Militärexperte Prof. Carlo Masala schätzt im Interview mit BR24 sowohl die aktuelle Lage in der Ukraine als auch die Waffenlieferungspolitik der Bundesregierung ein.
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Militärexperte Prof. Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München

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Militärexperte Masala: Russen "geht seit Langem die Puste aus"

Die Gegenoffensive der Ukraine sei intensiv vorbereitet gewesen, erklärt der Militärexperte Masala bei BR24. Die russischen Soldaten machten einen demoralisierten Eindruck. Ein "Wendepunkt" im Krieg ist laut Masala aber noch nicht erreicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Ukraine meldet weitere Fortschritte bei ihrer Gegenoffensive im Kampf gegen Russland. Ist das die Wende im Krieg? "Nein, das ist noch zu früh, davon zu sprechen", sagte Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München im BR24-Interview. Vielmehr sieht er einen "entscheidenden Moment", der möglicherweise zu einer "wirklichen Wende" beitragen könne.

Die Fragen, die es nun zu beobachten gelte, seien: "Kriegen die Russen ihre neuen Verteidigungslinien stabilisiert? Kriegen sie die Streitkräfte in diesen neuen Verteidigungslinien versorgt? Können sie sich zurückziehen auf gut befestigte Verteidigungslinien?"

Weitere Erfolge der Ukraine nicht sicher

Man könne augenblicklich nicht mit Gewissheit davon ausgehen, so Masala, dass es den Ukrainern gelingt, in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Territorium zurückzuerobern - und eventuell die russische Armee gar aus dem Land zu vertreiben.

Der Ukraine ist es nach eigenen Angaben von Montag gelungen, binnen 24 Stunden russische Kräfte "aus mehr als 20 Ortschaften zu verjagen". Die russischen Soldaten hätten ihre Stellungen "fluchtartig verlassen", hieß es von der Armee. Ein Großteil der Geländegewinne seien in der Region Charkiw im Nordosten zu verzeichnet. Im Süden war die ukrainische Armee langsamer vorangekommen.

In Russland ist vielmehr die Rede von einer "taktischen Umgruppierung". Am Montagmorgen erklärte der stellvertretende Leiter der pro-russischen Verwaltung in der Region Cherson, Kirill Stremusow, der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge, die Lage in der Region sei "unter Kontrolle".

Russische Armee kämpft unter "unwürdigen Bedingungen"

"Den russischen Streitkräften in der Ukraine geht schon seit Langem die Puste aus", erklärte indes Militärexperte Masala bei BR24. Denn sie müssten seit Monaten unter "unwürdigen Bedingungen" kämpfen, mit schlechten Schlafplätzen, schlechter Ernährung und fehlenden Ausruh-Möglichkeiten. "Das schlägt auf die Moral nieder."

Zudem seien die Gegenoffensiven durch die Ukraine lange vorbereitet gewesen, etwa indem das Militär schwerpunktmäßig versucht habe, russische Logistik und Nachschubwege zu zerstören, "was ihnen sehr erfolgreich gelungen ist".

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Militärische Erfolge der Ukraine befeuern die Diskussion darüber, ob Deutschland dem Land Kampfpanzer liefern sollte.
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Militärische Erfolge der Ukraine befeuern die Diskussion darüber, ob Deutschland dem Land Kampfpanzer liefern sollte.

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Masala: Russische Medien versuchen, Putin zu schützen

Die Rückschläge für die russische Armee bringen derweil Moskau und die staatlichen russischen Medien in Erklärungsnot. Mittlerweile werde versucht, Russlands Präsidenten Wladimir Putin von Fehlern freizusprechen, so Masala. Es werde hervorgehoben, dass das eigene Umfeld Putin falsch beraten und mit falschen Informationen versorgt habe - "was übrigens durchaus stimmt", fügte der Militärexperte hinzu.

"Man versucht hier gerade, den großen Führer Putin zu schützen, indem man die Schuld an den Katastrophen, die die russische Armee seit mehreren Monaten in der Ukraine erlebt, auf die nachgeordnete Beamtenschicht abwälzt."

Deutsche Panzer-Lieferung laut Masala nicht vor den USA

Derweil bleiben die neuen Entwicklungen in der Ukraine in Deutschland nicht folgenlos: Die Diskussion um weitere Waffenlieferungen nimmt wieder mehr Fahrt auf. FDP und Grüne drängen den Koalitionspartner SPD um Kanzler Olaf Scholz zu mehr Unterstützung. Führende Sozialdemokraten warnen jedoch vor deutschen Alleingängen - einmal mehr. "Das ist die Politik, die diese Regierung von Beginn an des Konflikts fährt", erklärte Masala dazu.

Der Experte glaubt, wenn die USA sind durchringen würden, Schützen- und Kampfpanzer zu liefern, "wird auch die Bundesregierung eine Entscheidung treffen". Offen sei dann noch, ob Material direkt aus der Bundeswehr oder von der Industrie geliefert werden würde.