Delegierte stimmen auf dem Landesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt in Magdeburg ab
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Verfassungsschutz und AfD: von der Beobachtung zum Gerichtsduell

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Verfassungsschutz und AfD: Von der Beobachtung zum Gerichtsduell

Der Verfassungsschutz führt die AfD auf Bundesebene als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Das Verwaltungsgericht Köln hatte 2022 diese Einstufung als rechtmäßig bestätigt. Jetzt verhandelt das OVG Münster in zweiter Instanz. Eine Chronik.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Seit rund drei Jahren führt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD auf Bundesebene als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Als gesichert extremistisch gilt die Gesamtpartei bislang aber nicht. In Münster wird jetzt über diese Einstufung als "extremistischer Verdachtsfall" durch den Verfassungsschutz verhandelt.

Seit März 2021 rechtsextremistischer Verdachtsfall

Nach einer erstmaligen Einstufung der Partei als sogenannter Prüffall im Jahr 2019 wurde die Gesamtpartei schließlich im März 2021 vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall des Rechtsextremismus hochgestuft. Das Verwaltungsgericht Köln wies im März 2022 eine dagegen gerichtete Klage der AfD in erster Instanz ab. Die Verwaltungsrichter verwiesen auf "ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei".

Eine solche Einstufung hat für die AfD weitreichende Folgen. Als Verdachtsfall dürfen gegen die Partei geheimdienstliche Mittel zur Beobachtung eingesetzt werden. Darunter fallen etwa Observationen oder das Sammeln von Informationen über sogenannte V-Leute.

Drei Landesverbände gelten als gesichert rechtsextrem

Als gesichert rechtsextrem gilt die AfD in Thüringen seit 2021, in Sachsen-Anhalt seit November 2023 und in Sachsen seit Dezember 2023. Die Verfassungsschützer beobachten außerdem weitere sechs Landesverbände als extremistische Verdachtsfälle: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen und Niedersachsen. In den übrigen sieben Ländern erfolgte bislang keine Einstufung der jeweiligen Landesverbände durch die Verfassungsschutzbehörden.

Der Bundesverband der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative wird seit 2023 vom BfV als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft. Die Junge Alternative scheiterte im Februar 2024 mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Einstufung des BfV. Als erwiesen rechtsextrem gelten außerdem die Landesverbände der Jungen Alternative in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Der Landesverband in Nordrhein-Westfalen gilt als Verdachtsfall.

Begründung des Verfassungsschutzes

Im Verfassungsschutzbericht 2022 wird die Haltung des Verfassungsschutzes im Umgang mit der AfD ausführlich begründet. So sei "schätzungsweise ein extremistisches Personenpotenzial von etwa 10.000 Personen innerhalb der AfD anzunehmen". Das "ethnisch-kulturell geprägte Volksverständnis" der AfD stehe im Widerspruch zur Offenheit des Volksbegriffs des Grundgesetzes, heißt es im Bericht. Es würden "rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Narrative bedient" sowie "ausländer- und muslimfeindliche Positionen". Auch gebe es Anhaltspunkte für antisemitische Positionen, darüber hinaus "Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner sowie des Staates und seiner Repräsentanten".

Bundespartei bisher Verdachtsfall

Bislang ist die Bundespartei lediglich ein Verdachtsfall, doch womöglich könnte bald die gesamte AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" eingestuft werden. Laut Medienberichten arbeitet der Verfassungsschutz bereits seit Monaten an einem neuen Gutachten. Das derzeit gültige Gutachten des Verfassungsschutzes zur Radikalität der AfD stammt vom Frühjahr 2021.

Die AfD wehrt sich juristisch gegen die Einstufung als Verdachtsfall und wirft dem Verfassungsschutz vor, die Partei aus politischen Gründen zu diskreditieren.

Einstufung als rechtsextrem "überfällig"

Rechtsextremismus-Experten wie der Jurist Hendrik Cremer vom deutschen Institut für Menschenrechte sehen die Einstufung als insgesamt rechtsextrem durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als überfällig an. Cremer ist der Meinung: "Warum sie nicht erfolgt, ist tatsächlich auch damit zu erklären, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz jahrelang unter der vorherigen Leitung von Hans-Georg Maaßen nicht tätig wurde. Erst nachdem er ausgeschieden ist, kam es zu einem Wechsel hier und wurde erkannt vom Bundesverfassungsschutz unter der Leitung von Herrn Haldenwang, dass sich die Partei radikalisiert hat und wurde dann 2019 zum Prüffall."

