Ein Mann in Tarnuniform stützt eine ältere Dame, die auf Krücken zu einem Fahrzeug geht.
Bildrechte: Weltkino Filmverleih

Die Doku "White Angel" erzählt die Geschichte von Vasyl Pipa. Der Polizist hat viele Menschen aus der Stadt Malinka in der Ostukraine gerettet.

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Dokumentation "White Angel": Von der Zerstörung einer Stadt

Eine ungewöhnliche Perspektive nimmt der Dokumentafilmer Arndt Ginzel für seine Reportage "White Angel" ein: Er arbeitet mit den Aufnahmen einer Kamera, die ein ukrainischer Sanitäter am Körper trägt.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Marinka gibt es nicht mehr. Die Stadt wurde ausradiert. "Marinka scheint in der Erde zu versinken", sagt der Protagonist des Films, der noch ziemlich junge Polizist Vasyl Pipa. Fast zehntausend Menschen lebten dort, in der ost-ukrainischen Region westlich von Donezk. Marinka wurde seit 2014 beständig durch prorussische Separatisten attackiert, dann folgte im Frühjahr 2022 mit der Eskalation des Krieges die angeordnete Räumung. Alle Bewohnerinnen und Bewohner mussten die Stadt bis September verlassen, wegen des schweren Artilleriebeschusses. Bei der Räumung half die örtliche Polizei.

Auf dem Beifahrersitz neben Vasyl liegt ein Schnellfeuergewehr. Die Fahrt führt über Schotterwege und grüne Wiesen. Vasyl singt gerne, im Moment das Lied über den Mondprinzen. Das Haus ist verwaist, "auf dem weiten Feld die böse Seite", übersetzen die Untertitel den Text.

Mitten im Geschehen

Vasyl hat seine Einsätze mit einer Helmkamera gefilmt. Regisseur Arndt Ginzel erklärt, man befinde sich gewissermaßen in einer Egoshooter-Perspektive, aber eben nicht wie bei brutalen Videospielen in der des Schützen, sondern hier in der des Helfenden.

Beeindruckende Aufnahmen, mit denen der Film beginnt. Fahrten durch die zerstörte Stadt. Das Betreten zerbombter Häuser. Das Tragen von Leichensäcken. Das Passieren einer Kirche an verschiedenen Tagen. Da steht sie. Bei der nächsten Vorbeifahrt brennt sie. Das Sitzen in der Fahrerkabine des weißen Rettungswagens, des "White Angel", zusammen mit Kollegen, oft die Songs aus dem Radio mitsingend. Das hilft.

Neben Vasyl sitzt Rustam am Steuer. Dann ist da noch Artjom, der Vorgesetzte. Sofort ist der Zuschauer drin in diesem Film. Mit seiner Helmkamera will Vasyl die begangenen Verbrechen dokumentieren, Beweismittel sammeln für die spätere strafrechtliche Verfolgung.

Die andere Seite des Krieges

Es gibt dramatische Momente der Evakuierung. "Schnell, schnell!" Einmal wird einer im Rettungswagen von einer Kugel getroffen. Eine Wunde im Bein. "Gib Gas! Weg hier!"

Der Leipziger Regisseur Arndt Ginzel hat dieses Material empfindsam montiert, dicht, aber auch nicht zu dicht, mit drastischen Ereignissen, aber eben auch nicht ununterbrochen. Sie sollen aufrütteln, etwas sichtbar machen, was in den Nachrichtenbildern und Fernsehreportagen meist nicht zu sehen ist: das existenzielle Sein im Krieg, die komplexen Empfindungen eines Geworfenseins in einen Ort des Todes. Manche Aufnahmen sind erschreckend, aber sie dürfen auch nicht abschrecken – die Zuschauer sollen hinschauen, was da passiert ist in Marinka.

"Krieg ist ein Monster, der Film auch"

"Der Krieg ist halt ein Monster – und der Film ist auch ein Monster, und zeitweise hat man das Gefühl, es frisst einen auf." So erzählte es Arndt Ginzel in einem Interview mit der "Leipziger Zeitung". Die Helmkamerabilder hat er durch Gespräche ergänzt, die er selbst vor Ort geführt hat, mit den Menschen, denen Vasyl Pipa als Helfer begegnet ist.

Der Krieg kommt einem nahe in diesem Film. Immer wieder spürt der Zuschauer Tränen aufsteigen. "Das Ende von Marinka" berührt – und macht erfahrbar, wie immer wieder die Zivilbevölkerung den Kriegen, egal welchen, zum Opfer fällt – und dass die Sehnsucht nach Frieden nie aufhört zu existieren.

White Angel - Das Ende von Marinka - Dokumentarfilm. Deutschland 2023. Regie Arndt Ginzel. 103 min. FSK: 16. Kinostart: 19.10.2023.

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