22.02.2021, Russland, Sotschi: Wladimir Putin (l), Präsident von Russland,  posiert mit Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, während ihres Treffens im Schwarzmeerort Sotschi für ein Foto.
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Wladimir Putin (l), Präsident von Russland, und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus.

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Vor EU-Gipfel: Wie umgehen mit Russland und Belarus?

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs steht im Zeichen der Außenpolitik. Russland und jüngst auch Belarus stellen die EU vor eine Weichenstellung: Gelingt es der Staatengemeinschaft, außenpolitisch in Zukunft relevant zu bleiben?

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Der Verlauf der Pandemie, er lässt sich seit ihrem Ausbruch auch gut an der Durchführung europäischer Gipfeltreffen ableiten. Während die Staats- und Regierungschefs der EU in Zeiten hoher Inzidenzwerte virtuelle Treffen abhielten, signalisiert der heute Abend beginnende Präsenztermin in Brüssel: Rückkehr zu mehr Normalität.

EU-Gipfel abhörsicher: Handys werden verbannt

So ganz stimmt das dennoch nicht. Ratspräsident Charles Michel mahnte vor den Verhandlungen zu erhöhter Vorsicht. Gemeint waren damit aber nicht nur Regeln des Abstands und der Hygiene, sondern auch Ausschluss. Ausschluss von Handys und Tablets, kurzum: Alles, was funkt.

Zwar sind EU-Gipfel – anders als zuletzt die Ministerpräsidentenkonferenzen – nicht dafür bekannt, dass vertrauliche Informationen in Echtzeit an Journalisten durchgestochen werden. Die Sorge vor Hackerangriffen und unerwünschten Zuhörern ist an diesen Tagen jedoch immens. Nicht verwunderlich also, dass ein drängender Tagesordnungspunkt immer wieder aufgeschoben werden musste: Die angespannten Beziehungen zu Russland.

EU und Russland in vielen Punkten uneins

Diese seien nach Aussage von Ratspräsident Michel an einem „Tiefpunkt“ angelangt. Erst im März hatte der Belgier mit Präsident Wladimir Putin deswegen telefoniert. Die Liste der Beschwerden ist lang: Desinformationskampagnen in den Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland. Hackerangriffe auf sensible Einrichtungen, der Konflikt in der Ostukraine, zuletzt der Anschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny, der in Berlin behandelt wurde und nun in einem russischen Arbeitslager inhaftiert ist – Gesundheitszustand unklar.

Mögliche Verschärfung der Strafmaßnahmen: Droht die Sanktions-Spirale?

Die Verschärfung bereits bestehender Sanktionen gegen Russland gelten deswegen als nageliegende Lösung, würden aber auch die Spaltung weiter vorantreiben. Auf die jüngsten Strafmaßnahmen reagierte Moskau ebenfalls mit Sanktionen, so auch gegen Spitzenpolitiker wie EU-Parlamentspräsident David Sassoli oder die Vize-Kommissionspräsidentin Vera Jourová.

Ein Vorantreiben der Sanktions-Spirale wird in Brüssel aber längst nicht als die einzig denkbare Lösung gehandelt. Für den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell könnte das eine zweite Chance als Chefdiplomat im Umgang mit Russland bedeuten. Das Jahr begann für den Spanier mit einem desolaten Besuch in Moskau. Nun wird erwartet, dass Borrell bis zum nächsten Gipfel im Juni eine Bestandsaufnahme über die Verhältnisse vornehmen soll, um so die aufgeladene Debatte zu beschwichtigen.

Erzwungene Ryanair-Landung in Minsk verschärft auch Belarus-Konflikt

Belarus rückt ebenfalls in den Mittelpunkt des Gipfeltreffens. Das teilte ein Sprecher des Europäischen Rates am Sonntagabend mit. Wenige Stunden zuvor wurde eine Maschine der irischen Fluggesellschaft Ryanair auf dem Weg von Athen nach Vilnius von einem Kampfjet abgefangen und zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk gezwungen.

