Schild am Eingang zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
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Schild am Eingang zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

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Was bedeutet der Asylkompromiss in der Praxis?

Die Innenminister der EU haben sich geeinigt, die Asylpolitik zu reformieren. Im Mittelpunkt stehen dabei Grenzverfahren an den Außengrenzen. Der Kompromiss stößt auf laute Kritik – auch in der Ampelkoalition. Ein Überblick.

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Jahrelang haben die Regierungen der EU um eine Reform der Asylpolitik gerungen. Jetzt haben sich die Innenministerinnen und Innenminister geeinigt. Ziel ist es, alle neuankommenden Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen zu registrieren. Menschen ohne Bleibeperspektive sollen offiziell erst gar nicht in die EU einreisen. Alle anderen Flüchtlinge sollen solidarisch auf die EU-Länder verteilt werden. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Was sind die wichtigsten Änderungen?

Die Grenzverfahren in der Nähe der EU-Außengrenzen. Grenzverfahren bedeutet, die Menschen reisen nicht offiziell in die EU ein. Sie warten bis zu drei Monate in streng kontrollierten Unterkünften auf EU-Boden auf eine erste Prüfung ihres Asylantrags. Abgelehnte Asylbewerber können in ihre Heimat oder in sogenannte "sichere Drittstaaten" abgeschoben werden.

Die Grenzverfahren sind nur gedacht für Menschen aus Ländern mit einer Asyl-Anerkennungsquote von unter 20 Prozent. Das sind aktuell etwa Georgien, Bangladesch, Serbien oder Albanien. Die Mehrheit der Flüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien und Afghanistan, durchläuft ein normales Asylverfahren.

Durch die Grenzverfahren sollen die Länder mit EU-Außengrenze entlastet werden. Alle Mitgliedsländer sind künftig verpflichtet, Menschen aufzunehmen. Wer keine Flüchtlinge aufnimmt, soll Ausgleichszahlungen von 20.000 Euro pro abgelehnter Person leisten.

Wer hat sich durchgesetzt?

Die Regierungen, die einen restriktiveren Kurs in der Asylpolitik verfolgen, waren bei dem Treffen in Luxemburg in der Mehrheit. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) konnte sich mit ihrer Forderung nach Ausnahmen bei den Grenzverfahren für Familien mit Kindern nicht durchsetzen. Nur Portugal, Irland und Luxemburg unterstützten die deutsche Position. Ausgenommen von den Grenzverfahren sind laut Beschluss nur unbegleitete Minderjährige. Polen, Ungarn, Malta, die Slowakei und Bulgarien lehnten die Reform ab. Sie sehen einen verpflichtende Verteildung sehr skeptisch.

Wie kommt die Einigung in Deutschland an?

Bundesinnenministerin Faeser nennt den Kompromiss "historisch". Deutschland habe im Sinne einer humanitären Flüchtlingsaufnahme sehr erfolgreich verhandelt. Flüchtlingsorganisationen sehen das anders. Die "Aktion Seebrücke" kritisiert den Beschluss als menschenfeindliche Aussetzung eines fairen Asylprozesses. Pro Asyl wirft der Ampel vor, sie nehme einen Ausverkauf der Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit in Kauf.

Besonders intensiv diskutieren die Grünen über den Kompromiss. Das eher realpolitische Lager der Partei um Außenministerin Annalena Baerbock, Parteichef Omid Nouriour und Fraktionschefin Britta Haßelmann wirbt um Verständnis für die Entscheidung. Ein Nein aus Deutschland wäre aus ihrer Sicht das Ende der europäischen Asylpolitik gewesen. Das eher linke Lager der Grünen um Parteichefin Ricarda Lang und Fraktionschefin Katharina Dröge lehnt den Kompromiss ab. Sie hoffen, dass die Reform in den anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene noch verändert wird.

Im Video: Die Grünen hadern mit der geplanten Verschärfung des EU-Asylrechts

Kinder in einem Flüchtlingslager
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Schärfere Regeln bei Asylverfahren - vor allem bei den Grünen ist der Beschluss höchst umstritten.

Wie geht es jetzt weiter?

Mit dem Kompromiss der EU-Innenminister beginnt jetzt der sogenannte Trilog. Das sind Gespräche zwischen den Regierungen, der EU-Kommission und dem EU-Parlament. In diesen Verhandlungen kann es noch einige Änderungen geben – zum Beispiel Ausnahmen beim Grenzverfahren. Die Reform muss aber noch vor der Europawahl im nächsten Frühjahr unter Dach und Fach sein.

Wird der Kompromiss die Kommunen entlasten?

Danach sieht es erstmal nicht aus. Bis die Reform endgültig verabschiedet ist, kann noch fast ein Jahr vergehen. Ob die Grenzverfahren inklusive der Abschiebungen dann konsequent umgesetzt werden, ist Sache der nationalen Regierungen. Die EU-Kommission soll das aber regelmäßig überprüfen.

Die meisten Menschen kommen nach wie vor aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland. Sie werden weiter ein normales Asylverfahren durchlaufen und müssen untergebracht und nach einer Anerkennung integriert werden.

Die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU muss erst noch den Praxistest bestehen. Das Nein zu der Reform aus mehreren Mitgliedsländern lässt schwierige Verhandlungen erahnen.

Fazit: Der jetzt gefundene Kompromiss wird Städte und Gemeinden kurzfristig nicht entlasten. Sollte die Reform gelingen, zeigt sie bestenfalls langfristig eine Wirkung.

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