Zerstörte Autos und Häuser in der ukrainischen Region Donezk, aufgenommen wohl am 27.03.22.
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Zerstörte Autos und Häuser in der ukrainischen Region Donezk, aufgenommen wohl am 27.03.22.

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Russisches Oligarchen-Geld für Wiederaufbau der Ukraine?

Geld für Schulen, Kliniken, Renten – und für die teils zerstörte Energie-Infrastruktur: Ukraines Präsident Selenskyj bittet bei der Wiederaufbau-Konferenz in Berlin um weitere Milliarden. Helfen könnte beschlagnahmtes Geld russischer Oligarchen.

Auf der internationalen Wiederaufbau-Konferenz in Berlin hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Weltgemeinschaft um Hilfe gegen das im kommenden Jahr erwartete Milliarden-Haushaltsdefizit gebeten. "Es ist sehr viel Geld, es geht um ein Defizit von 38 Milliarden Dollar", sagte der Staatschef in einer per Video übertragenen Ansprache.

Selenskyj: Geld für Ärzte, Schulen, Verkehrswege

Er hoffe, dass die Entscheidung zur finanziellen Hilfe angesichts des Haushaltsdefizits "heute" falle, sagte Selenskyj. Das Geld werde unter anderem benötigt für die Gehälter von Ärzten und Lehrern sowie für Renten und Sozialleistungen. Außerdem müsse die Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Besonders dringend seien Investitionen in Krankenhäuser, Schulen, Verkehrswege und andere lebenswichtige Infrastruktur.

Selenskyj betonte: Durch russische Raketenangriffe sei "über ein Drittel der Energie-Infrastruktur in der Ukraine zerstört worden – und das jetzt vor dem Winter". Sein Land trete für die Sicherheit Europas ein, indem es den russischen Schlag abfange.

Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine in Berlin

Die Konferenz in Berlin findet auf Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen statt. An ihr nehmen Experten und Vertreter von Regierungen, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft teil. Der Wiederaufbau der Ukraine sei eine "Generationen-Aufgabe, die jetzt beginnen muss", sagte Scholz zum Auftakt des Treffens. Erneut forderte er einen "Marshall-Plans des 21. Jahrhunderts", nach dem Vorbild des US-Aufbauprogramms für Deutschland und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg

Die jüngsten "willkürlichen Angriffe auf die Ukraine einschließlich des Einsatzes von Kamikaze-Drohnen gegen Zivilisten und zivile Infrastruktur stellen einen neuen Tiefpunkt im abscheulichen Bemühen Russlands dar, die Ukraine von der Landkarte zu löschen", sagte der Bundeskanzler. Das werde die Welt aber nicht zulassen. Auch Deutschland werde die Ukraine weiter mit Luftverteidigungswaffen ausstatten. "In ihrem Kampf für Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität ist die Ukraine nicht alleine."

Der Wiederaufbau biete auch eine Chance für die nächsten Generationen, sagte Scholz. Es müsse darüber nachgedacht werden, wie eine weiterentwickelte, nachhaltige und widerstandsfähige Ukraine entstehen könne. Das Land könne zu einem wichtigen Erzeuger grüner Energie und einem Exporteur qualitativ hochwertiger Industrie- und Agrarprodukte werden sowie ein digitales Kraftzentrum mit einigen der besten Experten der Welt.

Von der Leyen: Investition in Demokratie

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sagte, kein Land oder keine Union könne den Wiederaufbau alleine stemmen. Man brauche starke Partner wie die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Australien und andere Länder sowie Institutionen wie die Weltbank. Jeder Euro, jeder Dollar, jedes Pfund, jeder Yen sei eine Investition in die Ukraine, aber auch in die demokratischen Werte weltweit. Mit Blick auf den Wiederaufbau von Infrastruktur sagte von der Leyen, dies müsse eingebettet werden in den Weg der Ukraine in die EU.

In diesem Jahr flossen laut den G7-Staaten an die Ukraine zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung bereits Budgethilfen in Höhe von 20,7 Milliarden US-Dollar. Insgesamt sind 33,3 Milliarden Dollar zugesagt. Mit Abstand größter Geldgeber sind die USA. Deutschland ist laut Finanzministerium mit einem Anteil von 1,4 Milliarden Euro größter Geber innerhalb der EU.

Morawiecki: Russisches Oligarchen-Geld nehmen

An der Wiederaufbau-Tagung in Berlin nehmen auch der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki teil. Morawiecki sagte, es gebe einen großen Geldtopf, der für den Wiederaufbau verwendet werden könne – nämlich eingefrorene Werte russischer Oligarchen. Man müsse sich bewusst sein, dass für den Wiederaufbau pro Monat drei bis fünf Milliarden pro Monat zusammengebracht werden müssten.

Ukraine: Linke fordert Schuldenschnitt

Derweil fordert die Linke einen Schuldenschnitt für die Ukraine, um den Wiederaufbau zu erleichtern. Zur Finanzierung sollten russische Vermögen in Europa beschlagnahmt werden, sagte Parteichef Martin Schirdewan mit Blick auf die Wiederaufbaukonferenz. Allerdings gelinge es in Deutschland kaum, russische Vermögen zu ermitteln. Dafür brauche man Mittel wie digitale Firmenverzeichnisse und Grundbücher sowie genug Personal bei der Finanzpolizei.

Derzeit müsse die Ukraine Schulden bei internationalen Bankhäusern bedienen, während zugleich Hilfsgelder nach Kiew flössen. "Es wird also über den Umweg Ukraine Steuergeld an internationale Banken verschoben", erläuterte der Linken-Politiker. Ein Schuldenschnitt könnte dagegen laut Schirdewan sicherstellen, dass Hilfsgelder in der Ukraine blieben.

CSU-Außenpolitiker: "Gibt auch ukrainische Verantwortung"

Unterdessen forderte der CSU-Außenexperte Thomas Silberhorn einen dauerhaften Kampf der ukrainischen Regierung gegen Korruption. "Es gibt natürlich auch eine ukrainische Verantwortung für den Wiederaufbau der eigenen Wirtschaft", sagte Silberhorn der "Augsburger Allgemeinen". Er warnte: "Mit unseren Hilfen dürfen wir nicht die Schattenwirtschaft der Oligarchen füttern." Silberhorn sprach mit Blick auf die Ukraine von einer "von Korruption durchzogene Wirtschaftsordnung", die marktwirtschaftlich und rechtsstaatlich ausgerichtet werden müsse.

Der ehemalige Verteidigungs-Staatssekretär sprach sich gleichzeitig dafür aus, schon jetzt russisches Vermögen innerhalb der Europäischen Union für den Wiederaufbau einzuziehen. Russland sei verantwortlich für die Schäden, die in der Ukraine entstehen. "Insofern muss vorrangig Schadenersatz von Moskau eingefordert werden", sagte Silberhorn.

Mit Informationen von AFP und dpa

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