Arbeiter stehen in einer Panzerwanne
Bildrechte: Ramil Sitdikov/Picture Alliance

"Armata"-Produktion in Nischny Tagil im Ural

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"Er könnte zerkratzt werden": Putins "Wunder"-Panzer zu teuer

Die Spötter laufen zu großer Form auf: Der Kreml kann sich das neueste russische Kettenfahrzeug "Armata", das in der Propaganda eine wichtige Rolle spielte, nicht leisten. Vergleichsweise billige Drohnen zerstören immer mehr hochwertige Ausrüstung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

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"Armata"-Produktion in Nischny Tagil im Ural

"Das haben mir meine Eltern schon als Kind gesagt: Die neuen Turnschuhe sind für den Urlaub, spazieren gehen kannst du mit den alten", kommentierte ein russischer Leser die Posse um den Panzer T-14 mit dem klangvollen Namen "Armata". Offenbar wird er nur im Kulturkampf benötigt.

Das von der Kreml-Propaganda viel gerühmte Fahrzeug wird nach Angaben des Generaldirektors des staatlichen russischen Rüstungs- und Technologiekonzers Rostec, Sergej Tschemesow (71), gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti wegen der hohen Kosten nicht im Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommen: "Der 'Armata' ist ganz generell sehr kostspielig. Was seine Funktionalität betrifft, ist er den bestehenden Panzern natürlich weit überlegen, aber er ist zu teuer, so dass die Armee ihn derzeit wahrscheinlich nicht einsetzen wird. Für sie ist es praktischer, T-90-Panzer anzuschaffen." Sein Konzern benötige mehr staatliches Geld für "billigere" Waffen, fügte der Manager an.

Vergleich mit "Weißem Elefant"

Der britische Geheimdienst vermutete, dass Putin seine vermeintliche "Wunderwaffe" aus Prestigegründen nicht an die Front bringt: Der Ansehensverlust sei zu groß, wenn der viel gerühmte Panzer in die Hände der Ukraine fallen würde. Demnach geht es nicht um ein militärisches, sondern um ein propagandistisches Problem.

Der kremlkritische russische Wirtschaftsfachmann Igor Lipsits verglich den "Armata" mit einem weißen Elefanten: Die seien einst in Thailand gefürchtete "Geschenke" für renitente Untertanen gewesen, weil ihr Unterhalt einerseits teuer war, sie jedoch andererseits als heilige Tiere nicht arbeiten durften.

"Panzer der Zukunft"

Unfreiwillig komisch äußerte sich Politologe Alexander Perendschijew, der die "11 Subsysteme" des "Armata" und dessen vollautomatischen Turm lobte: "Der einzige Nachteil sind seine Kosten." Ursprünglich sollten nach Angaben von Fachleuten bis 2020 rund 2.300 Exemplare gebaut werden, wobei es zwischendurch peinliche Pannen gab: Ein "Armata"-Prototyp blieb 2015 bei einer Generalprobe auf einer Siegesparade in Moskau liegen, mit seinen Abmessungen passt das Gerät nicht in die vorhandenen Reparaturwerkstätten des russischen Militärs. Der russische General Wladimir Boldyrew argumentierte mit so verblüffender wie grotesker Logik, der T-14 sei als "Panzer der Zukunft" vollgestopft mit Elektronik und deshalb für die Gegenwart zu "unpraktisch".

Noch im Februar hatte Putin persönlich im Ural die Fabrik besucht, wo der "Armata" produziert werden sollte. Der Präsident brüstet sich regelmäßig auf Pressekonferenzen und in seinen Reden mit Russlands "modernsten Waffen, die ihren ausländischen Konkurrenzprodukten hinsichtlich taktischer und technischer Eigenschaften weit überlegen" seien und vergaß dabei nie, auch den "Armata" zu nennen. Insofern ist jetzt die Blamage groß, was sogar Propagandisten einräumen. Sie kritisierten, der Panzer werde wegen Materialmangels "als Unikat" gefertigt.

"Kommt sehr, sehr oft vor"

Der kremlnahe "Politologe" Sergej Markow schimpfte, die meisten Russen hielten das ganze Projekt ohnehin für einen "groß angelegten Korruptionsbetrug", bei dem Haushaltsgelder veruntreut worden seien. Allerdings sei Russland immerhin nicht das korrupteste aller Länder: "Der Panzer ist nicht mehr da und wird offenbar auch nie kommen." Solche "Fehler" bei der Entwicklung neuer Waffen gehörten in allen Ländern zur Realität: "Das kommt sehr, sehr oft vor." Der Hauptfehler der russischen Rüstungsmanager sei gewesen, zu wenig in Drohnen investiert und die Raketentechnik vernachlässigt zu haben: "Auch, wenn das sehr, sehr nötig gewesen wäre." Wie viele andere verwies Markow darauf, dass Panzer ganz allgemein wegen ihrer hohen Kosten "Auslaufmodelle" in der modernen Kriegsführung seien, weil sie leichte Ziele für billige Drohen seien.

Dasselbe gilt offenbar für teure Kampfschiffe. So versenkten ukrainische Überwasser-Drohnen jüngst nach übereinstimmenden Berichten beider Kriegsparteien ein weiteres Patrouillenboot der russischen Schwarzmeerflotte, die "Sergej Kotow". Die Kosten des erst 2021 in Dienst gestellten Schiffs wurden von Kriegsbloggern auf umgerechnet rund 60 Millionen Euro beziffert, das Rüstungsprojekt als unnützer "Koffer ohne Griff" geschmäht, weil die Bewaffnung vergleichsweise "schwach" gewesen sei.

