Am 6. Januar 2021 drangen Trump-Anhänger gewaltsam in das US-Kapitol ein.
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Am 6. Januar 2021 drangen Trump-Anhänger gewaltsam in das US-Kapitol ein.

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Der Sturm auf das US-Kapitol – Szenarien für einen Coup

Nach einem Jahr deutet immer mehr darauf hin: Der Sturm der Trump-Anhänger auf das US-Kapitol war eingebunden in weitere Versuche, die Amtsübergabe an Joe Biden zu verhindern. Ein Staatsstreich? Dafür gibt es Indizien, aber keine Beweise.

"Ich freue mich, dass Amerika endlich aufsteht", sagt Misha am 6. Januar 2021. Sie ist zum Kapitol gekommen, um Donald Trump zu helfen, Präsident zu bleiben. So wie mehr als 10.000 andere auch, die vorher Donald Trump vor dem Weißen Haus zugehört haben und glauben, dass er sie aufgefordert habe, aktiv zu werden.

Sie ziehen zum Kapitol. Über Tausend von ihnen durchbrechen die Absperrungen, dringen in das Kapitol ein und verlangen, dass Donald Trump zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt wird. Misha ist fest davon überzeugt, dass Joe Biden nur durch Betrug gewählt wurde. Neben ihr steht George, der sagt, dass es Zeit für eine Revolution sei, weil die Regierung nicht mehr das Volk repräsentiere.

Ex-Staatsanwalt: "Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten"

Was vor einem Jahr wie ein spontaner Akt von enttäuschten Anhängern des abgewählten Präsidenten aussieht, stellt sich zunehmend als geplante Aktion heraus. Der frühere Staatsanwalt Glenn Kirschner nennt es im Fernsehinterview "eine Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, um eine Präsidentschaftswahl aufzuheben".

Szenario 1: Wahlmaschinen als manipuliert darstellen

Aber wie hätte das gelingen sollen, mit welchem Szenario? Kürzlich ist eine 38-seitige Strategie-PowerPoint-Präsentation des pensionierten Oberst Phil Waldron aufgetaucht. Waldron hatte mehrfach an Strategiesitzungen mit Donald Trumps Stabschef Mark Meadows teilgenommen. Über andere kam die Präsentation an Meadows, der gesagt haben soll: "Ich liebe das". Das Szenario: Die Wahlmaschinen sollen als von ausländischen Kommunisten manipuliert dargestellt werden, damit Vizepräsident Mike Pence demokratische Stimmen für ungültig erklären kann.

Als Bösewicht ausgemacht wird der venezolanische Staatschef Hugo Chavez. "Wir haben bei der Überprüfung gesehen, dass Präsident Chavez Programme hatte, um Stimmen zu manipulieren", so Phil Waldron bei einem Vortrag. Und mindestens ein republikanischer Abgeordneter schreibt Mark Meadows, dass Vizepräsident Pence eigenhändig Stimmen für ungültig erklären solle, die er für verfassungswidrig hält. So zitiert der Demokrat Adam Schiff im Untersuchungsausschuss aus einer E-Mail an Meadows: Das sollte reichen, um den nationalen Notstand auszurufen und Trump als Präsidenten zu halten.

Szenario 2: Demokratische Wahlleute für nicht gewählt erklären

In einem anderen Szenario erkennt Pence vor allem republikanische Wahlleute an, erklärt die aus demokratischen Staaten für nicht gewählt. Mit der neuen Mehrheit wird dann Trump gewählt. Nur: Pence weigert sich, dies zu tun, was Donald Trump ihm bis heute vorwirft. Pence habe einfach der Mut gefehlt, sagt der. Hätte er ihn aufgebracht, wäre er, Trump, heute Präsident.

Szenario 3: Bidens Bestätigung als Präsident verzögern

Bleibt ein anders Szenario ohne Mike Pence: Republikanische Abgeordnete verzögern durch Anträge die Bestätigung von Joe Biden als Präsident. Das war am 6. Januar bereits den ganzen Vormittag über passiert.

Szenario 4: "Trumps Reichstagsbrandmoment"

Dann: Der Angriff auf das Kapitol wird gewalttätig, es brennt, Schusswechsel, Tote. Der amtierende Präsident Trump wird gebeten, den nationalen Notstand auszurufen, die Nationalgarde zu aktivieren und vorübergehend im Amt zu bleiben, bis die Situation wieder beruhigt ist. Generalstabschef Mark Milley nennt das "Trumps Reichstagsbrandmoment für einen Coup" - in Anspielung auf 1933, als nach dem Reichstagsbrand in Berlin die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden.

Indizien, keine Beweise

Dazu ist es in Washington nicht gekommen, und wahrscheinlich wird es nie einen Beweis für einen solchen Plan geben, nur Indizien. Zu denen zählt, dass die Nationalgarde in Bereitschaft stand, aber nicht um den Kongress, sondern um Trumps Anhänger zu schützen.

Außerdem, dass sich Trump für Stunden weigerte, in der gewalttätigen Situation einzugreifen und seine Anhänger zum Rückzug aufzufordern. Viele drängen ihn, darunter sein Sohn und viele Abgeordnete. Trump aber schaut sich den Angriff auf das Kapitol für mehrere Stunden im Fernsehen an.

Trump lobte die Angreifer

Erst um 16.22 Uhr, zweieinhalb Stunden nach Beginn des Angriffs, veröffentlicht Trump eine Videobotschaft, in der er die Angreifer lobt, und dann auffordert, nach Hause zu gehen. Zuvor behauptet er noch einmal, die Wahl sei gestohlen worden. Noch einmal zwei Stunden später rechtfertigt er den Angriff als normale Reaktion, wenn großartigen Patrioten der Sieg genommen werde. "Geht mit Liebe und in Frieden nach Hause", schreibt er auf Twitter: "Erinnert euch für immer an diesen Tag."

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