Auf Schloss Herrenchiemsee eröffnete am 10. August 1948 Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer die Tagung, die den Grundstein für unser Grundgesetz legte.
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Auf Schloss Herrenchiemsee eröffnete am 10. August 1948 Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer Tagung, die den Grundstein für unser Grundgesetz legte.

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Demokratische Sternstunde: So entstand unser Grundgesetz

Vor genau 75 Jahren tagten auf Herrenchiemsee die "Väter" unseres Grundgesetzes. Eine Ausstellung im Schloss macht die Atmosphäre des Verfassungskonvents nun erlebbar – und stiftet so ein Bewusstsein für die "Meisterleistung", die dort gelang.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Der Ausblick ist nicht schlecht. Durch die Fenster des kleinen Raums im Verfassungsmuseum auf Herrenchiemsee hat man direkte Sicht auf die Fraueninsel mit ihrem berühmten Zwiebelturm. Viel spannender ist jedoch das, was sich drinnen befindet: ein kleiner, runder Tisch, darauf ein Aschenbecher. Und in diesem Aschenbecher liegt eine dicke Zigarre.

Zigarren und Bier: Alltag der Konvent-Teilnehmer

Das ist dann doch etwas überraschend. Schließlich geht es in der Ausstellung um die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Da erklären Zigarren auf den ersten Blick wenig. Auf den zweiten allerdings schon mehr, wie Rubert Grübl, Direktor der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, betont. Es gebe Listen davon, wie viele Zigarren und Gläser Bier den Teilnehmern des Verfassungskonvents zustanden. "Und wir versuchen, das Leben der Menschen in diesen Tagen auf der Insel nachzustellen." Es geht also um eine Art historisches Reenactment.

Im Jahr 1948 kamen die Delegierten der Deutschen Bundesländer auf Herrenchiemsee zusammen, rauchten Zigarren, und erarbeiteten dabei die Grundlage dessen, was wir heute als Verfassung kennen. Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums hat man die alte Ausstellung hier im Verfassungsmuseum neu aufgelegt. Es sei das Ziel, zu vermitteln, "dass dieses Grundgesetz nicht nur Grundlage unseres Staates ist, sondern jeden Mann und jede Frau im täglichen Leben täglich betrifft", so Grübl.

Interaktive Elemente lockern die Ausstellung auf

Das Problem ist nur: So ein Verfassungskonvent ist ein ziemlich trockenes Thema. Tagelange Verhandlungen, Unterausschüsse, dazu Namen wie Otto Suhr, Hans Erhard, Anton Pfeiffer – die nur Expertinnen der bayerischen Geschichte ein Begriff sein dürften. Deshalb soll die neue Ausstellung nicht nur bilden, sondern auch auflockern. Neben Zigarren gibt es auch interaktive Spiele für die Besucher. An einer virtuellen Tafel kann man zum Beispiel mit Handbewegungen Hindernisse wegwischen, die den Weg zum Grundgesetz versperren. Hungerwinter, Kohlemangel, das alles seien Probleme gewesen, die die Politik damals habe lösen müssen, erklärt Museumsreferentin Uta Piereth.

Das größte Highlight für die Kuratorin ist allerdings der authentisch nachgebildete Plenarsaal, wo die Ministerpräsidenten damals verhandelten. "Wir haben versucht, diesen Plenarsaal, anders als es in der alten Ausstellung war, so echt wie möglich wiederherzustellen", erklärt Piereth. "Wir haben sogar aufgrund von Bildern, die wir gefunden haben, die alten Tischdecken wieder neu drucken lassen, sodass der Raum so authentisch wie möglich dargestellt wird."

Projektleiterin Monika Franz: "Sternstunde der Demokratie"

Zettel mit alter Schreibschrift, antike Kerzenständer, eine Schreibmaschine, in der ein Protokoll klemmt – ein Hauch von Washington D.C. auf Herrenchiemsee. Dort wird die amerikanische Verfassung ja auf monumentale Weise zelebriert, mit Statuen in der ganzen Stadt. Am Chiemsee gibt’s davon jetzt die Mini-Version, denn die Zielsetzung ist eine ähnliche, erklärt die Projektleiterin der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Monika Franz. 

"Zum einen täte es uns wirklich gut, bisschen mehr demokratisches Selbstverständnis zu entwickeln", so Franz, "wir müssen uns klarwerden, dass das wirklich eine Sternstunde der Demokratie war: In 13 Tagen entwickeln die da einen Entwurf für ein Grundgesetz. Das ist eine Meisterleistung, die man nicht hoch genug schätzen kann."

Das Grundgesetz: ein Grund zum Stolz?

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" – der ersten Artikel des Grundgesetzes prangt gleich am Eingang in Großbuchstaben auf einer Säule. Dieser Grundsatz wurde 1948 erarbeitet. Die Idee: Der Staat sollte für den Menschen da sein. Auf so etwas kann man ruhig stolz sein, finden die Kuratoren. 

  • Zum BR24 Retro: 75 Jahre Entwurf des Grundgesetzes

Ein neuer deutscher Verfassungspatriotismus soll aus der Ausstellung aber nicht erwachsen. Das Ziel sei, die Geschichte so neutral und unterhaltsam wie möglich aufzuarbeiten – eine Meinung bilden soll sich dann jeder selbst.  

Im Video: Verfassungspioniere bei der Arbeit

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