Was darf und was will Kunst? Diese Frage stellt sich nach dem Auftritt von Aktionskünstler Flatz während der Vernissage zu seiner Ausstellung.
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Was darf und was will Kunst? Diese Frage stellt sich nach dem Auftritt von Aktionskünstler Flatz während der Vernissage zu seiner Ausstellung.

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Alles nur Bluff? So war die Eröffnung der Flatz-Ausstellung

Seit Jahrzehnten setzt der Aktionskünstler Flatz seinen Körper als Werkzeug für die Kunst ein. Im Vorfeld einer Ausstellung in der Pinakothek der Moderne wollte er nun gar seine eigene Haut versteigern lassen. Das klappte nicht ganz wie geplant.

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"Die angekündigte Auktion findet nicht statt." Mit diesem Satz eröffnete der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Bernhard Maaz, den Abend. Ein Sammler hatte sich wenige Stunden vor der Versteigerung entschieden, die gesamte Arbeit en bloc zu erwerben. So lautete zumindest die offizielle Begründung. Die Vermutung liegt nahe, dass die ganze Aktion von Anfang an nur Fake war. Würde das ehrwürdige Auktionshaus Christie's sein Firmenlogo wirklich schräg aufs Pult schreiben und dabei abweichen von dem typischen Rot?

Die Enttäuschung bei der gut besuchten Vernissage war trotzdem spürbar: Kein Bietergefecht, kein Flatz, dessen Haut nach seinem Tod über die Welt verstreut wird wie die Knochen Jesu Christi und aller anderen Heiligen. An der Sache ändert das freilich nichts: Der Künstler hat seine Haut verkauft. Sein Körper wird zu seinem letzten, posthumen Werk. Und den präsentierte er denn auch: Minutenlang stand Flatz nackt auf einer Drehscheibe, mit all seinen Tattoos: Der Schriftzug "Mut tut gut" war da zu sehen, ein Barcode und das Wappen seiner Familie. Am Hinterkopf hatte er sich einen Stern ins Haar rasieren lassen – eine Anspielung an ein älteres Selbstporträt mit rot verschmiertem Stern auf der Stirn. Jetzt aber blutete der Stern auf der Kopfhaut.

Aktion statt Auktion

Flatz betrachtet seinen Körper von jeher als Werkzeug. Die Ausstellung zeigt beispielsweise den Mitschnitt einer Performance von 1990: Flatz ließ sich damals kopfüber zwischen zwei Stahlplatten aufhängen und pendelte wie in Glockenklöppel zwischen den Platten hin und her. Nach fünf Minuten wurde er bewusstlos. Das Video der Aktion auch nur anzuschauen, verursacht körperliche Schmerzen. Mit seinen Aktionen will der Künstler die Verletzlichkeit des Menschen zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig soll das Publikum aus seiner Teilnahmslosigkeit herausgerüttelt werden. Mit seiner Aktion "Die Haut zu Markte tragen" legt Flatz die Mechanismen des Kunstmarkts offen, sagt Kurator Bernhart Schwenk: "Ich sehe, wie viele Künstler sich verkaufen für den Markt, eine Kapitalisierung der Kunst ist nicht von der Hand zu weisen, dass sogar die Körperhülle nachher noch zu Markte getragen wird, das ist ja ein Zynismus, der drinsteckt, der nachgespielt wird."

Doch das war Flatz offensichtlich nicht genug. Ein 13. Tattoo will er seinem Sohn vermachen. Es ist ein Tattoo auf seinem Unterarm, es zeigt den Schriftzug "Norton" und eine Kinderzeichnung. "Und dann hab ich gesagt, das nehme ich raus, das vererbe ich dir, ich mache dir einen Lampenschirm. Das wird eine Tischlampe werden, wo meine Haut mit deinem Namen deinen Arbeitstisch beleuchtet. Und er kannte natürlich die Geschichte gar nicht, er wusste nicht, dass es das in der Nazi-Zeit gab", erzählt der Künstler im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

Ein Lampenschirm aus Haut für den Sohn

Er habe seinem Sohn dann erzählt, dass die Nazis aus der Haut von KZ-Häftlingen Lampenschirme fertigen ließen. Davon erzählte er auch einem Bild-Redakteur. Der zitierte den Künstler mit dem Satz, "er verneige sich damit vor den KZ-Opfern". Ist das noch drastische private Bildungsarbeit? Oder nicht doch der Versuch, per Skandal vor der Ausstellungseröffnung Aufmerksamkeit zu erregen – auf Kosten der NS-Opfer? Flatz bestreitet, den Satz so gesagt zu haben: "Der Satz ist nicht von mir gefallen. Aber ich fand es auch nicht negativ, weil das so ein Assoziationsfeld aufgemacht hat."

Ein Problem mit der historischen Analogie hat Flatz demnach nicht. Und das im Rahmen einer Ausstellung, die den Provokationskünstler eigentlich einmal anders zeigen wollte. Bernhart Schwenk: "Das war mir wichtig, hier nicht so den Kraftprotz oder den aggressiven Flatz als der er immer gilt, sondern ich wollte gerad den zeigen, der den Körper auch mit anderen Aspekten zeigt, der Verletzliche, der Poetische, der Lädierte, der seine Endlichkeit kennt."

Am Eingang zu Ausstellung durchläuft man beispielsweise die Arbeit "Bodycheck" von 1992: Die Besucher müssen sich durch eine Reihe eng gehängter Boxsäcke aus schwarzem Rindsleder schlängeln. Es ist eine Arbeit über das Ich und das Wir, über persönliches Vorwärtskommen und Rücksichtnahme: Um seinen Nachbarn nicht umzunieten, muss man sich nämlich sehr vorsichtig vorwärtsboxen. Die kuratorische Idee der Ausstellung überzeugt. Aber einen Lampenschirm aus der eigenen Haut zu entwerfen, um sich damit vor den Opfern des Nationalsozialismus zu verbeugen? Ob Flatz das nun gesagt, gedacht oder nachträglich für gut befunden hat: Diese Idee überzeugt leider überhaupt nicht.

Die Ausstellung "Flatz. Something Wrong with Physical Sculpture" ist bis 5. Mai in der Pinakothek der Moderne zu sehen.

Nackter Mann mit Tatoos auf Drehscheibe
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Aktionskünstler Flatz in der Pinakothek der Moderne

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Blick in die Ausstellung

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