Holocaustüberlebende im Porträt
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Die Holocaustüberlebenden Aleksandar Ajsinberg, Ester Bayer und Ivan Ivanji. (vl.n.r.)

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Zum Holocaust-Gedenktag: Serbische Shoah-Überlebende erzählen

Am Holocaust-Gedenktag wird in Deutschland den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Doch auch in Serbien gab es Lager und Tötungsstätten. Ungefähr 14.500 der 16.000 serbischen Juden wurden in der Shoah ermordet. Drei jüdische Serben erzählen.

Am 27. Januar 1945 befreit die Rote Armee das deutsche KZ- und Vernichtungslager Auschwitz – Birkenau. In Deutschland wird an diesem Tag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht und seit 2005 gehört der Tag auch international dem Gedenken an die Shoah. Auch in Serbien versammeln sich die Menschen. Das Land hat knapp sieben Millionen Einwohner und etwa 3.000 von ihnen sind Jüdinnen und Juden. Die meisten leben in Belgrad, aber auch in Subotica oder Novi Sad gibt es jüdische Gemeinden.

Viele Menschen wurden in der Shoah ermordet und wie viele Gemeinschaften in den Ländern des Balkan ist die jüdische Gemeinschaft zudem vom Auswandern der jungen Menschen betroffen. Wir haben in Serbien drei Menschen getroffen, die die Verbrechen der Deutschen überlebt haben. Einen Teil ihrer Geschichten haben sie mit uns geteilt.

"Ich sage das nicht im Namen der Gemeinschaft, aber ich persönlich denke, ohne Gemeinsamkeit und Toleranz könnte es leicht passieren, dass wir hier aussterben. Eine ganze Generation ist bereits nicht mehr hier und ich rede nicht nur über Juden, sondern ganz allgemein. Unsere Gemeinschaft ist so klein, dass jüdische Ehen wie ein Sechser im Lotto sind. Es ist also eine große Frage, wie die Zukunft dieser Gemeinschaft aussieht wenn wir uns die allgemeine Situation im Land anschauen." Aleksandar Jinker, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Belgrad

Deutscher Angriff auf das Königreich Jugoslawien

Im April 1941 greifen Nazi-Deutschland und seine Verbündeten das damalige Königreich Jugoslawien an und zerschlagen es in einzelne besetzte, scheinselbständige oder annektierte Teile. Das Gebiet des heutigen Serbien ist aufgeteilt zwischen Deutschland und den damaligen Verbündeten Ungarn, Bulgarien und Italien. Die deutsche Besatzung richtet auf "ihrem" Gebiet eine Militärverwaltung ein und mit dem Nazi-Terror beginnt auch die systematische Entrechtung und Ermordung der rund 16.000 Jüdinnen und Juden.

Zahlreiche sie knebelnde Anordnungen und Gesetze werden erlassen. Sie müssen sichtbare Zeichen tragen und werden von bestimmten Berufen ausgeschlossen. Sie dürfen nicht mehr hingehen und wohnen wo sie wollen und werden enteignet. Alleine in Belgrad werden bis Juni 1941 rund 900 jüdische Betriebe beschlagnahmt und Konten gesperrt. Zu Beginn der Besatzung zwingen die Deutschen jüdische Männer zwischen 16 und 60 zur Zwangsarbeit. Die Militärverwaltung hat einen zivilen Stab und der SS-Mann Harald Turner ist für "jüdische Angelegenheiten" zuständig.

In Belgrad werden Juden in systematisch ermordet

Auch Wilhelm Fuchs, August Meiyzner und Fritz Stracke sind an den Verbrechen beteiligt und Felix Benzler, der Vertreter des Auswärtigen Amts in Belgrad, befürwortet diesen Umgang mit den Juden ebenfalls. Zwischen August und Dezember 1941 werden jüdische Männer verhaftet und ermordet. Ab Dezember 1941 werden dann jüdische Frauen und Kinder eingesperrt und im Frühjahr 1942 getötet. Fast alle sterben in einem Gaswagen, den die Belgrader Gestapo in Berlin bestellt hat.

Belgrad gehört zu den ersten Orten im besetzten Gebiet, an dem die jüdische Bevölkerung auch mit Gaswagen systematisch ermordet wird. Dieser fährt wochenlang durch Belgrad und die tödliche Routine wird nur sonntags unterbrochen – da haben die Fahrer frei. Etwas mehr als ein Jahr nachdem deutsche Soldaten in Belgrad einmarschiert sind, bekommt das Reichssicherheitshauptamt in Berlin im Juni 1942 die Nachricht von Emmanuel Schäfer, dass in Serbien keine Juden mehr seien. Schäfer befehligt die Sicherheitspolizei in Serbien und ist direkt Heinrich Himmler unterstellt.

