"Nicht einsteigen" steht auf dem Display eines Nahverkehrszuges der Bahn.
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Aufgrund des GDL-Streiks fallen die meisten Verbindungen der Deutschen Bahn aus.

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"Spiel mit dem Feuer": Heftige Kritik angesichts von GDL-Streik

Der Arbeitskampf sei riskant für die GDL sowie für die Wirtschaft - aus Politik, Industrie und von Fachleuten verlauten mahnende Stimmen angesichts des Lokführer-Streiks bei der Bahn. Juristen halten einen Zwang zum Schlichtungsverfahren für möglich.

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Der auf sechs Tage - bis kommenden Montag - angesetzte Bahn-Streik schürt Kritik aufseiten von Politik, Wirtschaft und Fachleuten. Der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), hat vor den Folgen des GDL-Bahnstreiks für die Verkehrswende gewarnt. "Mit ständig neuen und immer längeren Streiks büßt der klimafreundliche Verkehrsträger Schiene zunehmend an Attraktivität ein", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) (Donnerstag). "Jeder, der bisher überlegt hat, vom Auto auf die Bahn umzusteigen, hat nun ein weiteres Gegenargument", fügte er hinzu. "Das ist ein Spiel mit dem Feuer."

Theurer forderte die Lokführergewerkschaft und den bundeseigenen Bahnkonzern zu Verhandlungen auf. "Ich erwarte daher von den Tarifpartnern ein Zugehen aufeinander, möglicherweise unterstützt durch ein Schlichtungsverfahren zwischen der GDL und der Deutschen Bahn. Es muss eine Lösung am Verhandlungstisch gefunden werden", sagte der FDP-Politiker.

Wirtschaft: Schäden von mehr als halber Milliarde Euro befürchtet

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer, der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, zeigte sich alarmiert wegen der Auswirkungen auf die Wirtschaft. "Der Streik trifft Pendlerinnen und Pendler genauso wie die Wirtschaft ins Mark", sagte der Grünen-Politiker. "Das belastet das System Schiene weiter und steht dem Ziel, mehr Menschen und Güter auf der Schiene zu transportieren, diametral entgegen." Er habe für einen sechstägigen Streik ohne ernsthafte Verhandlungen "kein Verständnis", sagte Krischer. "Mir scheinen die Positionen keineswegs unüberbrückbar zu sein. Deshalb sollten alle zurück an den Verhandlungstisch, um schnell eine Lösung zu finden."

Auch aus der Wirtschaft selbst kamen mahnende Stimmen vor allem Richtung GDL. "Die Ankündigung der GDL stößt auf enormes Unverständnis in der Industrie", sagte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Es drohten Einschränkungen bis hin zu Produktionsausfällen. "Die deutsche Industrie ist angesichts des konjunkturellen Stillstandes ohnehin in einer fragilen Lage." Schäden bis zu einer Milliarde Euro seien "nicht unrealistisch", fügte Gönner hinzu. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprach von Schäden von über einer halben Milliarde Euro, wenn der Streik bis Montag durchgezogen werde.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger wertete den Streik ebenfalls als unverhältnismäßig. Es werde fast die gesamte Infrastruktur lahmgelegt, obwohl es bisher keine ernsthaften Verhandlungen zwischen dem Unternehmen und der GDL gegeben habe, sagte Dulger in Berlin. "Es ist richtig, dass die Politik beginnt, über Regeln für faire Streiks nachzudenken. Insbesondere in der Infrastruktur ist das dringend geboten."

"Festgefahren": Experte warnt vor Risiko für GDL selbst

Nach Einschätzung eines Experten steuert die Gewerkschaft GDL mit dem Streik einen zunehmend riskanten Kurs. "Nach diesem Streik muss man unbedingt wieder miteinander sprechen, am besten unter der Anleitung eines unabhängigen Moderators", sagte der Tarif-Experte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) der Deutschen Presse-Agentur.

Die GDL müsse vermeiden, dass sich die öffentliche Meinung gegen die Lokführer wendet. Dies sei ein wichtiger Einflussfaktor, wenn es darum gehe, die eigenen Mitglieder bei der Stange zu halten. "Eine weitere Streikrunde ohne vorherige Verhandlungen könnte ein mediales Desaster für die GDL werden. Das könnte auch ein Kipppunkt für die Streikbereitschaft der Mitglieder werden", meinte Lesch.

