ARCHIV - 27.10.2010, Brandenburg, Frankfurt (oder): ILLUSTRATION - Eine Englisch-Lehrerin einer Grundschule schreibt Unterrichtsinhalte an die Tafel. (zu dpa «Bildungsgipfel berät über Probleme im Bildungssystem») Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Bildungsgipfel

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"Showveranstaltung", "Kindergarten": Kritik vorm Bildungsgipfel

Wenn die Politik zu einem "Gipfel" lädt, klingt das erstmal nach etwas Großem: Hochkarätige Besetzung und wichtige Beschlüsse. Der nun stattfindende "Bildungsgipfel" wird das wohl nicht erfüllen. Dafür ist die Kritik vorab umso lauter.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ein Bildungs-"Gipfel" – oder eher ein neuer Tiefpunkt in verfehlter Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern? Vertreter von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kommen an diesem Dienstag in Berlin zusammen. Die Ampel-Parteien hatten ein Treffen unter diesem Titel in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Bei der Konferenz soll es um grundsätzliche Probleme in der Bildungspolitik gehen. Die Veranstaltung steht allerdings vorab bereits in der Kritik. Nicht nur Oppositionspolitiker erwarten sich nicht viel davon.

Bildungssystem in tiefer Krise

Das deutsche Bildungssystem stecke in einer tiefen Krise, hatte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vor der Zusammenkunft gesagt. Bund, Länder und Kommunen müssten endlich an einem Strang ziehen. "Wir müssen uns jetzt zusammenraufen, schließlich geht es um unsere Kinder und ihre Chancen."

Zunächst sieht es aber nicht nach einem Zusammenraufen aus. Die Kultusminister der SPD-geführten Bundesländer werden beim Bildungsgipfel von Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) vertreten. Die unionsgeführten Länder schicken nur einen Staatssekretär, der laut Programm auf dem Podium auch nicht mitdiskutieren wird.

Es sei bedauerlich, dass Kultusminister der Union angesichts der Herausforderungen Terminschwierigkeiten hätten, sagte ein Sprecher des Bundesbildungsministeriums der dpa. "Der Bildungsgipfel ist eine Einladung an alle Beteiligten, die Bildungskrise gemeinsam zu überwinden. Diese Herkulesaufgabe schafft niemand alleine."

Stark-Watzinger will erstmal eine Arbeitsgruppe gründen

Die Unionsländer hatten vorher abgewunken: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von einer "Showveranstaltung", die in ihrer Art ungeeignet sei, die Themen anzugehen. Üblicherweise werden vor Gipfeln bereits Papiere abgestimmt und dann beim eigentlichen Termin nur noch zu Ende verhandelt, sodass anschließend ein Ergebnis verkündet werden kann.

Ministerin Stark-Watzinger will nach eigenen Angaben bewusst einen anderen Weg gehen und stattdessen mit dem Gipfel einen Prozess anstoßen: Eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern, Kommunen und Experten soll eingerichtet werden, die Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zusammentragen soll.

Auch an der Gipfel-Besetzung gibt es Kritik: Es lasse nichts Gutes erahnen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Konferenz fernbleibe, sagte der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek (CDU), der dpa.

Skeptische Töne kamen aber nicht nur aus der Union. Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), turnusgemäß Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und beim Gipfel dabei, sagte vorab: "Ich freue mich auf hoffentlich konstruktive Gespräche, aber ich gehe ohne allzu große Erwartungen dorthin, zumal auch keine konkreten Ziele vorher mit der KMK und den Bundesländern besprochen wurden."

Breites Bündnis fordert Nationalen Bildungsgipfel mit Scholz und Länderchefs

Ein breites Bündnis aus mehr als 50 Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften appellierte derweil an die Bundesregierung und die Bundesländer, einen grundlegenden Reformprozess im Bildungswesen einzuleiten. Angesichts von Leistungsdefiziten, Chancenungleichheit sowie einem Mangel an Lehrkräften und Pädagogen sei politisches Handeln in gesamtstaatlicher Verantwortung nötig, erklärte das Bündnis am Dienstag vor dem in Berlin beginnenden Bildungsgipfel.

Das Bündnis kritisierte, der Gipfel am Dienstag werde der Dimension der Herausforderung nicht gerecht. Es sei höchste Zeit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer einen echten Nationalen Bildungsgipfel einberufen. Dort solle ein grundlegender Reformprozess markiert werden, um einen Neustart in der Bildung einzuleiten.

Das Bündnis forderte etwa mehr Einsatz für die Attraktivität der Berufe an Schulen und Kitas. Auch die Finanzierung des Bildungssystems müsse überarbeitet werden, da häufig im Bereich der außerschulischen Angebote das Geld zu knapp sei und Gelder immer noch zu oft nach dem Gießkannenprinzip verteilt würden. Außerdem behindere die Struktur des Bildungssystems selbst Anpassungen und Reformen. Es sei eine neue Kultur der Bildungszusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen nötig.

Zu den Unterstützern der Erklärung zählen unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Deutsche Kinderhilfswerk, der Deutsche Lehrerverband und der Bundeselternrat.

Deutliche Kritik an allen Akteuren des Bildungsgipfels am Dienstag kam vom Chef des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger: "Wenn es weder die Mehrheit der Schulministerien als auch der Bundeskanzler selbst für nötig empfinden, am Bildungsgipfel anwesend zu sein, wenn offensichtlich nicht einmal die Regierungsparteien selbst mit einem abgestimmten Konzept in die Beratungen gehen (...), dann werden die politischen Entscheidungsträger ihrer Verantwortung nicht gerecht", sagte er der dpa. Das Kompetenzgezerre im Vorfeld erinnere mehr an einen Kindergarten als an eine ernsthafte inhaltliche Diskussion.

Überlappende Probleme im Bildungssystem

Dabei ist der Handlungsdruck groß, weil sich die aktuellen Probleme im System gegenseitig verstärken: Tests hatten einen Leistungsabfall bei Grundschülern gezeigt. Dazu kommen Lernlücken durch eingeschränkten Schulbetrieb in der Corona-Zeit. Mehr Lehrkräfte wären gut, um Defizite abzubauen und zu verhindern, dass daraus später noch mehr Schulabbrecher werden, die dann wiederum als Fachkräfte fehlen.

Aber Lehrer bleiben wohl noch auf Jahre knapp, weil mehr Personal in den Ruhestand geht, als Nachwuchs nachkommt, bei gleichzeitig steigender Schülerzahl. Lehrkräfte sind zusätzlich gefordert durch mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Und obendrauf kommt die Digitalisierung, die auch die Bildung nachhaltig verändern wird.

Lehrermangel, marode Schulgebäude oder Defizite bei der Digitalisierung - das deutsche Bildungssystem steht vor einem Berg an Problemen.
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Lehrermangel, marode Schulgebäude oder Defizite bei der Digitalisierung - das deutsche Bildungssystem steht vor einem Berg an Problemen.

Mit Informationen von dpa und AFP

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