"Wettbewerb nicht verzerren"

Wie auch immer: Die Häme, die der Kreml jetzt aushalten muss, ist allgegenwärtig. Die "Armata"-Panzer rollten wohl deshalb nicht an die Front, um den "Wettbewerb nicht zu verzerren", war zu lesen. Das Fahrzeug sei als "Ausstellungsobjekt" für Paraden entwickelt worden. "Es ist schwer, eine dümmere Ausrede zu finden", kritisierte ein Leser Tschemesows Hinweis auf die hohen Kosten des Panzers. Wenn Hühner mit Straußenvögeln gekreuzt würden, um mehr Fleisch zu produzieren, seien die Aussichten ähnlich "gut" wie beim "Armata". Jemand erinnerte an die neureichen Russen, die Luxusschlitten in der Garage hätten, die sie aus Rücksicht auf die Juwelen-Verzierungen niemals benutzten.

Es wurde der Witz zitiert, wonach sich bei einem einzelnen Hosenbein immer die Frage stelle, ob man es tragen oder doch besser verkaufen solle. Jemand bezweifelte, dass Tschemesow "so einen Unsinn" wirklich gesagt habe: "Was ist, wenn der Armata zerkratzt wird?" Kühne Blogger verwiesen auf die Sanktionen des Westens. Der Panzer könne nicht produziert werden, weil die importierten Komponenten fehlten: "Und wenn man es schafft, sie zu besorgen, sind sie natürlich extrem teuer." Das Ganze wurde als "Tragikomödie" zum "Totlachen" bezeichnet.

"Knurren, schnurren, pfeifen"

Einer der ultrapatriotischen russischen "Kriegsbarden" hatte noch im vergangenen Jahr gejubelt, manchmal würden "Träume" wahr: "Zweifel, Zweifel, Zweifel in der Nacht. Die Donezker Steppe schweigt, schläft und gibt keine Antwort. Und dann kommt, völlig unerwartet, als Antwort auf alle Fragen, hinter der Kurve eine Panzerkolonne auf Sie zu! Der T-14, brandneu – ich, ein Geisteswissenschaftler, habe bereits begonnen, nicht nur Puschkin und Dostojewski, sondern auch Modelle russischer Panzer auseinanderzuhalten. Die T-14 knurren, schnurren und pfeifen im Vorbeifahren. Sie pflügen mit ihren Raupen den Kreisverkehr im Donbass auf. Und sofort, sofort fühlen Sie sich sicherer. Wenn man einer Panzerkolonne begegnet, ist man immer voller Optimismus und verspürt stets unerklärliche Freude."

Andere Blogger wunderten sich, warum sie bisher von dem Panzer an der Front nie etwas gehört und gesehen hätten und führten das auf die "starke Geheimhaltung" zurück. Manche witterten auch ironisch eine "Unsichtbarkeitstechnologie" und schwärmten von wundersamen "Armata-Fernsehmoderatoren".

"Strahlenwaffen vom Mars"

"Es ist, als würde man ein Aquarium mit Weihnachtsschmuck aufhübschen", hatten russische Militärfans den "Armata" verhöhnt. Der Turm des Panzers habe allenfalls als "Periskop" eine Überlebenschance. Seine Elektronik und Optik habe "null" Effekt: "Wir haben immer noch ein Militärsystem aus dem Zweiten Weltkrieg, durchsetzt mit Ausrüstung des 21. Jahrhunderts. Unter solchen Bedingungen helfen uns keine Strahlenwaffen vom Mars." Ganz offen wurde von einem "PR-Produkt" gesprochen: "Ich habe einmal gelesen, dass es keine erfolgsversprechende Idee ist, ein Auto rückwärts nach vorne zu fahren, da das Fahrwerk nicht für ständige Belastungen beim Rückwärtsfahren ausgelegt ist!"

Weniger spöttisch schrieb einer der Kritiker: "Warum zum Teufel brauchen wir überhaupt Panzer? Wenn der Panzer innerhalb von 10 Minuten nach dem Gefecht zerstört ist, stirbt die Besatzung. Wie viel Geld und Zeit kostet es, Menschen auszubilden?"

"Projekt scheiterte völlig"

Politologe Konstantin Kalaschew wagte es, ähnliche russische Hightech-Fehlschläge zu erwähnen: "Ich hoffe, dass ich mich irre, aber es scheint, dass das ein typisches Schicksal aller Entwicklungen von Rostec ist. Das erste russische Smartphone Yota begründete diese Tradition [die Firma ging 2019 pleite]. Dann gab es das erste russische Tablet auf Basis des Elbrus-Prozessors ["können es kaum mit modernen CPUs von Intel oder AMD aufnehmen"]. Die Liste wird verlängert. Damals hörte man auch stets die Erklärung, dass sie sich als zu teuer erwiesen hätten."

"Wir können davon ausgehen, dass das Epos um Armata beendet ist", so die Bilanz eines Bloggers mit 170.000 Fans: "Das Projekt scheiterte völlig und es wurde unglaublich viel Geld für den Panzer in den Sand gesetzt. Jetzt ist klar, wie die Sprachregelung in solchen Fällen künftig lauten wird: Wird in Betrieb genommen, aber kommt nicht zum Einsatz. Diese Formulierung gibt grünes Licht für viele andere Projekte, die 'ihrer Zeit voraus' sind." Es habe sich herausgestellt, dass Russland "nicht bereit" gewesen sei, einen Krieg zu führen und das Land vor Gegenschlägen zu schützen.

Einmal mehr war von "Schrödingers Panzer" die Rede, eine Anspielung auf das bekannte Gedankenexperiment "Schrödingers Katze", womit Physiker eines der Grundprobleme der Quantentheorie veranschaulichen. Genaue Zustandsbeschreibungen von Systemen sind dort mit herkömmlichen Messungen nicht möglich, sondern nur Wahrscheinlichkeiten.

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