Diese von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Kim Jong Un beim Besuch einer Apotheke.
Bildrechte: dpa-Bildfunk

Diese von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Kim Jong Un beim Besuch einer Apotheke.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Wie Corona das Kim-Regime ins Dilemma stürzt

Nordkorea ist von einem heftigen Corona-Ausbruch betroffen. Diktator Kim Jong Un nannte die Pandemie den "größten Aufruhr" seit Gründung des Landes. Während Kim in einem Dilemma steckt, wird der Bevölkerung empfohlen, gegen das Virus Salz zu gurgeln.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Dramatische Zahlen - und eine Führung in Aufruhr. Im abgeschotteten Nordkorea hat ein Corona-Ausbruch für eine Staatskrise gesorgt.

Lange Zeit rühmte sich das Regime damit, dass Nordkorea für das Coronavirus "uneinnehmbar" sei. Das Angebot Pekings im Herbst, Millionen Dosen des chinesischen Impfstoffs zu bekommen, schlug man aus. Das Kontingent solle besser für "bedürftigere Länder" genutzt werden. Auch die Möglichkeit, über die globale Covax-Initiative an den Impfstoff von Astrazeneca zu gelangen, nutzt man nicht. Nordkorea und Eritrea sind laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die einzigen beiden Länder weltweit, in denen es bisher keine Impfkampagne gegeben hat.

Offenbar über 1,7 Millionen Corona-Infizierte innerhalb einer Woche

Nordkorea-Experte Eric Ballbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht als Grund für die Ablehnung zum einen eine "politische Fehleinschätzung". "Man ist davon ausgegangen, es gelingt, einen Ausbruch regional unter Kontrolle zu halten", sagt Ballbach im Interview mit BR24. Dieses Kalkül gehe aber durch die leichter übertragbare Omikron-Variante nicht mehr auf. Zum anderen, so Ballbach: "Das Annehmen internationaler Hilfe in einem Staat, der so gestrickt ist wie der nordkoreanische, sehr schnell als Schwäche ausgelegt werden kann und stark politisiert ist." Politische Bedenken werden demnach wichtiger erachtet als gesundheitspolitische Gründe.

Letzte Woche meldete das Land die ersten Corona-Fälle. In Pjöngjang wurde die Omikron-Variante nachgewiesen. Seitdem schießen die Zahlen in die Höhe. Zwar ist nur von 62 Toten die Rede. Aber die Zahl derer, die sich an einem "explosionsartig verbreitenden Fieber" angesteckt haben, wie es offiziell heißt, liege bei über 1,7 Millionen Menschen. Experten gehen davon aus, dass sich bei diesen Menschen um Corona-Infizierte handelt. Test-Kapazitäten gibt es in Nordkorea allerdings kaum, um das nachzuweisen. Nordkorea befindet sich laut Machthaber Kim Jong Un durch die Corona-Pandemie im "größten Aufruhr", der das Land seit seiner Gründung heimgesucht habe.

Landesweiter Lockdown verhängt

In Nordkorea leben rund 26 Millionen Menschen. Innerhalb einer Woche haben sich offenbar fast 7 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infiziert. Zum Vergleich: Das wäre so, als wenn in Deutschland in Woche eins nach Auftreten des Virus fast sechs Millionen Menschen damit angesteckt hätten. Zudem ist nicht klar, ob das nordkoreanische Regime das wahre Ausmaß der Pandemie - besonders die Todeszahlen - akkurat wiedergibt.

Als Gegenmaßnahme hat das Regime einen landesweiten Lockdown verhängt. Das Militär wurde mobilisiert, um Medikamente zu beschaffen und zu verteilen sowie den Behörden beim Testen und Behandeln von Patienten zu unterstützen. Im Staatsfernsehen wird dafür geworben, gegen das Virus Salz zu gurgeln.

WHO-Chef: "Zutiefst besorgt" über Lage in Nordkorea

Die Corona-Welle trifft das Land auch deshalb so hart, weil Nordkorea eines der schlechtesten Gesundheitssysteme der Welt hat. Die Johns Hopkins University gibt jährlich ein Ranking der Gesundheitssysteme weltweit heraus - da liegt das abgeschottete Land auf Platz 193 von 195. Intensivstation gibt es offenbar kaum und auch nur in der Hauptstadt Pjöngjang.

Nordkorea-Experte Ballbach betont: "In einem Land wie Nordkorea ist das weitaus dramatischer, denn dort ist das Gesundheitssystem schlichtweg nicht entwickelt genug, um eine solche Pandemie aufzufangen." Das lasse sich auch kurzfristig nicht ändern. Als Beispiel nennt Ballbach Atemgeräte, bei denen es einen akuten Notstand geben dürfte. Die Ausstattung der Krankenhäuser, gerade außerhalb der Hauptstadt Pjöngjangs, sei sehr dürftig. Wichtig sei nun, dass Nordkorea offen kommuniziere, wo genau der Bedarf liegt, um internationale Hilfe sicherzustellen.

WHO-Chef Adhanom Ghebreyesus erklärte, man sei "zutiefst besorgt über das Risiko einer weiteren Ausbreitung von Covid-19 in dem Land". Er verwies darauf, dass "die Bevölkerung nicht geimpft ist und viele Grunderkrankungen haben, die sie dem Risiko einer schweren Erkrankung und des Todes aussetzen".