Serbien. Ein Land voller deutscher TatorteAm sogenannten Balkanfeldzug sind außer der deutschen Wehrmacht auch italienische, bulgarische, und ungarische Truppen beteiligt. Ziel ist auch, den Widerstand der Menschen schnell und brutal zu brechen. So werden Partisanenanschläge auf deutsche Soldaten grausam gerächt. Für jeden Verwundeten werden 50 Zivilisten erschossen, für jeden Toten 100. Die Menschen werden deswegen willkürlich gefangen und als Geiseln eingesperrt. Serbien ist also voller früherer deutscher Lager, Tatorte und Tötungsstätten, auch in der Hauptstadt Belgrad. Dort war das KZ Banjica, das KZ „Judenlager Semlin“ – auch Staro Sajmiste – auf dem Gelände der Alten Messe oder das Lager Topovske Šupe – deutsch Kanonenschuppen – Die serbische Marionettenregierung unter Milan Nedić half den Deutschen, die Menschen zusammenzutreiben. Ungefähr 14.500 der 16.000 serbischen Juden wurden in der Shoah ermordet. Die Erinnerungskultur im sozialistischen Jugoslawien leugnete dies nicht, war aber vom Gedenken an die Partisanen geprägt. Was bis heute an den Gedenkstätten und Tafeln im Land sichtbar ist. Erst nach dem Zerfall von Jugoslawien Mitte der 90er Jahre, begann sich das zu ändern und die Erinnerungskultur wird langsam differenzierter, zumindest was den Zweiten Weltkrieg angeht.

Aleksandar Ajzinberg: Ein Junge mit Zeichentalent und Axt

"Ich hatte nie Angst, auch nicht bei der größten Gefahr. Aber wenn die Gefahr vorbei war, habe ich angefangen zu zittern." Aleksandar Ajzinberg

Aleksandar Ajzinberg wird 1930 geboren. Als Nazi-Deutschland und seine Verbündeten im April 1941 das Königreich Jugoslawien angreifen, fliehen die jüdischen Ajzinbergs aus Belgrad. Sein Vater Matvej – ein Architekt – fällt dennoch in die Hände der Deutschen. Aleksandar und seine Mutter schaffen es mit gefälschten Papieren in die dünn besiedelten Homolje Berge der serbischen Karpaten.

Der Bauer Ljubivoje Nikolić hat den Mut, Aleksandar und seine Mutter Greta zu verstecken und bringt dem Jungen einiges bei, etwa wie er sich in dem Waldgebiet verhalten soll, um nicht gefangen zu werden. Aleksandar lernt viel über Tiere und kann bis heute das Heulen eines Wolfs nachahmen. Mit Wölfen muss er umgehen lernen, denn er Aleksandar und seine Mutter müssen sich dreieinhalb Jahre lang verstecken. Ohne Ehemann und Vater, ohne Zuhause, ohne Arzt und ohne Schule, dafür mit Wölfen und Hunden, mit Stress, Hunger und Durst, sowie ständig auf der Flucht. Pilze, Beeren, Brennnesseln, Quellwasser. Sie kennen bald alles, was der Wald hergibt. Bauern helfen ihnen und auch königstreue, antikommunistische Tschetniks geben Mutter und Sohn Essen und Schutz.

Das jüdische Stadtkind muss schnell erwachsen werden

Außer Tschetnik-Verbänden sind in der abgelegenen Gegend Angehörige der deutschen Wehrmacht und der serbischen Kollaborationsregierung von Milan Nedić unterwegs, sowie kommunistische Partisanen und serbische Faschisten. Immer wieder muss Aleksandar um sein Leben rennen. Das jüdische Stadtkind muss schnell erwachsen werden und einmal entbindet er sogar ein Baby mit. Die Schere, mit der er die Nabelschnur durchschneidet liegt bei unserem Besuch groß und rostig auf dem Tisch.

"Stimmt es, dass Juden schwarz sind und Hörner haben?" Hört er die Bäuerin, die das Baby geboren hat seine Mutter später fragen. Nein, antwortet diese, sie sehen aus wie wir. Statt Greta nennt sie sich Marija und die meisten halten sie für die Frau eines Tschetniks. Im Oktober 1944 befreien Rote Armee und Partisanen die Gegend und Aleksandar und seine Mutter können endlich nach Belgrad zurück. Der Umgang mit Menschen fällt ihm schwer und er muss auch wieder lernen mit Messer und Gabel zu essen, anstatt nur mit dem Löffel.

