Kleidung hängt auf einem Zaun.
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Die Migrationspolitik ist eines der großen Themen zwischen Bund und Ländern heute.

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Sachleistungen, Bezahlkarte: Worüber Bund und Länder diskutieren

Kanzler Scholz und die Chefs der Länder suchen heute auf einem Gipfel nach Antworten in der Migrationspolitik. Bayern pocht darauf: Asylbewerber sollen künftig statt Geld Sachleistungen und eine Bezahlkarte bekommen. Ist das sinnvoll und machbar?

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Dieser Termin steht schon lange auf dem Plan. Um genau zu sein: seit sechs Monaten. Als Bund und Länder sich im Mai zu einem Flüchtlingsgipfel trafen, verwiesen sie in ihrem Beschlusspapier bereits auf den heutigen Tag. Es sei eine dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, Fluchtmigration zu bewältigen, hieß es darin. Beim kommenden Treffen solle deswegen geklärt werden, wie die Finanzierung in Zukunft geregelt werden könne. Das wäre heute.

Allerdings: Sechs Monate später ringen Bund und Länder noch kurz vor dem Treffen um einen Beschlussentwurf. Eine Arbeitsgruppe, die an einer gemeinsamen Lösung gefeilt hat, wurde Ende September ohne Ergebnis beendet. Und heute geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um die Steuerung der Migration. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Worum geht es heute?

Wenn sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Chefs der Länder heute treffen, wollen sie gleich mehrere Fragen in der Migrationspolitik angehen. Eine davon: Wer zahlt für die Versorgung der Flüchtlinge? Städte und Gemeinden ächzen seit langem unter der finanziellen Last. Sie fordern einen höheren finanziellen Anteil des Bundes. Anstelle einer Pauschalzahlung wollen die Kommunen einen Bundeszuschuss, der sich an der Zahl der Asylbewerber orientiert. Außerdem solle der Bund 100 Prozent der Unterbringungskosten übernehmen.

Ein weiteres Gesprächsthema dürften die Migrationsabkommen (insbesondere mit afrikanischen Ländern) sein, an denen die Bundesregierung derzeit arbeitet. Das heißt: Die Staaten sollen sich verpflichten, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, die in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl haben. Eine andere Idee wäre die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, ein Vorschlag aus Unionskreisen.

Ein Streitpunkt beim Ländertreffen wird zudem die Beschleunigung von Asylverfahren sein. Vor allem die Verfahren von Antragstellern aus Staaten mit einer geringen Anerkennungsquote sollen künftig schneller gehen. Die Bundesregierung will dafür die Kapazitäten an den Verwaltungsgerichten und am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufstocken. Die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder fordern eine Gesetzesänderung. Länder mit geringer Anerkennungsquote sollen bei den Asylverfahren ähnlich behandelt werden wie "sichere Herkunftsländer" – samt Beweislastumkehr beim Asylgrund.

Zudem wird über die Höhe und Art von Sozialleistungen für Asylbewerber diskutiert.

Welche Leistungen kriegen Geflüchtete derzeit?

Für Asylbewerber, geduldete und ausreisepflichtige Personen gilt das Asylbewerberleistungsgesetz. Darin ist geregelt, wer welche Leistungen erhält. Die orientieren sich in der Höhe an den Sozialleistungen für die eigenen Staatsbürger und sind abhängig von verschiedenen Bedarfsstufen. Alleinstehende erhalten zum Beispiel einen monatlichen Satz von 410 Euro, Erwachsene in einer stationären Einrichtung 328 Euro. Leben Menschen länger als 18 Monate in Deutschland, erhalten sie höhere Sätze, sogenannte Analogleistungen zum Sozialgesetzbuch. Bei Alleinstehenden sind das 502 Euro im Monat.

Die Frage ist aber auch, wie diese Leistungen vergeben werden, ob etwa als Barzahlung, Gutschein oder Sachleistung. Da wird unterschieden: In einer Erstaufnahmeeinrichtung erhalten die Menschen hauptsächlich Sachleistungen, also etwa Kleidung oder Kantinenessen. Außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten sie vorrangig Geldleistungen. Der sogenannte "notwendige Bedarf", also etwa Kleidung oder Essen, darf aber auch in bestimmten Fällen durch Sachleistungen gedeckt werden. Der Betrag für den "notwendigen persönlichen Bedarf", wie etwa Fahrkarten oder Telefonleistungen, ist auszuzahlen.

Was will Bayern ändern?

Bayern will, dass konsequent auf Sachleistungen oder auf Bezahlkarten umgestellt wird. Dazu fordert der Freistaat den Bund auf, das Asylbewerberleistungsgesetz zu ändern. Geld für Geflüchtete soll es nicht mehr geben.

Unabhängig davon, was heute bei dem Treffen von Bund und Ländern herauskommt, will Bayern in Eigenregie umstellen – und zwar da, wo es schon jetzt rechtlich möglich ist. Darauf haben sich CSU und Freie Wähler in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Die Vorbereitungen laufen: Bald soll nach Angaben des bayerischen Innenministeriums die Ausschreibung für ein Bezahlsystem starten.

Der Freistaat plant, dass mit der Bezahlkarte weder Überweisungen noch Bargeldabhebungen möglich sein sollen. Das Ziel: Verhindern, dass Migranten Geld in die Heimat überweisen. Ob die Karte auch nur für bestimmte Läden oder Produkte gelten soll, wird derzeit noch geprüft.

Ist die Umstellung einfach möglich?