Folgen für die Menschen im Land

Der Lockdown wiederum könnte ebenfalls verheerende Folgen haben. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen warnte: Die Einschränkungen könnten es den Menschen in dem verarmten Land schwer machen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Zudem könnte durch die Einschränkungen und die Quarantäne-Regeln die landwirtschaftliche Produktion des Landes in Mitleidenschaft gezogen werden.

Sollte zum Lockdown auch Ausgangssperren kommen, könnte dies gravierende Folgen haben. "Das wäre im nordkoreanischen Fall fatal, denn es gibt keine großen Lebensmittelreserven, mit denen man eine eingesperrte Bevölkerung längerfristig ernähren kann", erklärt Eric Ballbach. Fast die Hälfte der Nordkoreaner sei von externe Hilfe für die Ernährung abhängig.

Kim kritisiert eigene Behörden

Kim kritisierte nun öffentlich seine Gesundheits-Behörden für den Umgang mit der Pandemie und warf ihnen Trägheit vor. Wie die amtliche Nachrichtenagentur KCNA meldete, beschwerte sich Nordkoreas Machthaber über "Unreife der staatlichen Kapazitäten zur Bewältigung der Krise". Eine "nicht-positive Haltung, die Nachlässigkeit und die Untätigkeit führender Beamter des Staates" sorge dafür, dass man die Probleme nicht bewältigen könne.

Dass man diejenigen unterhalb der obersten Ebene zur Verantwortung zieht, sei in so einer Situation nicht ungewöhnlich, erklärt Nordkorea-Fachmann Ballbach. "Dabei geht es in erster Linie darum, Kritik an der Führung fernzuhalten". Dieses Vorgehen liege in der Natur des nordkoreanischen Regimes - wie in jedem autoritären oder totalitären Regime mit Führerkult, so Ballbach. Trotzdem sei es ein wichtiger Schritt, dass es überhaupt ein Eingeständnis von Fehlern gab.

Bildrechte: dpa-Bildfunk
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Pjöngjang: Dieses von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA zur Verfügung gestellte Bild zeigt Bahnhofspersonal bei der Desinfektion.

Muss Nordkorea Hilfe von außen annehmen?

Kim hat sich seit Beginn seiner Amtszeit damit gerühmt, internationale Hilfe zu meiden. Von diesem Dogma scheint das Land nun abweichen zu müssen. Südkorea und die in Nordkorea als "Imperialisten" beschimpften USA haben Hilfe angeboten. Laut Berichten südkoreanischer Medien, haben drei Flugzeuge der nordkoreanischen Fluggesellschaft Air Koryo in Shenyang im Nordosten China Medikamente abgeholt.

Eric Ballbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik glaubt, dass Kim auf ausländische Hilfe setzten wird, "aber nicht über die Covax-Initiative und nicht über Angebote seitens Südkoreas, den USA oder auch Europas." Demnach dürfte Nordkorea medizinische Ausrüstung, Impfstoffe und Masken aus China besorgen. Das werde "aber sicherlich nicht mit offenen Karten" passieren, so Ballbach im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk.

Warum mRNA-Impfstoffe keinen Sinn in Nordkorea ergeben

Impfstoff wird Nordkorea von verschiedenen Seiten erneut angeboten. 60 bis 70 Millionen Impfdosen würden laut Experten gebraucht, um die Bevölkerung mehrfach zu impfen. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass es für eine breite Impfkampagne schlicht zu spät sei. Dafür breite sich das Virus im Land zu rasant aus. Stattdessen brauche es fiebersenkende Mittel, Tests und Masken. Bei den Impfstoffen sei lediglich eine Kampagne für Hochrisiko-Patienten derzeit sinnvoll, sagte Jung Jae Hun, Professor für Präventivmedizin an der Gachon-Universität, der Nachrichtenagentur AP.

Eric Ballbach hält es für utopisch, dass ein Impfstoff wie Biontech in Nordkorea verabreicht werden können. "Jeder, der Nordkorea schon einmal besucht hat, weiß um die schlechte infrastrukturelle Situation im Land", sagt Ballbach. "Es wird schlichtweg kaum möglich sein, beispielsweise bei internationalen mRNA-Impfstoffen die Kühlkette aufrechtzuerhalten." Zwar würde laut Ballbach ein Impfprogramm nach wie vor Sinn ergeben, "aber es kommt viel zu spät".

Gefahr für das Kim-Regime?

Dass die Krise Machthaber Kim in Bedrängnis bringen könnte, glaubt Nordkorea-Experte Ballbach indes nicht. "Ich sehe keine direkte Gefahr für die Stabilität des Regimes", so Ballbach. Auch während der extremen Hungersnöte in den 90ern habe es keine Unruhen gegebenen. Gleichwohl glaubt Ballbach, dass sich das Regime bewusst es, dass die Situation zu einer Gefahr werden könnte, wenn die Corona-Krise im Land "eine noch dramatischere Versorgungslage mit Lebensmittelknappheiten nach sich zieht."

Archivbild (Oktober 2021): Pjöngjang: Eine Lehrerin misst die Körpertemperatur einer Schülerin, bevor sie die Kim-Song-Ju-Grundschule betritt.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Cha Song Ho
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Archivbild (Oktober 2021): Pjöngjang: Eine Lehrerin misst die Körpertemperatur einer Schülerin, bevor sie die Kim-Song-Ju-Grundschule betritt.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!