Nach dem Krieg müssen Mutter und Sohn ins Gefängnis

Nach dem Krieg erfährt Aleksandar Ajzinberg vom Tod des Vaters. Matvej Ajzinberg war im deutschen KZ Topovske Šupe in Belgrad gefangen und wurde später in das KZ auf dem Gelände der Alten Messe verlegt. Dort muss er in einen LKW steigen und wird von den Deutschen mit Gas ermordet. Er denkt, es gehe Richtung Polen in ein anderes Lager, erfährt Aleksandar. Sein Vater habe es auch abgelehnt, befreit zu werden da er nicht wollte das Mitgefangene deswegen erschossen würden.

Zur Trauer um den Vater kommen Schwierigkeiten mit den neuen Machthabern. Denn die siegreichen Tito-Partisanen sind erbitterte Gegner der monarchistischen Tschetniks, denen Aleksandar nun mal sein Leben verdankt. Die Partisanen stecken den 15-Jährigen und seine Mutter deswegen sogar vorübergehend ins Gefängnis und machen ihm auch später das Leben schwer. 35 Jahre lang bleibt er den Homolje-Bergen fern. "Obwohl ich, erst 15 Jahre war, hätte es heissen können, dass ich mit dem Besatzer zusammengearbeitet habe oder wer weiß was", sagt Aleksandar Ajzinberg. Dass Tschetniks den jüdischen Jungen und seine Mutter gerettet haben, will im sozialistischen Jugoslawien nicht in die Erzählung des Zweiten Weltkriegs passen, die lange von den Tito-Partisanen dominiert bleibt.

Ajzinberg wird Architekt

Der talentierte Junge besucht nach dem Krieg eine Zeichenschule und wird später Architekt wie sein Vater. Auch seine Ehefrau ist Architektin und die beiden haben einen Sohn, den sie Matvej nennen, nach dem ermordeten Großvater. Dieser lehnte die nationalistische Politik von Slobodan Miliosevic ab und wanderte Anfang der 90er Jahre nach Israel aus. In "24 Briefe an Matvej" hat Aleksandar Ajzinberg für ihn sein Überleben im Wald aufgeschrieben.

Ester Bajer. Das Baby aus der Schachtel

"Ich war so klein, dass sie dachten, ich überlebe nicht. Aber es scheint, als hätte ich einen kämpferischen Geist gehabt." Ester Bajer

Ester Bajer wird am 31.1.1942 in einem deutschen KZ im besetzen Belgrad geboren. Das sogenannte "Judenlager Semlin" befindet sich auf dem Gelände der Alten Messe, dem Staro Sajmište. Zwischen Dezember 1941 und Februar 1942 werden hier rund 8.000 jüdische Frauen und Kinder, sowie etwa 600 Romnija mit Kindern interniert.

Auch Ester Bajers jüdische Mutter Ester ist dort eingesperrt und damals mit ihr schwanger. "Aufgrund von Hunger, Kälte und großem Stress hatte meine Mutter nach sieben Monaten eine Frühgeburt und ich war nur 900 Gramm schwer", erzählt Ester Bajer. In der deutschen Lagerwelt ist kein Platz für ein Baby. Ester wird in einer Schachtel aus dem Lager geschmuggelt und in ein Waisenhaus gerettet, sie bekommt den Namen Olga.

Ihre Eltern lernt sie nie kennen

Ihre Mutter wird von den Deutschen ermordet. Im Frühjahr 1942 kommt ein Gaswagen aus Berlin nach Belgrad, in dem alle Frauen und Kinder erstickt werden. Am Stadtrand von Belgrad wird auch die Leiche von Ester Bajers Mutter in Gruben geworfen. Ende 1943 graben die Deutschen unter Leitung des SS Angehörigen Paul Blobel die Leichen wieder aus, um sie zu verbrennen und die Morde zu verschleiern.

Ester Bajers Vater bleibt im Krieg verschollen und sie kennt ihre Eltern Aleksandar und Ester Bajer, geborene Albahari nur von alten Fotos. Nach dem Krieg kommt die kleine Ester zu den Eltern ihres Vaters. Du bist Jüdin – hört sie in der Kindheit und versteht nicht was das bedeutet auch was mit ihren Eltern passiert ist, begreift sie damals nicht.

