Das Bild ist Teil einer Serie von Bildern von Fotografen der Nachrichtenagentur Associated Press, die 2023 mit dem Pulitzer-Preis für Nachrichtenfotografie ausgezeichnet wurde.
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Eine Explosion in einem Wohnhaus in Mariupol , nachdem ein Panzer der russischen Armee es, beschossen hat.

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Das große Leid ukrainischer Künstler im Krieg

Der Regisseur Oleh Senzow wurde im Krieg verwundet, die Dichterin Oksana Stomina hat alles verloren: Wohnung, Heimat, Familie. Über zwei Menschen, die eigentlich Kunst machen wollen - und nicht können.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Resilienz der ukrainischen Zivilgesellschaft verdankt sich zu einem guten Teil der Entschlossenheit, mit der Künstler und Intellektuelle nicht nur zur Gegenwehr aufrufen, sondern sie auch leisten. Viele Filmemacher und Schauspieler, Künstler und Schriftsteller kämpfen gegen die russische Invasion. Für Selbstmitleid ist keine Zeit, auch nicht in literarischen oder dramaturgischen Werken. Siegesgewissheit, Humor und Widerständigkeit sind ein Schlüssel zum Erfolg der bisherigen Verteidigung. Wie bei Regisseur Oleh Senzow.

Verwundet durch einen Kampf

Senzow liegt auf der Erde, der Kopf auf schmutzigem Militärtuch. Der Regisseur ist letztes Wochenende bei Gefechten in Mitleidenschaft gezogen worden, eine Gehirnerschütterung. In einem Video erklärt er mit matter Stimme, dass er gerade aus einem Kampf gekommen sei. Der Filmemacher und Schriftsteller, der heute seinen 47. Geburtstag feiert, kämpft an einem der Frontabschnitte in der Nähe von Donezk. Während er in dem Video aufzählt, wie viele schwer verwundet wurden, hört man im Hintergrund Gefechtsdonner. Wie im Film, möchte man denken, aber das Video fängt die erschütternde Wirklichkeit des Krieges ein. "Damit ihr alle wisst, welchen Preis wir hier für den Sieg bezahlen", sagt Oleh Senzow unter sichtbar großer Mühe.

Der Künstler, der auf der von Russland annektierten Krim gelebt hat, war weltberühmt geworden, weil er in russische Haft geriet und 145 Tage gehungert hatte, um seine Freilassung zu erzwingen. Standvermögen und Durchhaltewillen müssen alle Ukrainer seit Kriegsbeginn aufbringen. Die Dichterin Oksana Stomina hat gleich im ersten Monat des Krieges ihr Zuhause verloren - "man hat dem Haus in die Brust gezielt", schreibt sie. Ihre Stadt wurde zerstört und ist russisch besetzt - Mariupol. Auf Videos sieht sie ihre Wohnung, sie wurde getroffen und total ausgeraubt, aber nicht zerstört. Das Haus mit den zwei Türmen liegt direkt gegenüber dem Dramatheater in Mariupol. Wenn sie es sieht, sendet Sie ihrem Zuhause immer einen Gruß. "Als ich ging" ist der Titel ihres Abschiedsgedichts von Mariupol. Es war die Hölle, im März 2022 aus der von russischen Truppen umzingelten Stadt heraus zu kommen. Beschuss, Blockposten.

Poesie hilft bei der Verwandlung des Schmerzes

In einem Gedicht schreibt die Autorin: "Als ich ging, fielen keine Sterne vom Himmel herab. Der Gedanke daran ist bitter und messerscharf. Ich weiß, mein Mariupol, auch Jahre danach, bleibt der Schmerz. Was von mir ist in dir erhalten geblieben? Nur mein Haus. In meinen Augen brennt der Verzweiflung schwarzer Rauch."

Gedichte um eine Leerstelle, als Ausdruck traumatisierender Trauer, aber auch als Signal. Die Poesie hilft ihr bei der Verwandlung des Schmerzes. Beim Schreiben geht es Oksana Stomina aber vor allem um Zeugenschaft. Sie möchte Zeugnis ablegen für alle, die diesen Krieg nicht erlebt haben. Für die Kinder und Enkel. Der Charakter ihrer Gedichte habe sich inzwischen sehr verändert. Eigentlich schreibt sie rhythmisierte Reportagen. Die Sprache sei dabei einfacher geworden als in den Gedichten vor dem Krieg. Es sei ihr wichtig, dass inhaltlich sofort klar ist, um was es geht. Von welchem Standpunkt aus sie schreibe, was passiert und wer schuld ist.

Kriegsgefangene werden gefoltert

Der Krieg hat Oksana Stomina alles genommen. Ihr Mann, Dmytro Paskalow ist Offizier der ukrainischen Territorialverteidigung und hat um Mariupol gekämpft. Zusammen mit den Soldaten des Asow-Bataillons hatte er sich in der Stahlfabrik "Asowstal" verschanzt. Von dort geriet er in Kriegsgefangenschaft unter Observation des Roten Kreuzes, doch Oksana Stomina blieb über ein Jahr ohne Nachricht von oder über ihren Mann - eine qualvolle Ungewissheit.

Sie sagt: "Ich habe Leute, die aus der Kriegsgefangenschaft freigelassen wurden, gefragt und nach meinem Mann ausgequetscht. Nach und nach habe ich so erfahren, wo er gefangenen gehalten wird. Er war schon über ein Jahr in Russland, ohne dass ich wusste, wo. Er ist in einem Gefängnis in der Nähe von Belgorod und teilt sich mit vier anderen eine Zelle. Über Monate müssen sie den ganzen Tag stehen, man darf das getrost Folter nennen! Nachdem sie morgens aufwachen, werden die Pritschen hochgeklappt und bis zum Abend müssen sie stehen." Schmerz, Kummer, Unruhe, schlaflose Nächte - von all dem schreibt Oksana Stomina in ihren Gedichten: ohne Manierismen, direkt, umweglos. Der Krieg duldet keine Extravaganzen. Er sprengt ohnehin die Vorstellungskraft.

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