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Laut Schuldneratlas 2021 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform galten im vergangenen Jahr 6,16 Millionen Menschen als überschuldet.

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Neuer TikTok-Trend: Schulden-Challenge bereitet Sorgen

Ein weiterer besorgniserregender Trend auf der Social-Media-Plattform TikTok greift um sich: Junge Menschen versuchen dabei, sich mit der Höhe ihrer Schulden zu überbieten. Wer besonders gefährdet ist und warum.

Dass die Social-Media-Plattform TikTok mit ihren weltweit rund eine Milliarde Nutzern oft irrsinnige und teils auch gefährliche Herausforderungen hervorbringt, ist kein Geheimnis. Ein neuer Trend, bei dem sich junge Menschen mit der Höhe ihrer Schulden überbieten wollen, bereitet vielen nun Besorgnis.

Unter dem Hashtag #klarnaschulden liefern sich Nutzer einen regelrechten Wettbewerb über die Höhe ihrer Schulden bei dem schwedischen Zahlungsanbieter Klarna. Mehr als 30 Millionen Aufrufe hat der Hashtag auf TikTok bereits.

User veröffentlichen ihren Schuldenstand auf TikTok

Auf TikTok ist eine junge Frau zu sehen, die ein Päckchen mit Kleidung hochhält. Im Hintergrund sind rote Zahlen zu sehen. Der Text "Wenn du 23.412,61 Euro Schulden bei Klarna hast." Eine weitere Userin macht ihre Ausgaben in Höhe von 5.859,01 Euro öffentlich. Ein anderer Nutzer prahlt: "Ich wette, niemand kann meine Klarnaschulden toppen." Daraufhin zeigt er seine Kontenübersicht. Die Bilanz: ein Minus von fast 425.000 Euro. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Das Unternehmen Klarna selbst erklärt, dass ein Einzelner keinesfalls Schulden in dieser Höhe anhäufen kann.

Laut Schuldneratlas 2021 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform galten im vergangenen Jahr 6,16 Millionen Menschen als überschuldet. In der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen war die Überschuldungsquote mit über 15 Prozent am höchsten.

Psychologische Mechanismen hinter der Überschuldung

"Klarna ist verlockend für junge Menschen mit wenig Geld", erläutert Julia Pitters, Professorin an der IUBH Internationalen Hochschule in Erfurt und Leiterin des Studiengangs Wirtschaftspsychologie gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Klarna entkoppelt die Freude über den Erwerb eines Produkts vom 'Kaufschmerz', da die Rechnung erst 30 Tage später beglichen werden muss", erklärt Pitters. Die Mahngebühr von 1 Euro 20 bei einer nicht rechtzeitig beglichenen Rechnung wirke dabei verschwindend gering. Das Unternehmen Klarna wirbt mit dem Slogan "Kaufe jetzt, bezahle später."

Der Lockdown wegen der Corona-Pandemie habe den Trend des Onlineshoppings weiter verstärkt, so Pitters. "Wegen geschlossener Geschäfte konnte man vieles nur online bestellen. Dadurch haben viele Menschen Gefallen daran gefunden."

Schuldenwettbewerb eine Art Trotzreaktion

Wirtschaftspsychologin Pitters erklärt das Phänomen mit dem Wegfallen "mentaler Wertigkeit" des Geldes. "Viele junge Menschen wissen, dass sie niemals erben oder Eigentum erwerben können. Sie wollen aber dennoch so leben wie der reiche Nachbar, der aus gutem Hause kommt", erklärt Pitters. Daraus entwickle sich eine Art Trotzreaktion. "Sie entwickeln eine Gleichgültigkeitsmentalität, kaufen viel, machen Schulden."

Klarna sieht Trend mit Sorge

Max Kalkhof, Media Relations Manager bei Klarna in München, beobachtet den Trend mit Sorge. Klarna habe "nicht das geringste Interesse daran, dass Menschen mit offenen Rechnungen prahlen". Im Gegenteil: Das Geschäftsmodell beruhe darauf, dass Kundinnen und Kunden pünktlich zahlten. Dass die meisten Nutzer junge Menschen seien, verneint er: "Der Großteil unserer Kunden ist um die 40 Jahre alt." Auch stimme es nicht, dass viele die Option des Ratenkaufs nutzten. "Das sind nur drei Prozent."

Kreditunternehmen hofft auf baldiges Ende des TikTok-Trends

Die Zahl der Rechnungen, die an Inkasso-Unternehmen weitergeleitet werden, liegt laut Kalkhof bei einem Prozent. Bei jung wie alt. "Wir sind uns der Verantwortung bewusst, dass wir für viele junge Menschen der erste Kontakt zur Finanzwelt sind", so Kalkhof. Daher werde allen 18- bis 25-Jährigen, die Klarna zum ersten Mal nutzten, ein Video angezeigt, das die wichtigsten Begriffe und Mechanismen der Finanzwelt in einfacher Sprache erkläre. Er hoffe, dass der Wettbewerb auf TikTok ein baldiges Ende finde.

Anmerkung der Redaktion: Im BR24-Artikel war zu lesen, dass ein Nutzer damit prahlt, derart hohe Schulden angehäuft zu haben. Wir haben dies nun ergänzt durch den Hinweis, dass sich diese Angaben der Agentur epd – auf deren Basis unser Artikel entstand - nicht überprüfen lassen. Dem Artikel ist nun auch ein entsprechender redaktioneller Hinweis beigefügt. Wir danken für den Hinweis von Klarna.

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