Aus Olga wird Ester

Sie ist ein verlorener Mensch. Mager und kränklich erlebt sie oft lieblose jugoslawische Nachkriegsjahre. Doch sie boxt sich durch und jobbt schon mit 14 Jahren. Sie heiratet früh und bekommt einen Sohn. Dieser bleibt nach der Scheidung beim Vater in Kroatien und Ester Bajer kehrt nach Belgrad zurück. Sie hangelt sich von Job zu Job und nennt sich nicht mehr Olga, sondern Ester Bajer nach ihrer ermordeten Mutter. Sie macht eine Ausbildung, wird Köchin auf einem Donauschiff und bleibt ein Leben lang anfällig.

Ihre Invalidenrente beträgt umgerechnet rund 150 Euro und sie wird von der Claims Conference und der jüdischen Gemeinde unterstützt. Gerne verschickt die alte Dame Handybotschaften und sie lauscht regelmäßig dem Rabbi in der Synagoge. Jetzt im Alter hole ich viel nach, lächelt sie, doch der Mensch lernt ein Leben lang und stirbt dennoch dumm. Seit Jahren wird um eine Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Geländes Sajmiste gestritten. Eine Diskussion, die auch Ester Bajer aufmerksam verfolgt. Sie gehört zu den ganz wenigen, die dem deutschen KZ auf dem Gelände der alten Messe in Belgrad lebend entkamen. Als Baby in einer Schachtel im eiskalten Januar 1942.

Ivan Ivanji: Schriftsteller, Journalist, Titos Dolmetscher und Diplomat

"Ich war 15 und konnte nur versuchen, zu überleben." Ivan Ivanji

Geht es um die Shoah ist Ivan Ivanji ein gefragter Gesprächspartner. Er überlebte unter anderem die deutschen KZ- und Vernichtungslager Auschwitz und Buchenwald und ist gerade 92 Jahre alt geworden. Der Schriftsteller wurde am 24. Januar 1929 in Veliki Beckerek – heute Zrenjanin – im serbischen Banat in eine säkulare jüdische Arztfamilie hinein geboren.

Ende April 44 lebt er beim Bruder seines Vaters in Novi Sad. Die Donaustadt in der Vojvodina ist damals von Truppen des faschistischen ungarischen Horthy-Regimes besetzt. Diese verüben Verbrechen an der Bevölkerung, etwa bei der sogenannten "Razzia von Novi Sad". 1944 verleibt sich Nazideutschland die Gebiete des bis dato verbündeten Horthy-Ungarn ein. Der Auftakt zur Ermordung der ungarischen Juden. Auch Ivan Ivanji wird in Novi Sad verhaftet und über die Lager Subotica und Baja in Ungarn nach Auschwitz deportiert. Er ist 15 Jahre alt.

"Ich schreibe bis ich umfalle"

"Und dann bin ich dort angekommen, so wie man dort ankommt. An das Geschrei der Häftlinge, mehr als das der SS, kann ich mich natürlich schon erinnern. Sonst ist die Erinnerung mehr so mosaikartig. Seltsam, an den Transport kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Das muss zwei drei Tage lang gedauert haben. Absolut vergessen." Ivan Ivanji

Im Juni 1944 wird Ivan Ivanji nach Buchenwald und mehrere Außenlager gebracht und später dort befreit. Der Gedenkstätte nahe Weimar fühlt sich der Schriftsteller besonders verbunden. "Ich schreibe bis ich umfalle", hat er mit 90 einmal gesagt und damit auch der Pandemie getrotzt. "Corona in Buchenwald" – so heißt sein neuer Roman, der im Februar erscheint. Der Plot: Obwohl das Buchenwald-Gedenken coronabedingt ausfällt, treffen sich zwölf Überlebende in Weimar. Zwölf Abende lang erzählen sie Geschichten.

An Überlebende werden Erwartungen gestellt

Serbisch, kroatisch, bosnisch, ungarisch, deutsch, Ivan Ivanji spricht mehrere Sprachen fließend. Ist ihnen dies ein Begriff? fragt der weißhaarige Ivanji gerne noch bevor er abschweift zu Goethe, zu Schiller, zu Donald Trump oder Israels Regierungschef Netanjahu, der ihm missfällt. Der vielseitige Intellektuelle hat für Vreme geschrieben, Günther Grass oder Max Frisch übersetzt, und 15 Jahre lang für den jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito gedolmetscht. Ein berühmtes Foto zeigt die beiden mit Willy Brandt.

