Der Druck war groß, das gemeinsame europäische Asylrecht zu reformieren. Nach stundenlangen Verhandlungen stand am Ende dann doch die Einigung.
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Der Druck war groß, das gemeinsame europäische Asylrecht zu reformieren. Nach stundenlangen Verhandlungen stand am Ende dann doch die Einigung.

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EU-Staaten einigen sich: Asylverfahren sollen verschärft werden

Die Asylverfahren in der EU sollen, weil die illegale Migration zuletzt deutlich zugenommen hatte, verschärft werden. Bei einem Treffen der Innenminister in Luxemburg stimmte am Donnerstag eine Mehrheit der Mitgliedstaaten für umfassende Reformen.

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Die EU-Staaten arbeiten seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 an einer weitreichenden Reform des EU-Asylsystems. Nach viel Streit gibt es nun einen Durchbruch bei den Verhandlungen. Gefeiert werden kann allerdings noch nicht. So sollen die EU-Asylverfahren aber deutlich verschärft werden.

Haftähnliche Bedingungen für ankommende Menschen?

Bei einem Innenministertreffen in Luxemburg stimmte am Donnerstag eine ausreichend große Mehrheit an Mitgliedstaaten nach zwölfstündigen Verhandlungen für umfassende Reformpläne, wie der schwedische Ratsvorsitz mitteilte. Sie sehen insbesondere einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor.

Ankommende Menschen sollen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Kritiker sprechen von haftähnlichen Bedingungen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

EU-Parlament könnte noch Änderungen durchsetzen

Die Bundesregierung trägt die Pläne im Grundsatz mit. Allerdings hatte sie sich zuvor dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren von solchen Grenzverfahren ausgenommen werden. Bundesinnenministerin Faeser zufolge wurde Deutschland dabei nur von Luxemburg und Portugal unterstützt und konnte sich am Ende nicht durchsetzen. Allerdings sei es gelungen, dass unbegleitete Minderjährige nicht in das Grenzverfahren müssten, sagte die Ministerin. Insofern habe die Bundesregierung "viel vorzuweisen". Die Bundesregierung werde sich weiter dafür einsetzen, dass alle Kinderrechte gewährt bleiben. Auch Außenministerin Annalena Baerbock betonte: "Wir haben hart dafür gekämpft, Kinder und ihre Familien auszunehmen, leider ziemlich alleine."

Denkbar ist auch, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln. "Ich setze sehr aufs Europäische Parlament im Trilog, dass es auch durchgesetzt wird," sagte Faeser am Abend. Beim sogenannten Trilog verhandeln Vertreter von EU-Staaten, EU-Parlament und EU-Kommission miteinander über Gesetzgebung.

Die noch ausstehenden Verhandlungen sollen im Idealfall noch vor Ende des Jahres abgeschlossen werden. Dann könnten die Gesetze noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden. Sollte dies nicht gelingen, könnten veränderte politische Kräfteverhältnisse Neuverhandlungen nötig machen.

Mehr Solidarität mit Ländern an EU-Außengrenzen geplant

Neben den verschärften Asylverfahren sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen - nach Informationen der Nachrichtenagentur AP von 20.000 Euro pro Migrant - verpflichtet. Nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser stimmten Polen und Ungarn am Ende gegen die Reform. Malta, die Slowakei und Bulgarien enthielten sich demnach. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Polen und Ungarn hatten sich bereits in der Vergangenheit ähnlich geäußert.

Von der Pflicht zur Solidarität könnten beispielsweise Länder wie Italien profitieren. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen - die meisten von ihnen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch, diese haben damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.

Faeser und Baerbock begrüßten Asyl-Kompromiss

Lob für die Einigung kam von der Bundesregierung. Die an den Verhandlungen beteiligte Faeser nannte den Kompromiss auf Twitter einen historischen Erfolg.

Baerbock begrüßte die Einigung und erklärte: "Diese Entscheidung war seit Jahren überfällig, um zu verhindern, dass es wieder zu Zuständen an den EU-Außengrenzen wie in Moria kommt und dass Europa auseinanderfliegt." Die neue Regelung "schafft eine Perspektive, das unsägliche Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden".

Der Kompromiss sei kein einfacher, schrieb sie in einer Erklärung. "Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird." Baerbock bezog sich dabei auf parteiinterne Kritik bei den Grünen: An der Basis war die geplante Neuregelungen auf scharfe Kritik gestoßen.

Die Außenministerin betonte, gemeinsam mit der EU-Kommission habe die Bundesregierung dafür gesorgt, dass die Grenzverfahren nur für einen kleinen Teil der Geflüchteten gelten würden - "nämlich für jene, die kaum darauf hoffen können, dass ihr Asylantrag positiv entschieden wird".

Gut sei auch, so Baerbock, dass unbegleitete Minderjährige von Grenzverfahren ausgenommen sind. Und nicht zuletzt gelte: "Hätte Deutschland heute unter anderem mit Ungarn und Polen gegen den Kompromiss gestimmt, wäre eine gemeinsame europäische solidarische Asylpolitik auf Jahre tot."

Grünen-Spitze bei Bewertung der Einigung gespalten

Bei den Grünen zeichnen sich nach der Zustimmung der Bundesregierung zur geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln hitzige Diskussionen ab. Die Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang bewerteten die Einigung auf verschärfte Asylverfahren unterschiedlich.

Während Nouripour am Donnerstagabend von einem schwierigen, aber notwendigen Schritt sprach, sagte Lang, Deutschland hätte den Reformplänen nicht zustimmen dürfen. Zwar gebe es auch auf Drängen Deutschlands Verbesserungen wie die Ausnahme für unbegleitete Minderjährige, schrieb sie bei Twitter. Zentrale Punkte seien jedoch nicht erreicht worden. "So wird es keine grundsätzliche Ausnahme von Kindern bei Grenzverfahren geben und auch ein verpflichtender Verteilmechanismus konnte, trotz Fortschritten bei Solidarität und Verteilung, nicht erreicht werden." Lang folgerte: "Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen." GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem.

Nouripour räumte unterschiedliche Bewertungen ein und bedauerte, dass zentrale Ziele nicht erreicht worden seien. Zugleich sprach er bei Twitter aber auch von "klaren Verbesserungen". "Es gibt viel zu diskutieren und das werden wir weiterhin tun - solidarisch und respektvoll - wie wir es als Grüne immer getan haben. In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen."

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

Menschen in einem Flüchtlingscamp auf Samos (Archivbild)
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Menschen in einem Flüchtlingscamp auf Samos (Archivbild)

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