An sich spricht im geltenden Recht nichts gegen das Sachleistungsprinzip. Es käme auf die konkrete Ausgestaltung an. Der Politikwissenschaftler Oliviero Angeli von der TU Dresden verweist darauf, dass viele der aktuellen politischen Forderungen noch "vage und recht undifferenziert" seien. "Die neuen Vorschläge unterliegen dann auch der gerichtlichen Prüfung."

Hinweise darauf, wie diese Prüfung ausfallen könnte, liefert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Darin ging es zwar nicht direkt um die Art der Leistung, sondern um deren Höhe. Aber in dem Urteil heißt es: "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren." Heißt: Die Leistungen dürfen nicht gekürzt werden, um damit Menschen abzuschrecken.

Das könne man auf die Forderung nach einer Umstellung auf Sachleistungen oder Bezahlkarten übertragen, sagt Frederik von Harbou, der Professor für Rechtswissenschaften an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und Experte für Migrationsrecht ist. Konkret bedeutet das: Das Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung muss auch gegeben sein, wenn Asylbewerber mit Sachleistungen oder Bezahlkarten versorgt werden. Zur Abschreckung darf eine Umstellung auf Sachleistungen nicht genutzt werden. Und kann man noch von "menschenwürdiger Existenzsicherung" sprechen, wenn die Asylbewerber gar keinen Geldbetrag mehr zur freien Verfügung haben? Und was wäre, wenn bestimmte Artikel, wie Zigaretten oder Alkohol, für Asylbewerber beim Einkauf gesperrt würden?

Jurist spricht von "rechtlichen Grenzen"

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt es dazu noch nicht. Wie es urteilen würde, ist Spekulation, sagt der Jurist von Harbou. Er selbst sieht aber durchaus rechtliche Grenzen, zum Beispiel, wenn die Asylbewerber über einen längeren Zeitraum gar kein Geld mehr zur freien Verfügung haben. Noch dazu geht es laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur um die "physische Existenz des Menschen", sondern auch um die "Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen" und um die "Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben". Auch das müsste bei der Umstellung auf Sachleistung oder Geldkarte berücksichtigt werden.

Für von Harbou wäre eine flächendeckende Umstellung auf Sachleistungen oder Bezahlkarten letztlich eine "Verzweiflungstat". Nachdem die Politik an der Höhe der Leistungen nicht schrauben kann (aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts), sei die Art der Leistung die einzige Stellschraube, die den Politikern noch bleibe. Der Migrationsforscher zweifelt jedoch, dass der Nutzen den Verwaltungsaufwand rechtfertigt.

Einen erhöhten Verwaltungsaufwand befürchtet auch der Deutsche Städtetag. Eine Umstellung auf Sachleistungen (auch auf Geldkarten oder Gutscheine) hält er daher für nicht praktikabel.

Würden weniger Menschen kommen?

Migrationsforscher bezweifeln, dass die Umstellung auf Sachleistungen dazu führen wird, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen. Es werde viel mit ökonomischen Faktoren argumentiert, sagt Oliviero Angeli, wissenschaftlicher Koordinator des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der Technischen Universität Dresden. "Aber die Gründe zu flüchten, sind sehr viel vielfältiger."

Eine große Rolle spiele beispielsweise die Perspektive in einem Land. "Deutschland hat in vielen arabischen Ländern das Ansehen eines wirtschaftlich starken Landes. Die Menschen verbinden damit die Möglichkeit, zu arbeiten und kommen mit dieser Hoffnung. Außerdem gibt es in Deutschland bereits eine Community von geflüchteten Menschen, die bei der Ankunft helfen."

Ziehen Menschen dorthin, wo die Sozialleistungen höher sind?

Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in einer Studie, die in der Schweiz durchgeführt wurde und Anfang dieses Jahres im "American Journal of Political Science" erschienen ist. Wissenschaftler haben darin untersucht, ob Menschen häufiger umziehen, um höhere Sozialleistungen zu erhalten. In der Schweiz sind die Leistungen je nach Kanton unterschiedlich. Einen Zusammenhang konnten die Wissenschaftler allerdings nicht beobachten. Viel wichtiger war für die Migranten der Studie zufolge, wie viele Menschen aus der eigenen Community bereits an einem Ort lebten.

Anders sieht das hingegen in einer Studie der Princeton University aus dem Jahr 2019 aus, die Migrationsbewegungen nach Dänemark untersucht hat. Dort wurden 2002 die Sozialleistungen gesenkt, 2012 angehoben und 2015 erneut gesenkt. Der Studie zufolge hat sich das auch im Zuzug widergespiegelt.

An der Studie gibt es allerdings auch viel Kritik: Denn sie lässt außen vor, dass Dänemark zugleich weitere Asylgesetze verschärft hat. Der Familiennachzug wurde etwa deutlich erschwert, den Menschen wurden damals an der Grenze ihre Wertsachen abgenommen und es gab eine Regel, der zufolge in einem Stadtviertel nur maximal 30 Prozent von außerhalb der EU stammen durften.

Migrationsforscher Angeli sagt: Die Studie sei zu "monokausal". Und: Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen Faktoren, die Menschen zur Flucht veranlassen und Faktoren, die die Verteilung beeinflussen. "Dass Menschen für Sozialleistungen ihr Land verlassen, ist unplausibel, aber schärfere Asylgesetze können einen Einfluss auf die Verteilung haben." Die Sozialleistungen würden dabei aber nur eine marginale Rolle spielen. Die Forderung nach geringeren Sozialleistungen sei vor allem innenpolitisch ein Signal.

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