Ivan Ivanjis Heimatstadt Belgrad ist voller deutscher Tatorte und auch seine Eltern wurden von Deutschen ermordet. An Überlebende wie ihn würden Erwartungen gestellt, findet Ivan Ivanji. "Ich habe den Eindruck, das (Jammern) wird erwartet von der Weltöffentlichkeit. Wer besser klagt, der ist interessanter. Sie erwarten von mir doch auch, dass ich erzähle, wie schrecklich es in Auschwitz war. Und ich erzähle zum Beispiel, dass es in Auschwitz Bordelle gegeben hat. Oder Homosexualität. Ein Tabu. Also es gibt Vieles in den Lagern was dazugehört zur sogenannten ganzen Wahrheit. Denn überall bilden sich neue Gesellschaften, auch in KZs."

"Die Jungen müssen das Gedenken übernehmen"

Buchenwald-Überlebende wie der Spanier Jorge Semprun (1923 – 2011) oder der streitbare Franzose Stéphane Hessel (1917 – 2013) mit seinem Appell "Empört Euch" waren ihm gedanklich nah. Er habe kein Vermächtnis, aber zwei Kinder, vier Enkel und drei Urenkel. Die Jungen müssten das Gedenken übernehmen, findet er. 100 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und anderen Lagern, werde das Gedenken wohl nur noch eine Kurzmeldung in den Nachrichten sein.

Er selbst verfolgt die langwierige Debatte über das ehemalige deutsche KZ-Gelände auf der Alten Messe / Staro Sajmište in Belgrad. Dort gab es das "Judenlager Semlin" und den Einsatz des Gaswagens, dann wurde das KZ zum Durchgangslager für viele Menschen und nach dem Krieg arbeiteten und lebten jugoslawische Künstler auf dem Gelände. "Das muss alles bei der Gedenkstätte berücksichtigt werden", sagt Ivan Ivanji und fordert die Jungen auf: Entscheidet euch, was ihr für Gedenkstätten haben wollt, mich geht es dann nichts mehr an, sagt Ivan Ivanji – Journalist, jugoslawischer Diplomat, Schriftsteller, Übersetzer, Titos Dolmetscher und ein jüdischer Intellektueller mit politisch wachem Kopf, der gerne gegen den Strich denkt.

"Ich sage immer, ich bin in der Türkei für die Kurden, in Israel für die Palästinenser und in Serbien für die Albaner. Wenn ich Albaner im Kosovo wäre, wäre ich sicher für die Serben. Ich bleibe in der Minderheit wie überall. Eigentlich eine angenehme Situation." Ivan Ivanji

Holocaust in Serbien

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Karte der Lager und Hinrichtungsstätten im ehemaligen Jugoslawien. Eine interaktive Karte: http://holocaust.rs/en/camp-locations/ zu finden.

Der Historiker Milovan Pisarri führt zu deutschen Tatorten in Belgrad

100 Zivilisten für einen toten Wehrmachtssoldaten

Serbien: Ein Land voller deutscher Tatorte

Am sogenannten Balkanfeldzug sind außer der deutschen Wehrmacht auch italienische, bulgarische, und ungarische Truppen beteiligt. Ziel ist auch, den Widerstand der Menschen schnell und brutal zu brechen. So werden Partisanenanschläge auf deutsche Soldaten grausam gerächt. Für jeden Verwundeten werden 50 Zivilisten erschossen, für jeden Toten 100. Die Menschen werden deswegen willkürlich gefangen und als Geiseln eingesperrt.

Serbien ist also voller früherer deutscher Lager, Tatorte und Tötungsstätten, auch in der Hauptstadt Belgrad. Dort war das KZ Banjica, das KZ „Judenlager Semlin“ – auch Staro Sajmiste – auf dem Gelände der Alten Messe oder das Lager Topovske Šupe – deutsch Kanonenschuppen – Die serbische Marionettenregierung unter Milan Nedić half den Deutschen, die Menschen zusammenzutreiben. Ungefähr 14.500 der 16.000 serbischen Juden wurden in der Shoah ermordet. Die Erinnerungskultur im sozialistischen Jugoslawien leugnete dies nicht, war aber vom Gedenken an die Partisanen geprägt. Was bis heute an den Gedenkstätten und Tafeln im Land sichtbar ist. Erst nach dem Zerfall von Jugoslawien Mitte der 90er Jahre, begann sich das zu ändern und die Erinnerungskultur wird langsam differenzierter, zumindest was den Zweiten Weltkrieg angeht.

Topovske Šupe / Kanonenschuppen - Ein deutsches KZ in Belgrad