15.08.23: Erzbischof Georg Gänswein, früherer Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., bei einem Pontifikalamt am Wallfahrtsort Maria Vesperbild.
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15.08.23: Erzbischof Georg Gänswein, früherer Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., bei einem Pontifikalamt am Wallfahrtsort Maria Vesperbild.

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Franziskus lobt Benedikt – und rechnet mit Gänswein ab

In dem Buch "El sucesor" kritisiert Papst Franziskus offen das Verhalten des ehemaligen Privatsekretärs Georg Gänswein. Er habe Benedikt XVI. in seinen letzten Lebensjahren instrumentalisiert und bewusst von der Außenwelt abgeschottet.

Es ist eine Abrechnung, die Papst Franziskus offensichtlich lange auf der Seele lag. Über ein Jahr, nachdem er Georg Gänswein ohne neue Aufgabe zurück ins Erzbistum Freiburg versetzt hat, sagt das Oberhaupt der katholischen Kirche erstmals offen, was er am Verhalten des ehemaligen Privatsekretärs Benedikt XVI. unakzeptabel fand.

"Gänswein fehlt es an Menschlichkeit"

Franziskus kritisiert unter anderem, dem deutschen Erzbischof fehle es an Menschlichkeit. Und er erhebt den schwerwiegenden Vorwurf, Gänswein habe Benedikt XVI. in dessen letzten Lebensjahren instrumentalisiert, bewusst von der Außenwelt abgeschottet und gegen den amtierenden Papst in Stellung bringen wollen.

Franziskus äußert sich ausführlich über das Verhältnis zu seinem Vorgänger Benedikt und zu dessen Privatsekretär Gänswein im am Mittwoch erscheinenden Interviewbuch "El sucesor" (Der Nachfolger) des spanischen Vatikanjournalisten Javier Martinez-Brocal, aus dem die Zeitung La Repubblica zahlreiche Stellen vorab veröffentlicht. Unter anderem erinnert der Papst erneut daran, dass Benedikt sich nicht von konservativen Kritikern vereinnahmen ließ, als diese Franziskus 2017 Häresie, also Ketzerei, vorwarfen wegen dessen Umgang mit Homosexuellen in der katholischen Kirche. Mit Blick auf Benedikts Verhalten sagt Franziskus in dem Buch: "Und wie er mich verteidigt hat!"

Namen der Verschwörer nennt Franziskus nicht

Benedikt habe ihn auch unterstützt, als Kurienmänner vor allem "aus der zweiten Reihe" eine Verschwörung gegen den heutigen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin angezettelt hätten. Dieses Komplott sei aufgedeckt worden durch Dokumente, die Benedikt ihm, Franziskus, 2013 überreicht habe. Namen der Verschwörer nennt Franziskus nicht.

So gut sich Franziskus in dem Interviewbuch über Benedikt äußert, so harsch kritisiert er in "El sucesor" dessen Privatsekretär. Als Beispiel nennt der Papst unter anderem Gänsweins Verhalten rund um Benedikts Tod und Beerdigung. Bereits vor gut einem Jahr hatte Franziskus bemängelt, allerdings noch ohne Namen zu nennen, Benedikt sei damals von "Leuten ohne Ethik" instrumentalisiert worden. Jetzt macht der Papst deutlich, dass Gänswein der Adressat seiner Kritik ist. "Dass am Tag der Beerdigung ein Buch veröffentlicht wird, das schlecht über mich redet, das Sachen erzählt, die nicht stimmen, ist sehr traurig", sagt Franziskus.

Benedikt habe in der Nähe Gänsweins nicht offen gesprochen

Gänswein hatte kurz nach Benedikts Beerdigung das Buch "Nient‘altro che la verità" ("Nichts als die Wahrheit") veröffentlicht, in dem er angebliche Differenzen zwischen Benedikt und Franziskus schildert. Einige Medien veröffentlichten Auszüge aus dem Buch allerdings vorab. Franziskus macht jetzt deutlich, dass ihn dieses Buch und speziell der Veröffentlichungszeitpunkt schwer enttäuscht haben: "Natürlich berührt es mich nicht, im Sinne, dass es mich nicht beeinflusst. Aber es tat mir leid, dass man Benedikt benutzt hat", so die Kritik des Papstes an die Adresse Gänsweins. Er habe die Buchveröffentlichung "erlebt als ein Mangel an Noblesse und Menschlichkeit".