Diese Einstufung, so Cremer, hätte viel früher erfolgen müssen. Somit würde sich auch erklären, dass das BfV noch nicht weiter in der Einstufung sei. Seit November 2018 ist Thomas Haldenwang Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.

"Dann kippt es ins Völkische"

Auch die AfD-Expertin und Juristen Liane Bednarz sieht viele Belege für rechtsextremistische Ansichten der AfD. Im Interview mit der Bayern 2 Radiowelt sagt sie: "Dieses Gerede vom Bevölkerungsaustausch. Da hat sogar Beatrix von Storch und vor Jahren darüber gesprochen. Also der Kern, worum es geht, die AfD vertritt einen völkischen Volksbegriff. Wir reden jetzt über Remigration nicht assimilierter Deutscher, dann kippt es ins Völkische. Und das ist genau das, wo der Verfassungsschutz ansetzt und sagt, das verstößt eben gegen Artikel eins des Grundgesetzes, das Menschenwürde-Prinzip, darum kreist letztlich alles."

Alexander Thiele ist Professor für Staatstheorie und öffentliches Recht an der Business School in Berlin. Im Interview mit NDR Info weist er darauf hin, dass der Verfassungsschutz als staatliche Behörde im laufenden Gerichtsverfahren ein fundamentales Interesse daran hat zu zeigen, dass er rechtmäßig handelt: "Ich glaube, zentral ist für den Verfassungsschutz tatsächlich zu zeigen, dass er hier nicht politisch instrumentalisiert wird, sondern dass er nach Recht und Gesetz diese Einschätzung des Verdachtsfalls vorgenommen hat."

Thiele geht davon aus, dass der Verfassungsschutz seine Beobachtungen der AfD bereits intensiviert haben wird. Er hält es für denkbar, dass es vergleichsweise schnell nach dem Urteil dann tatsächlich auch eine Höherstufung durch den Verfassungsschutz erfolgen könne: "Aber dann nicht wegen des Urteils oder wegen der Erkenntnisse des Urteils, sondern weil der Verfassungsschutz seit anderthalb, zwei Jahren diesen Verdachtsfall annimmt."

Welche Einstufungen gibt es?

Der Verfassungsschutz ordnet mögliche Fälle verfassungsfeindlicher Bestrebungen in drei Kategorien ein: Prüffall, Verdachtsfall und am Ende steht das Vorliegen einer gesichert extremistischen Bestrebung. Beim Prüffall kann der Verfassungsschutz nur Informationen aus offen zugänglichen Quellen sammeln. Also aus Zeitungsartikeln, Fernsehbeiträgen oder Internetauftritten, aber auch aus öffentlichen Äußerungen der beteiligten Personen, Vereinssatzungen oder Parteiprogrammen.

Wenn es Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung gibt, kommt der Verdachtsfall. Ab jetzt darf der Verfassungsschutz die betreffende Gruppierung beobachten, sie gilt nun als "Beobachtungsobjekt". Es ist üblich, dass der Verfassungsschutz bei einem Verdachtsfall innerhalb von etwa zwei Jahren prüft, ob sich der Verdacht erhärtet hat - es sich also um eine gesichert extremistische Bestrebung handelt. Die dritte Stufe ist dann die Bestätigung einer gesichert extremistischen Bestrebung. Der Verdacht hat sich also verfestigt und es gibt keine Zweifel mehr.

Cremer: "klar rechtsextremistisch"

Rechtsextremismusforscher Cremer ist der Meinung: "Ja, ganz klar ist die AfD insgesamt als rechtsextremistisch einzuordnen, weil schon die Programme eine rechtsextreme Ausrichtung haben, die ganz klar gegen die Garantien des Grundgesetzes gegen die Menschenrechtswürde Garantie stoßen. Und dieser Kurs lässt sich eben untermauern durch zahlreiche Äußerungen von Führungspersonen, von Mandatsträgern."

Haldenwang: AfD auf dem Weg "nach Rechtsaußen"

Der Verfassungsschutz sieht den Rechtsextremismus in Deutschland als größte Gefahr für die Demokratie. Die Zahl der Rechtsextremisten steige seit Jahren, auch für 2023 zeige der Trend eindeutig nach oben, sagte Präsident Thomas Haldenwang bei einer Pressekonferenz im Februar. Unter Haldenwang ist die entsprechende Abteilung für Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren stark vergrößert worden. Im Fall der AfD ist zu erwarten, dass diese Entscheidung über eine neue Einstufung erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens in Münster fallen wird. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagt aber auch öffentlich, dass er die Partei kontinuierlich auf dem Weg "nach Rechtsaußen" sieht.

Mit Informationen von dpa und Reuters

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