Geflüchtete warten an einer Essensausgabe in einem Flüchtlingscamp auf Samos (Archivbild, Januar 2022)
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Geflüchtete warten an einer Essensausgabe in einem Flüchtlingscamp auf Samos (Archivbild, Januar 2022)

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EU verhandelt über neuen Asyl- und Migrationspakt: Darum geht es

Seit Jahren steht das europäische Asylsystem in der Kritik. Reformversuche scheiterten am Widerstand einzelner Länder. Nun nehmen die EU-Staaten einen neuen Anlauf, doch selbst in der Bundesregierung ist man sich nicht einig. Ein Überblick.

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Die EU-Innenministerinnen und -minister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Südländer wie Italien oder Griechenland empfinden es als ungerecht. Vor allem Polen und Ungarn weigern sich aber Asylbewerber aus anderen EU-Staaten aufzunehmen. Nun soll ein neuer Kompromiss gefunden werden.

Warum funktioniert das derzeitige Asyl-System nicht?

In den ersten vier Monaten dieses Jahres haben die Behörden an den EU-Außengrenzen rund 81.000 Menschen aufgegriffen, die irregulär in die Europäische Union einreisen wollten. Das ist fast ein Drittel mehr als im vergangenen Jahr. Die meisten Menschen kamen über die zentrale Mittelmeerroute, viele unternahmen die gefährliche Flucht in Booten.

Theoretisch sind die Aufgaben klar verteilt: Die Staaten an den EU-Außengrenzen nehmen Flüchtlinge auf und registrieren sie. Nach der Dublin-Verordnung müssen Migranten in dem EU-Land Asyl beantragen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Das soll sicherstellen, dass jeder Antrag nur von einem Mitgliedstaat geprüft wird. Die Länder an den Außengrenzen beklagen jedoch, dass sie die größte Last zu schultern haben - und die anschließende Verteilung der registrierten Ankömmlinge auf den Rest Europas klappt nicht.

Einen entsprechenden Mechanismus gibt es zwar seit 2016, er wurde aber wegen des Widerstands osteuropäischer Mitgliedstaaten nie angewendet. Deshalb registrieren Behörden in den Staaten an den EU-Außengrenzen Ankömmlinge oft nicht – in der Hoffnung, dass sie schnell in andere EU-Länder weiterreisen.

Was sie auch tun, wie die Asylantragszahlen beweisen: Die liegen in Deutschland und Frankreich deutlich höher als in Italien. Und die Staaten im Inneren der EU wiederum beschweren sich über nicht registrierte Asylsuchende und die sogenannte "Sekundärmigration". Die Dublin-Verordnung greift also nicht mehr, die Mitgliedstaaten streiten über Verantwortlichkeiten.

Wer in der EU Asyl sucht

Im vergangenen Jahr haben gut 924.000 Menschen Asyl in der Europäischen Union beantragt, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Darunter sind Menschen, die vor Krieg und Verfolgung in ihrer Heimat fliehen. Hohe Chancen auf Anerkennung hatten zuletzt Geflüchtete aus Eritrea, Belarus, Jemen, Syrien und Afghanistan.

Zudem sind gut vier Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Folge des russischen Angriffs auf ihr Land in die EU gekommen. Für sie gilt eine Richtlinie für vorübergehenden Schutz, sie fallen damit nicht unter das normale EU-Asylsystem. Außerdem reisen Menschen ein, die sich in Europa eine bessere Lebensperspektive für sich und ihre Familien erhoffen - ihre Chancen auf Anerkennung sind jedoch vergleichsweise schlecht.

Unionspolitiker haben in der Vergangenheit immer wieder eine Obergrenze für Asylanträge in Deutschland verlangt. Das lehnt die Ampelkoalition ab. Grundsätzlich gilt: Asyl ist in Deutschland ein von der Verfassung geschütztes Recht. Antragsteller haben Anspruch darauf, dass ihr Gesuch geprüft wird.

Was passiert mit abgelehnten Asylbewerbern?

Wer kein Bleiberecht in der EU hat, muss eigentlich zurück in sein Heimatland. Trotzdem bleiben die meisten. 2021 kehrte nur jeder fünfte abgelehnte Asylbewerber tatsächlich zurück. Manche tauchen nach dem Ablehnungsbescheid unter, andere dürfen befristet bleiben, weil sie keine Reisedokumente haben oder weil die politische Lage im Herkunftsland so unsicher ist, dass eine Abschiebung nicht in Frage kommt.

Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber werden auch dadurch erschwert, dass viele Herkunftsländer kein Interesse daran haben, Menschen zurückzunehmen - wie etwa Tunesien. Die EU will einerseits mehr Druck auf diese Staaten ausüben, indem sie damit droht, ihnen Vorteile im Handel und bei der Visavergabe zu streichen. Andererseits sollen Wege für legale Migration eröffnet werden. Schließlich sind viele EU-Staaten, auch Deutschland, dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.

Rückführungen funktionieren im Übrigen oft nicht einmal innerhalb der EU – d.h. also wenn Asylbewerber in das Land ihrer ersten Einreise überstellt werden sollen, damit ihr Anspruch dort geprüft wird.

Asylzentren an den Außengrenzen – was plant die EU?

Weil Asylanträge in der EU mehrheitlich abgelehnt werden und die Behörden vieler Staaten überfordert sind, will die Gemeinschaft das Verfahren neu aufstellen: Asylbewerber, die aus Ländern kommen, in denen die EU-weite Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt, sollen in Zentren an den EU-Außengrenzen ein Schnellverfahren durchlaufen. Über ihre Anträge soll innerhalb von drei Monaten entschieden werden. Bei Ablehnung müssen sie gleich von dort aus zurück in ihre Heimat.

Bei stark steigenden Flüchtlingszahlen sollen Asylbewerber auf andere Mitgliedstaaten verteilt werden, um die Länder an den Außengrenzen zu entlasten. EU-Regierungen, die keine Menschen aufnehmen wollen, sollen sich von der Solidaritätspflicht freikaufen können.

Ob sich die Innenministerinnen und -minister bei ihrem Treffen in Luxemburg darauf verständigen können, ist völlig offen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zeigte sich im Vorfeld zuversichtlich: Sie sprach von einer konstruktiven Stimmung und erwartet nach eigenen Worten, dass sich die Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Ansatz einigen.

Viele praktische Fragen sind allerdings noch ungeklärt – etwa die, wie man mit Menschen ohne Herkunftsnachweis umgehen, wo die geplanten Asylzentren errichtet werden und wo und wie Geflüchtete während des Verfahrens untergebracht werden sollen.

Ebenfalls ungewiss ist, ob sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung durchsetzen kann, Minderjährige unter 18 Jahren und Familien mit Kindern von den geplanten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen auszunehmen. Dieser Vorstoß ist auch innerhalb der Berliner Ampelkoalition umstritten.

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