Mit schärferer öffentlicher Kritik stehe perspektivisch auch die finanzielle Unterstützung der GDL beim Streikgeld durch den Deutschen Beamtenbund infrage. Dessen Verantwortliche hätten die GDL bereits im Bahn-Tarifkonflikt 2015 zu einer Schlichtung gedrängt. "Anders als mit einem Moderator kommt man in der momentanen Situation einfach nicht mehr weiter", sagte der Gewerkschaftsforscher Lesch. Die Deutsche Bahn habe dies frühzeitig angeregt. Die GDL lehnt bislang ein solches Verfahren ab. Ein Problem seien die verhärteten Fronten, so Lesch.

"Kein schlichtungsfähiges Angebot": Ramelow kritisiert Bahn

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gibt dagegen der Deutschen Bahn die Schuld an der Eskalation des Tarifkonflikts. "Ich verstehe überhaupt nicht, was die Strategie der Bahn ist", sagte der frühere Tarifschlichter den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). "Es gibt kein schlichtungsfähiges Angebot."

Stattdessen versuche der Bahn-Vorstand immer wieder, juristisch gegen die GDL vorzugehen. "Das Ziel ist offenbar, die GDL kaputtzumachen", sagte Ramelow. "Das macht sie aber erst recht zu einer Kampforganisation. Ich kann da nur verblüfft den Kopf schütteln." Ramelow hatte gemeinsam mit Matthias Platzeck (SPD) den Tarifkonflikt zwischen der Bahn und der GDL im Jahr 2015 geschlichtet. Auch 2017 wurden der Politiker der Linkspartei und Platzeck als Schlichter eingesetzt.

Forderungen nach neuem Streikrecht

Indes gibt es Rufe nach einem neuen Streikrecht. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jens Spahn (CDU), sagte der "Bild" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt): "Das grenzt an Erpressung und muss schnellstens enden." Die Schäden für Bürger und Wirtschaft seien groß. "Die ständigen und lang andauernden Streiks bei der Bahn sind Gift für unsere Wirtschaft." Spahn forderte die GDL-Führung auf, schnell an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Zugleich forderte er Änderungen am Streikrecht für Unternehmen der kritischen Infrastruktur. Demnach müsse vor Streiks ein Schlichtungsverfahren zur Pflicht werden.

Wissing und Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatten Forderungen aus der Union nach gesetzlichen Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur wie der Bahn abgelehnt. Ihm seien auch keine Pläne bekannt, dass die Lokführer wieder zu Beamten gemacht werden sollten, damit sie nicht streiken dürfen, sagte der Regierungssprecher.

Juristen: Zwang zu Schlichtungsverfahren zulässig

Ein Arbeitskampf in Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt. Das könnte man aber trotz des Grundrechts der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz ändern, sagen Juristen. "Verfassungsrechtlich ist das möglich, politisch muss es gewollt sein", sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht der Universität Bonn, Gregor Thüsing, der Nachrichtenagentur Reuters.

Eine Zwangsschlichtung, mit der die Tarifparteien zur Annahme eines Einigungsvorschlages gezwungen würden, wäre gesetzlich kaum machbar. "Die rechtliche Fachmeinung ist hier recht einhellig", sagte Ernesto Klengel vom Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Das sieht auch Clemens Höpfner, geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Köln, so: "Unsere Verfassung verbietet eine Zwangsschlichtung in dem Sinne, dass die Schlichtungsstelle einen verbindlichen Schlichtungsspruch fällt." Anders wäre es bei einer Pflicht, eine Schlichtung wenigstens zu versuchen. "Verfassungsrechtlich gibt es aus meiner Sicht überhaupt kein Problem, ein Schlichtungsverfahren auch mit Einlassungszwang zu schaffen", sagte Höpfner. Das bedeutet, dass sich die Beteiligten auf einen Schlichtungsversuch einlassen müssen, wenn nur eine der Tarifparteien die Schlichtung will. Sie sind aber nicht gezwungen, das Schlichtungsergebnis anzunehmen.

Mit Informationen von afp, dpa und Reuters

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