Russische Rubel-Banknoten liegen auf einem Tisch.
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Russland erlebt seine höchste Inflation seit zwei Jahrzehnten. Die staatliche Statistikbehörde Rosstat bezifferte sie auf 17,3 Prozent im März.

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Russland: So treffen die westlichen Sanktionen die Wirtschaft

Russland verzeichnet eine immense Inflation. Moskau hat massive Maßnahmen ergriffen, um sich gegen wirtschaftliche Sanktionen des Westens zu wehren. Aber die vollen Auswirkungen der Sanktionen dürften laut Volkswirten erst noch spürbar werden.

Die westlichen Sanktionen würden nicht funktionieren, erklärte Russlands Präsident Putin. Aber Tatsache ist, dass die Wirtschaft leidet. Und manche Folgen der Sanktionen dürften erst etwas später sichtbar werden.

So hatte Russland etwa mit drastischen Zinsanhebungen und Kapitalkontrollen den Auswirkungen der Sanktionen entgegengesteuert. Russische Unternehmen wurden gezwungen, ihre Profite in Rubel umzuwandeln. Damit konnte sich die Landeswährung nach einem anfänglichen deutlichen Wertverlust wieder erholen, und kürzlich hat die russische Zentralbank einen Teil ihrer Zinserhöhungen wieder zurückgenommen. Präsident Wladimir Putin verkündete, dass sein Land dem "Blitz" von westlichen Sanktionen standgehalten habe. Aber wie steht es um Russlands Wirtschaft wirklich?

Höchste Inflation seit zwei Jahrzehnten

Das Land erlebt seine höchste Inflation seit zwei Jahrzehnten. Die staatliche Statistikbehörde Rosstat bezifferte sie auf 17,3 Prozent im März. Zum Vergleich: Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr einen Anstieg der Verbraucherpreise in Entwicklungsländern um 8,7 Prozent, nach 5,9 Prozent 2021.

Die Metropole Moskau hat es nach städtischen Angaben mit einem Verlust von 200.000 Arbeitsplätzen zu tun, weil ausländische Firmen ihren Betrieb eingestellt haben. Mehr als 300 Unternehmen haben sich zurückgezogen, und internationale Versorgungsketten sind weitgehend gekappt, nachdem sich die Transportunternehmen Maersk, UPS, DHL und andere aus Russland zurückgezogen haben.

Auswirkungen auf Zahlungsfähigkeit Russlands

Wegen der Blockade seiner Devisenreserven kann Russland Fremdwährungsanleihen nicht mehr in Dollar begleichen. Es droht ihm damit ein Zahlungsausfall bei Auslandsschulden, was das Land wahrscheinlich über Jahre hinweg aus Kreditmärkten verbannt.

Derweil weisen Finanzbeamte und Volkswirtschaftler darauf hin, dass es in der Regel Monate dauere, bis sich Sanktionen voll auswirkten. Wenn Russland längerfristig keine angemessenen Kapitalmengen, Produktionsteile oder Versorgungsgüter erhalten könne, müssten noch mehr Fabriken und Firmen schließen, was wiederum zu höherer Arbeitslosigkeit führe.

Es dauerte beispielsweise ein ganzes Jahr, bis Sanktionen wegen der russischen Krim-Annexion 2014 griffen und wirtschaftliche Daten Folgewirkungen widerspiegelten, wie etwa eine höhere Inflation, einen Rückgang der Industrieproduktion und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.

"Die Dinge, nach denen wir Ausschau halten sollten, um zu sehen, ob die Sanktionen funktionieren, sind, offen gesagt, noch nicht leicht erkennbar", sagt David Feldmann, ein Wirtschaftsprofessor an der US-Universität William & Mary. "Wonach wir schauen müssen, sind der Preis für Waren, die Menge an produzierten Waren und deren Qualität."

Lebensmittel teurer, Geschäfte schließen

Bewohner eines Moskauer Vororts berichten, dass ein 19-Liter-Behälter mit Trinkwasser, den sie regelmäßig bestellen, fast um 35 Prozent teurer geworden ist. In Supermärkten und Läden sei der Preis für ein Kilo Zucker um 77 Prozent und der für einige Gemüsesorten um 30 bis 50 Prozent gestiegen.

Und es gibt örtliche Berichte über zahlreiche geschlossene Geschäfte in Einkaufszentren, nachdem westliche Unternehmen wie Starbucks, McDonald's und Apple ihren Betrieb ausgesetzt oder sich ganz aus Russland zurückgezogen haben.

Der Kreml weist in sozialen Medien auf die Rubel-Erholung hin, als Zeichen dafür, dass die Sanktionen nicht funktionierten. Nach jüngsten Rosstat-Daten verlangsamt sich die Inflation, aber das überrascht nach den drastischen Zinserhöhungen der Zentralbank auf anfangs 20 Prozent nicht. Inzwischen liegt der Zinssatz bei 17 Prozent.

Öl und Gas aus Russland

Einblicke darin, wie sich die Sanktionen auswirken, sind begrenzt, zum großen Teil wegen der außerordentlichen Maßnahmen, die der Kreml zur Stützung der Wirtschaft ergriffen hat. Hinzu kommt, dass der größte Sektor – Öl und Gas – wegen der europäischen, chinesischen und indischen Abhängigkeit von russischer Energie weitgehend unberührt geblieben ist.

Nach einer Schätzung der Volkswirtschaftler Benjamin Hilgenstock und Elina Ribakova vom Institute of International Finance in Washington im März könnte die russische Wirtschaft dieses Jahr um mehr als 20 Prozent schrumpfen, wenn die EU, Großbritannien und die USA gemeinsam auf russisches Öl und Erdgas verzichteten. Derzeitige Vorhersagen gehen von einem 15-prozentigen Rückgang der Wirtschaft aus.

Bislang haben sich die 27 EU-Mitgliedsländer nicht auf einen Einfuhrstopp von Öl und Erdgas geeinigt: Die Gemeinschaft ist weit mehr auf eine Versorgung aus Russland angewiesen als Großbritannien und die USA, die russische Ölimporte gestoppt haben oder sie auslaufen lassen. Derweil erhält Russland von Europa pro Tag umgerechnet etwa 790 Millionen Euro für sein Öl und Gas.

Diskussion um Energie-Embargo

In der Diskussion um ein vollständiges Energieembargo gegen Russland werden in Deutschland warnende Stimmen lauter. Wegen absehbarer Folgen für die Menschen in der Bundesrepublik lehnt etwa auch der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, ein Embargo ab. Er warnte vor dramatischen Folgen für ärmere Menschen in Deutschland durch den Krieg in der Ukraine. "Es sind nicht nur die Energiepreise, die unglaublich steigen, sondern auch die Mieten und die Nahrungsmittelpreise."

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, spricht sich gegen einen Energieboykott aus. Ebenso wie der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger. Dieser warnte vor geradezu paradoxen Folgen eines möglichen Embargos gegen Russland. "An einseitige Kündigungen von Kohle- und Erdöllieferungen aus längerfristigen, preisgünstigen Verträgen dürfen wir nicht naiv rangehen. Russland dürfte davon sogar profitieren", sagte Steiger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Denn es könnte dann auf dem Weltmarkt für diese frei gewordenen Mengen zum Teil exorbitant höhere Preisen als derzeit erzielen, unsere Energieversorger aber müssten die gestiegenen Weltmarktpreise anderer Lieferanten an die Endverbraucher weiterreichen."

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