Bei einer anschließenden Kontrolle wurde der belarussische Regimekritiker und Journalist Roman Protasewitsch, der sich unter den Passagieren befand, festgenommen. Nach Angaben der Airline sei die Besatzung des Flugzeugs aufgrund einer Bedrohungslage zur Landung aufgefordert worden. Nach einer umfassenden Prüfung setzte die Maschine am Abend ihre Reise fort.

Kommissionspräsidentin: Inakzeptabler Vorfall

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem inakzeptablen Vorfall und Verletzungen der internationalen Verkehrsregeln, die nun Konsequenzen nach sich ziehen müssten. Genauso wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief von der Leyen Belarus dazu auf, allen Passagieren die Weiterreise zu ermöglichen.

Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitstotakis bezeichnete den Eingriff als "beispiellos und schockierend", Litauens Präsident Gitanas Nauseda sprach von einer "abscheulichen Aktion".

CDU-Chef Laschet fordert Reaktion des Europäischen Rates

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen bewerteten den Eingriff als "Staatsterrorismus". Parteichef und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet erklärte auf Twitter: "Wenn Belarus die Freiheit der zivilen Luftfahrt bei einem Flug zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedroht, muss sich der Europäische Rat mit Konsequenzen befassen."

EU unter Druck: Außenpolitisch noch relevant?

Der Druck, eine angemessene Reaktion auf den Affront des belarussischen Machthabers Lukaschenko zu finden, ist denkbar hoch. Kritiker halten der EU schon lange vor, außenpolitisch keine wirkliche Rolle mehr zu spielen. Im vergangenen Jahr tat sich die EU schon einmal schwer, Sanktionen gegen Belarus zu verhängen.

Trotz erwiesener Wahlfälschung und Menschenrechtsverletzungen reagierte die EU lange gar nicht und dann – so der häufige Vorwurf – zögerlich. Der zweitägige Gipfel gilt daher auch langfristig als richtungsweisend für die außenpolitische Stellung der Staatengemeinschaft.

Weitere Gipfel-Themen: Klimaziele und Corona

Am zweiten Gipfeltag wollen sich die EU-Spitzen mit dem Klimaziel für 2030 auseinandersetzen. Bereits im Dezember erfolgte die grundsätzliche Einigung auf eine Verschärfung: Mindestens 55 Prozent weniger Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 1990. Die Reduktion gilt als wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zum langfristigen Ziel, die EU bis 2050 vollständig klimaneutral zu machen.

Weil das Ziel bis 2030 nicht pauschal für jeden Mitgliedstaat gilt, soll es nun um die "Lastenverteilung“ gehen, verbunden mit der Frage: welches Land kann und soll wie viele Emissionen einsparen? Bislang sollte sich dieser Wert am Bruttoinlandsprodukt eines jeden Staates orientieren. Das kritisieren wirtschaftlich starke Länder, darunter auch Österreich, das auch den Anteil erneuerbarer Energien in die Kalkulation einbeziehen will.

Breiter Konsens herrscht kurz vor Beginn der Sommersaison bei der gemeinsamen Corona-Strategie. Schon vor Monaten einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf die Einführung des gemeinsamen "grünen Zertifikats" – einem Dokument, das grenzüberschreitende Reisen in Europa für Geimpfte, Genesene und getestete Personen wieder unkompliziert möglich machen soll.

Bald wieder Reisen in Europa? Grünes Zertifikat für Juni geplant

Vergangene Woche verkündete die portugiesische Ratspräsidentschaft auch die Einigung in den Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und Europaparlament. Portugal hat in der ersten Jahreshälfte den Vorsitz der 27 EU-Staaten inne.

Offen bleiben aber noch technische Details und die Frage danach, ob auch andere Impfstoffe, die nicht von der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zugelassen wurden, im grünen Zertifikat erfasst werden dürfen – und ob damit ebenfalls Freiheiten einhergehen.

Noch im Juni soll das Zertifikat einsatzbereit sein. Reisen in Europa – so wie schon heute für die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel – könnten damit schon bald wieder an Normalität zurückgewinnen.

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