Augenpartien aus verschiedenen Fotos in einer farbigen Collage
Bildrechte: Asthmatic Kitty Rec.

Aus verschiedenen Bestandteilen collagiert: Auch die Musik von Sufjan Stevens neuem Album setzt sich aus heterogenen Elementen zusammen.

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Folkpop-Songs als Melodram: Sufjan Stevens' neues Studio-Album

Der US-Amerikaner Sufjan Stevens gilt als Galionsfigur des Independent-Pop, er ist ein Songautor, der sein Metier auf einer Hochschule erlernt hat. Auf "Javelin", dem elften Studioalbum, gibt er sich ungewöhnlich offen und selbstbestimmt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Mit einem schweren Atmer beginnt "Javelin" – und nicht nur Sufjan Stevens wappnet sich zu Beginn seines neuen Albums. Auch wir als Publikum holen besser nochmal tief Luft. In welche entlegene Ecke seines musikalischen Universums schickt uns Sufjan Stevens wohl diesmal?

Landen wir wieder bei instrumentaler Klavierduo-Musik, komponiert fürs Ballett? Oder geht es wieder in Richtung Ambient-Meditation ohne Beat? Nichts davon. Sufjan Stevens heißt uns wieder auf seinem Heimatplaneten willkommen. Es geht um Abschied, um Einsamkeit und Herzschmerz - und das ewige Ringen ums Lieben und Geliebtwerden. "Javelin" ist ein Singer-Songwriter Album - voll berauschend schöner Musik.

Gegen kommerzielle Erwartbarkeit

Links zum neuen Merchandise, glamouröse Selfies – so promoten andere Künstler ihre neuen Platten. Sufjan Stevens hat sich dagegen wenige Tage vor dem Release seines hervorragenden elften Albums dafür entschieden, ein Foto seiner speziell für ihn umgemodelten Klobrille zu posten.

Auf die ist er angewiesen, seit letzten Monat bei ihm das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert wurde – eine Autoimmunkrankheit, die zu Muskellähmungen oder lebensgefährlichen Atem- und Schluckbeschwerden führen kann. Den Release von "Javelin" erlebt der Musiker aus der Reha heraus, in der er aktuell versucht, wieder laufen zu lernen.

In seiner über 20-jährigen Karriere hat Stevens immer wieder Konzeptalben veröffentlicht - über den Weltraum, über Schlaflosigkeit, zumindest über zwei der 50 Bundesstaaten der USA, über den Tod der eigenen Mutter. "Javelin" ist zwar kein Konzeptalbum - erinnert aber musikalisch an eines seiner besten, das 2015 erschienene "Carrie & Lowell".

Songs über Liebe, Krankheit, Angst und Tod

Was er damals auf Songs wie "Should have known better" meisterlich als Muster etabliert hat, setzt er nun auf "Javelin" bei jedem einzelnen Song ein: Ganz zart beginnen die Lieder, spärlich mit Klavier oder Akustik-Gitarre instrumentiert, die intimen Texte gehaucht - um dann spätestens nach zwei Dritteln des Songs aufzublühen zu üppigem Indie-Kammerpop.

Sufjan Stevens hat dieses Album fast komplett alleine gemacht, er hat es geschrieben und im Heimstudio eingespielt und produziert - der auffälligste und schönste Fremdbeitrag kommt von einem Chor aus befreundeten Musikerinnen.

Und wie so oft bei Sufjan Stevens verschiebt sich durch die himmlischen Klänge irgendwann die Gewissheit: Singt der gläubige Christ hier eigentlich überhaupt noch von der Beziehung zwischen zwei Menschen? Oder geht es nicht längst um seine Liebe zu Jesus und Gott? Die Antwort auf beide Fragen lautet wahrscheinlich: ja.

Bekenntnis zum Partner

Im Lauf seiner Karriere hat sich Sufjan Stevens nie direkt zu seinem Privatleben und seiner Sexualität geäußert - bis jetzt. Denn zur Veröffentlichung von "Javelin" hat Stevens letzten Freitag zum ersten Mal über seinen langjährigen Partner Evan Richardson geschrieben - der im Frühjahr mit gerade mal 43 Jahren gestorben ist. Ihm ist diese herzzerreißend schöne Platte gewidmet.

Javelin von Sufjan Stevens ist bei Asthmatic Kitty erschienen.

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