Nach Darstellung von Franziskus habe Benedikt sogar Angst gehabt, sich offen zu äußern, wenn Gänswein in seiner Nähe war. Der Papst nennt als Beispiel eine Episode, in der Benedikt zu seinem früheren Privatsekretär, Josef Clemens, gesagt habe: Jetzt könne er telefonieren, "weil Don Georg rausgegangen ist". Benedikt, sagt Franziskus, "war ein Mann von großem Sanftmut. In einigen Fällen aber haben dies einige Personen ausgenutzt, vielleicht ohne schlechte Absichten, und haben seine Bewegungen eingeschränkt".

Ein Klima der Abschottung

Der Versuch, Benedikt zu isolieren und zu instrumentalisieren, hat sich nach Franziskus‘ Darstellung bis kurz vor dessen Tod fortgesetzt. Unter anderem erzählt der Papst von seinem Besuch beim zu diesem Zeitpunkt bereits schwer kranken Benedikt. Ein Krankenpfleger habe sich mit ihm, Franziskus, unterhalten. Daraufhin habe ein Arzt, der sich um Benedikt kümmerte, dem Pfleger in abwertendem Ton vorgeworfen, er sei "ein Spion". Es sei ein Klima der Abschottung gewesen. Er habe verstanden, sagt der Papst, "dass sie Benedikt in Obhut hielten. Verstehen Sie mich richtig, ich sage nicht eingesperrt oder eingeschlossen, aber in Obhut".

Dafür, wie Benedikt von seinem Umfeld, namentlich von Gänswein, in seinen letzten Lebensjahren instrumentalisiert worden sein soll, nennt Franziskus ein weiteres Beispiel. Es sei um die Absetzung eines Dikasteriumsleiters gegangen. Die von Franziskus entschiedene Personalie habe kirchenintern für Diskussionen gesorgt. Mitten in dieser Debatte habe dann Gänswein dafür gesorgt, so die Darstellung des Papstes, dass ein Foto des bisherigen Dikasteriumsleiters mit Benedikt verbreitet wird, "als wenn Benedikt gegen meine Entscheidung sein würde". Dies habe nicht den Tatsachen entsprochen. "Benedikt war ein Kavalier", urteilt der Papst, "dagegen, das sage ich Ihnen mit Bedauern, hat mir sein Sekretär häufig Schwierigkeiten bereitet".

Franziskus wünscht sich eine schlichtere Trauerfeier

Franziskus äußerte sich auch zu den Umständen der Beerdigungsfeier für Benedikt. Die Planung der Zeremonien nach dem Tod seines Vorgängers habe er "vollständig an Monsignor Georg Gänswein delegiert". Zu allen Fragen rund um die Beerdigung habe er stets geantwortet: "Der, der entscheidet, ist der Sekretär Benedikts". Gleichzeitig macht Franziskus in "El sucesor" deutlich, dass er für sich selbst sehr viel schlichtere Trauerfeierlichkeiten will.

Nach dem Tod Benedikts sei es das letzte Mal gewesen, dass der Leichnam des Papstes aufgebahrt, also im offenen Sarg ausgestellt wird. Er sei dabei, verriet Franziskus, mit dem Zeremonienmeister des Vatikans die vorgeschriebenen Rituale nach dem Tod des Papstes zu überarbeiten. Die Päpste, findet Franziskus, sollten eine Totenwache und eine Beerdigung bekommen "wie jedes andere Kind der Kirche".

"Die Päpste haben die Erlaubnis, es zu verraten"

Franziskus bestätigt in dem am Mittwoch (3. April 2024) erschienenen Buch auch seit längerem bekannte Hintergründe zur Wahl Benedikts im Konklave 2005. Demnach hätten einige Kardinäle für ihn, Bergoglio, gestimmt, um eine Wahl Joseph Ratzingers zu verhindern. Der heutige Papst Franziskus soll damals die zweitmeisten Stimmen erhalten haben. Die Kardinäle müssen zwar vor dem Konklave schwören, nichts über die Wahl zu verraten. Franziskus aber begründet seine Offenheit mit den Worten: "Die Päpste haben die Erlaubnis, es zu verraten".

Dieser Artikel ist erstmals am 2. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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