy.

Wieder am 9. und 13. März, sowie 14. April 2024 am Landestheater Linz, weitere Termine.

Bildrechte: Reinhard Winkler/Landestheater Linz
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