Ordensbrüder der Deutschen Franziskanerprovinz mit der IPP-Geschäftsführerin Helga Dill bei der Pressekonferenz in München.
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Ordensbrüder der Deutschen Franziskanerprovinz mit der IPP-Geschäftsführerin Helga Dill bei der Pressekonferenz in München.

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Franziskaner starten Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt

Die Deutsche Franziskanerprovinz hat ein Forschungsinstitut damit beauftragt, sexualisierte Gewalt in der Ordensgemeinschaft aufzuarbeiten. Die Franziskaner entschuldigten sich, dass erst jetzt damit begonnen wird.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche ist in den vergangenen Jahren voran gekommen. Hinterher hinken dagegen die katholischen Ordensgemeinschaften bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen. Nun lässt die Deutsche Franziskanerprovinz Fälle sexualisierter Gewalt innerhalb der Ordensgemeinschaft von einem unabhängigen Forschungsinstitut systematisch aufarbeiten. Damit wurde nun das Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) beauftragt, das auch bei der jüngsten Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche beteiligt war. In München stellten die Franziskaner ihr Vorhaben am Mittwoch vor. Die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Untersuchung sollen Ende 2025 vorliegen und veröffentlicht werden.

Aufarbeitung den Betroffenen schuldig

Damit will sich die Deutsche Franziskaner-Provinz einem düsteren Kapitel der eigenen Ordensgeschichte stellen. Bruder Markus Fuhrmann, Provinzialminister der Franziskaner, sagte in München, der Orden sei in erster Linie den Betroffenen eine Aufarbeitung schuldig und "wir sind es auch uns selbst schuldig", so Fuhrmann. "Wenn wir als Franziskaner in der Nachfolge Jesu Christi leben wollen, dann geht es um die frohe Botschaft. Wie können wir eine solche Lebensbotschaft verkünden, wenn wir nicht hinschauen auf die dunklen Seiten unserer Geschichte?" Es gehe vor allem darum, den Betroffenen zuzuhören, was sie erlitten hätten, und zu verstehen, wie es dazu habe kommen können, erläuterte der Franziskaner.

Fuhrmann räumte ein, dass der Orden mit der Aufarbeitung vergleichsweise spät anfange. "Es tut mir leid, dass wir so lange gebraucht haben, aber wir haben so lange gebraucht", sagt Fuhrmann. Der Orden habe sich in den vergangenen Jahren auf Prävention sexualisierter Gewalt konzentriert, Leid von Opfern anzuerkennen und künftigen Missbrauch zu verhindern. In der Ordensgemeinschaft sei es in ganz unterschiedlichen Kontexten zu sexualisierter Gewalt gekommen, etwa in Internaten, aber auch in Pfarreien und Klöstern, wo Jugendliche oder Kinder als Messdiener tätig waren, oder in der Jugendarbeit. "Es gab auch Fälle, wie es statistisch ja letztlich am häufigsten ist, wo ein Mitbruder schlicht und ergreifend in der eigenen Familie Neffen und Nichte missbraucht hat."

Seit 2010 gingen 40 Missbrauchsmeldungen ein

Seit 2010 seien bei der Provinz mehr als 40 Meldungen zu Missbrauchsfällen eingegangen. Sie bezögen sich meist auf die Zeit von 1960 bis 1990. Der Großteil der als Täter beschuldigten Brüder sei schon gestorben. Laut Fuhrmann kostet die Studie einen niedrigen sechsstelligen Betrag. 500.000 Euro haben die Franziskaner nach eigenen Angaben bisher als Anerkennungsleistungen an Betroffene gezahlt. Seit 2010 seien 30 Anträge gestellt und davon 27 bewilligt worden.

Ordensleitung und Forschende verbanden die Vorstellung des Projekts mit einem Aufruf: Wer im Verantwortungsbereich der deutschen Franziskanerprovinz sexualisierte Gewalt erfahren habe, möge sich beim Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) melden. Dies gelte auch dann, wenn Personen schon bei der Provinz oder einem katholischen Bistum vorstellig geworden seien. Gesucht würden zudem Zeitzeugen, die nicht von sexualisierter Gewalt betroffen seien, aber von dieser gehört hätten.

Aufarbeitung von Strukturen und Schutz von Betroffenen

Helga Dill, Geschäftsführerin des IPP, hob hervor, man wolle die besonderen Bedingungen untersuchen, die in der Ordensgemeinschaft sexualisierte Gewalt ermöglicht haben: "Wie konnte sexualisierte Gewalt innerhalb dieser Ordensgemeinschaft ausgeübt werden? Was gab es für Strukturen, die Aufdeckung verhindert, die Täter geschützt und Betroffene nicht ausreichend oder gar nicht in den Blick genommen haben?" Die Besonderheit der Ordensgemeinschaft sei, laut Dill "diese Mischung aus Betrieb und Familie". Es gehe den Forschern darum, die Strukturen auszumachen, die sexualisierte Gewalt ermöglicht haben, so Dill.

Mithilfe von Interviews sollen Taten und Täter aufgedeckt sowie spezifische Risikopotenziale analysiert werden, hieß es. Für die Studie sei ein Begleitgremium einberufen worden, das die Wissenschaftler fachlich und praktisch unterstütze, sagte die IPP-Geschäftsführerin Helga Dill. Diesem gehörten neben den Wissenschaftlern, auch Vertreter des Ordens und ein Betroffener an. Gesucht würden aber noch weitere Betroffene, die sich eine Mitwirkung vorstellen könnten.

Deutsche Franziskanerprovinz besteht aus 212 Mitgliedern

Das IPP hat schon mehrere Forschungsprojekte für Institutionen auf diesem Feld durchgeführt, etwa für das Internat Ettal, die Odenwaldschule oder das Bistum Essen. Zuletzt war es an der Forum-Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland beteiligt. Die Deutsche Franziskanerprovinz besteht derzeit nach eigenen Angaben aus 212 Mitgliedern. 40 von ihnen sind jünger als 60 Jahre alt.

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Die Klosterkirche Sankt Anna in München.

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