Die Geburt des Parlamentarismus in Deutschland war eine langwierige, von heftigen Schmerzen begleitete Angelegenheit. Dafür kann die deutsche Demokratie jetzt gleich vier (Teil-)Geburtstage feiern: 1848, 1871, 1919 und 1949. Das erste frei gewählte gesamtdeutsche Parlament - noch vor dem Reichstag von 1871, der Weimarer Nationalversammlung, dem Bundestag (und, je nach Blickwinkel, der DDR-Volkskammer) tagte in Frankfurt, im klassizistischen Rundbau der erst 15 Jahre zuvor eingeweihten evangelischen Paulskirche: Exakt heute vor 175 Jahren.
"Als Untertanen zu Bürgern wurden"
Beim zentralen Festakt der Jubiläumsfeiern würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die erste Sitzung eines gewählten gesamtdeutschen Parlaments als "unersetzlichen Schritt auf dem langen Weg zu Demokratie und Freiheit in einem einigen Deutschland." Die Deutsche Nationalversammlung erarbeitete damals eine Verfassung, die nie in Kraft trat, aber den Grundstein für unsere heutige Demokratie legte. Für Steinmeier ist der 18. Mai 1848 daher "der Moment, als Untertanen zu Bürgern wurden."
"Wir Nachgeborenen wissen, wie viele Träume zunächst unerfüllt blieben, wie lange der Kampf um die Verwirklichung der Ideen und Motive von 1848 dauern sollte", sagte Steinmeier. Damals aber sei ein Geist der Freiheit geweckt worden, "der sich - jedenfalls auf lange Sicht - nicht mehr unterdrücken ließ".
Debatte und Kompromiss als Säulen der Demokratie
Die Deutsche Nationalversammlung sei auch ein Zeichen "gegen die Verächter unserer parlamentarischen Demokratie", mahnte Steinmeier. "Achten wir unsere frei gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier - sie tragen unsere Demokratie!"
Für den demokratischen Aufbruch 1848 sei aber auch eine Öffentlichkeit notwendig gewesen, "die sich ihrer selbst immer mehr bewusst geworden war - durch die Bildung von Vereinen, durch Versammlungen, vor allem aber auch durch eine immer stärker werdende Publizistik", sagte der Bundespräsident weiter. Diese gesellschaftliche Selbstverständigung, dieses öffentliche und gemeinsame Suchen nach dem richtigen Weg, in Freiheit und in Respekt voreinander, sei eine unverzichtbare Grundlage der Demokratie - ebenso wie die Fähigkeit zum Kompromiss.
💡 Die Nationalversammlung in der Paulskirche
Die Deutsche Nationalversammlung war als Premiere geplant, wurde aber zu einer Art Generalprobe der Demokratie in Deutschland. Mitte des 19. Jahrhunderts war Deutschland in zahlreiche Königreiche, Fürstentümer und Kleinstaaten zersplittert. Die nach der Revolution von 1848 - der "Revolution, die keine war" - in der Paulskirche tagende Nationalversammlung wollte eine demokratische Verfassung erstellen und einen Nationalstaat gründen. Sie erarbeitete eine Verfassung, die wegen des passiven, teils gewaltsamen Widerstands der herrschenden Könige und Fürsten aber nie in Kraft trat; zum einheitlichen Nationalstaat wurde Deutschland erst 1871.
Ein Meilenstein war die Wahl der Abgeordneten, die (jedenfalls im Prinzip und im damaligen Verständnis) allgemein, frei und gleich ablief - auch wenn das Prozedere in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich gehandhabt wurde und Frauen zur Wahl nicht zugelassen waren.
Beitrag zum Hören: Parlament ohne Frauen: Gespräch mit Kerstin Wolff
Die Gedenkfeier findet am selben, aber nicht am gleichen Ort statt wie die erste Parlamentsdebatte. Die am Abend des 18. März 1844 im Bombenhagel schwer zerstörte Paulskirche wurde äußerlich ähnlich, im Inneren aber mit einer eindrucksvollen, ebenso schlichten wie lichten Rotunde anstelle der Originalausstattung neu aufgebaut und zum hundertjährigen Jubiläum der Nationalversammlung 1948 wiedereröffnet. Seither wird sie durch Ausstellungen und Veranstaltungen wie die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels mit neuem Leben erfüllt.
In den nächsten Jahren steht eine Renovierung des historischen Baus an. Eine Expertenkommission hat im April Empfehlungen dazu vorgelegt. In unmittelbarer Nähe des historischen Baus soll ein Haus der Demokratie als Ort für Kommunikation und historisch-politische Bildung entstehen. Der Bundespräsident wünscht sich, dass die Paulskirche "noch stärker als bisher zu einem lebendigen Erinnerungs- und Lernort für die Demokratie" werden soll. "Sie ist ein Schatz nationaler Bedeutung, den wir gemeinsam zum Glänzen bringen sollten".
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